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Der Landtagswahlkampf wird für die bayerischen Grünen nicht einfach, jedenfalls nicht, wenn sie gewinnen wollen, sprich: die Voraussetzungen für eine Regierungsbeteiligung schaffen. Für ein viele halbwegs befriedigendes Ergebnis, also leichte Verluste auf hohem Niveau, reicht es auch, wenn mensch so weiterwurstelt wie bisher; wