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Schlagwort-Archive: Wohlstand

Wir Grünen haben unseren großen historischen Dauerauftrag noch lange nicht erledigt. Das ist in letzter Zeit ein bisschen in Vergessenheit geraten, wegen der enttäuschten Erwartungen im Bund und Bayern und dem Klein-Klein des Regierungsgeschäfts in anderen Ländern. Wir sind die politische Kraft, die ihre Entstehung und Existenzberechtigung der zunehmend verbreiteten Erkenntnis verdankt, dass die Globalisierung die weltweit dominante Art des Produzierens und Konsumierens an ihre Grenzen gebracht hat. Aber wir sind auch nach Jahrzehnten grüner Politik immer noch weit entfernt von einer gerechteren, nachhaltigen, umwelt- und klimaverträglichen Wirtschaftsweise. Nur die Probleme sind inzwischen noch drängender geworden.

Verschlimmbesserungen und unerwünschte Nebenfolgen
Mittlerweile sind auch die Grenzen bisheriger Lösungsversuche offenkundig. Technische Einsparungen werden von Ausweitungen der Nutzungsdauer oder -intensität begleitet. So werden etwa sparsamere Computer bzw. Smartphones länger und vielseitiger genutzt sowie schneller ausgetauscht, der alte Kühlschrank läuft im Keller weiter oder ein pro PS geringerer Benzinverbrauch wird dadurch egalisiert, dass immer größere Autos gefragt sind. Und es gibt unerwünschte Nebenfolgen: Wenn wir weniger Kohle verheizen, wird sie für die anderen billiger. Der Konflikt Tank oder Teller weitet sich auf andere Energiegewinnungsarten aus. Andererseits sind verbindliche Regelungen national wie international kaum durchzusetzen, Kritik oder gar eine Erschwernis bisheriger Gewohnheiten wird als „Ökodiktatur“ verunglimpft, als ob es ein Gottes- oder Naturrecht gäbe, die Welt nach eigenem Gusto zu versauen.

Raus aus dem Hamsterrad? Aber wie?
Deshalb liegt Grundsatzkritik wie z.B. von Tim Jackson („Wohlstand ohne Wachstum“), Harald Welzer („Selbst denken“) und anderen nahe. Ist die Vorstellung, wir könnten uns mit Hilfe eines „Green New Deals“ aus unserem Dilemma befreien, nicht eine große Illusion?
Müssen wir die gefräßige Maschinerie, angetrieben von Wachstum und Konsum, nicht stoppen und aus der Logik des Hamsterrads aussteigen? Vor allem aber: Wie könnte das gehen? Und was kommt dann? Laotse soll gesagt haben: „Gib einem Hungernden einen Fisch, und er wird einmal satt, lehre ihn Fischen, und er wird nie wieder hungern.“ Das gilt vielleicht auch für neue Ideen und Konzepte. Denn der große Hunger, der von der gefräßigen Maschinerie gestillt werden will, verlangt ohnehin kaum noch nach materiellen Gütern. Dennoch wird bisher die kulturelle Komponente bei der Planung der „Großen Transformation“ völlig unterschätzt, auch in grünen Debatten.

Was wollen wir „eigentlich“?
Das Nutzerverhalten wird meist als Invariante gesehen. Als könnten und wollten Menschen ihr bisheriges Verhalten nicht ändern, völlig unabhängig von angebotenen Alternativen oder offenen Möglichkeiten. Das führt dann auch manche technische Lösung ad absurdum, so wenn z.B. das Elektroauto 1:1 den Verbrennungsmotor ersetzen soll und deshalb von vornherein nur die zweite Wahl sein kann. Andererseits wird damit auch der positive Aspekt von Demokratie nicht genutzt: Die Vielen können aus eigenem Antrieb und eigenständig suchen, sie müssen nicht warten, bis ihnen fertige Konzepte vorgesetzt werden. Deshalb sollten wir vielleicht auch unsere Methoden der Problemlösung überdenken und statt eines „Masterplans“ Konzepte akteurszentriert und bedürfnis-, statt defizitorientiert entwerfen. Letzteres soll heißen: Die Krisen sind nur Anlass, darüber nachzudenken, was wir „eigentlich“ wollen und wie wir’s kriegen.

Was verstehen wir unter Wohlstand?
Darüber nachzudenken, was Wohlstand für uns bedeutet, ist kein besonders origineller Einfall. Dazu hatte ja sogar schon der Bundestag eine Enquete-Kommission eingesetzt: http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/index.jsp. Wie viele andere weist z.B. der Zürcher Glücksökonom Bruno Frey darauf hin, dass der Nutzen materieller Güter überschätzt wird: „Beziehungen zu pflegen, macht auf lange Sicht viel glücklicher als Überstunden zu leisten und von dem Geld einen spritschluckenden Geländewagen zu kaufen.“ Klingt einleuchtend, wird aber wohl trotzdem auf Anhieb nicht jede/n überzeugen. In China etwa wurde die Teilnehmerin einer TV-Show laut SZ vom 9.11.13 über Nacht berühmt mit dem Satz: „Lieber auf dem Rücksitz eines BMW weinen, als auf dem Fahrrad lachen“. Und die Süddeutsche findet auch gleich eine Erklärung: „Warum jetzt trotz Verkehrskollaps alle stolz in ihren Autos sitzen? Weil sie es sich leisten können.“

So viel weiße Flecken, so viel Spannung und Abenteuer
Das ist so eine Sache mit den Bedürfnissen: Wie sie zu befriedigen wären, wissen wir oft nicht einmal selber, jedenfalls nicht, bis wir es ausprobiert haben. Aber dass andere besser wissen, was wir wollen, ist nicht sehr wahrscheinlich. Außerdem verweist schon Bruno Frey auf den entscheidenden Punkt: „sehr glücklich macht auch das Gefühl, nicht gegängelt zu werden, Autonomie zu haben“. Vielleicht sollten wir uns in der Frage eines Wohlstandsmodells, das ebenso attraktiv ist wie das heutige, aber weniger zerstörerisch, an Antoine de Saint-Exupery orientieren: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Vielleicht ist es da doch ein Glück, dass wir noch ein paar Jahre Opposition vor uns haben, Sehnsucht zu entwickeln, das weite Meer zu erforschen, und auszuprobieren, was für uns Wohlstand wäre.

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Es ist ein merkwürdiger Wahlkampf: Über alles Mögliche wird gesprochen, ob der Kandidat zur Partei passt, ob es noch eine Partei hinter der Kandidatin gibt, wer mit wem warum nicht kann oder wer welchen Fehler gemacht hat. Aber das Wichtigste wird nicht diskutiert: Wie wollen wir in Zukunft leben? Dabei wissen alle, dass unsere Art zu wirtschaften, konsumieren, zusammenzuleben in schweren Krisen steckt: in Finanz-, Klima- und Gerechtigkeitskrisen. Wie wollen wir unseren Wohlstand sichern, ohne auf Kosten von anderen zu leben? Was heißt Wohlstand? Was „gutes Leben“?

Eine Ahnung ist da
Bezeichnenderweise stellt heute auch die Süddeutsche Zeitung ihre Präsentation der Wirtschaftsprogramme der Parteien für die Landtagswahl unter den Titel: „Das System gerät aus den Fugen. Die Skepsis am Wachstum als Wohlstandsfaktor nimmt zu. Die politischen Parteien haben Mühe, damit umzugehen“. Wie die Enquete-Kommission des Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, die die SZ dafür kritisiert, kommen die Programme „nur wenig über Allgemeinplätze und den erklärten Willen hinaus, ressourcenschonender zu wirtschaften“. Selbst die CSU labert schon von „qualifiziertem Wachstum“ und erklärt, sie wolle „wirtschaftliches ‚Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln‘ und ‚nachhaltiges Wirtschaften‘ belohnen“.

Es fehlt die Traute
Ob es so was wie „grünes Wachstum“ überhaupt gibt und was das bedeuten würde, will aber lieber niemand so genau wissen. Andererseits ist auch völlig unklar, ob es so was geben kann wie eine „Postwachstumsökonomie“ oder „Wohlstand ohne Wachstum“, was uns beispielsweise Tim Jackson vorschlägt. Obwohl also die Krisen nicht mehr geleugnet werden können und dem Umstand irgendwie Referenz erwiesen wird, heißt die generelle Devise weiter: Augen zu und durch – aus Angst vor den schrecklichen Wahrheiten, die zum Vorschein kommen könnten. Umso wichtiger wären intensive Diskussionen und vor allem auch: ausprobieren. Weil wir so wenig wissen, müssen wir vermutlich einfach ein bisschen experimentieren und reflektieren.

Radikal muss nicht schrecklich sein
Es ziemlich wahrscheinlich, dass wir manches in unserer Art zu wirtschaften oder zu konsumieren radikal ändern müssen. Aber diese Radikalität könnte zum einen lediglich darin bestehen, von einigen schon begangene Wege zu gehen, und zum anderen positive Folgen nach sich ziehen. Ein Beispiel könnte die Agrarwende von der industriellen Massenproduktion zum Ökoanbau sein. Wenn wir in unserem Land einen Kulturwandel schaffen wollen, weg vom bisherigen Wirtschaften und Leben auf Pump hin zu einem klimaverträglichen, gerechten Lebensstil, dann fällt dem Ökoanbau eine Leitbildfunktion zu: http://www.sepp-duerr.de/front_content.php?client=1&lang=1&idcat=32&idart=1617&m=&s=. Sich besser zu ernähren, ohne Tiere zu quälen, das Trinkwasser zu gefährden, die Klimakatastrophe zu befördern oder die Artenvielfalt zu reduzieren – das muss ja nichts Schreckliches sein.

Vorbild attraktive Lebensstile
Nur wenn es uns gelingt, neue attraktive Wohlstandsmodelle wenigstens teilweise zu leben und damit den notwendigen Wohlstandswandel schon im heutigen Wirtschaftssystem vorwegzunehmen, werden wir auch die erforderlichen politischen Mehrheiten gewinnen können. Sie stellen ein Experimentierfeld dar und sie verändern gleichzeitig die politische Wirklichkeit. http://www.sepp-duerr.de/front_content.php?client=1&lang=1&idcat=69&idart=1387&m=&s=. Die symbolische Wirkung neuer Wohlstandsmodelle ist dabei erheblich größer als ihre reale. Denn natürlich ist es so, dass selbst wenn ganz Deutschland oder gar Europa ohne CO²-Emissionen wirtschaften würde, der Klimawandel nicht zu stoppen wäre. Das gelingt nur, wenn der heute global so attraktive Way of Life durch andere, mindestens so anziehende Lebensformen abgelöst wird.

Ohne Politik kein Wandel
Voraussetzung ist, dass viele Lust auf Veränderung haben und das mindestens so spannend finden, wie sich etwas Neues zu kaufen. Das müssen am Anfang keine großen Schritte sein.
Kleine Erfolge sind Ermutigung, Ertüchtigung und Ansporn für größere Vorhaben. Diese Lust auf Veränderung wird bestärkt durch die Erfahrung, dass man tatsächlich etwas verändern kann, nicht nur das eigene Leben, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld wie das politische Klima. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die vielen Einzelnen, die sich als Pioniere und Agenten des Wandels auf den Weg machen, als Teil einer Bewegung erfahren.
Für eine noch größere Durchschlagskraft aber brauchen sie politische Unterstützung: keine moralischen Appelle, sondern Ermutigung und Zuspruch, vor allem aber entsprechende politischen Weichenstellungen.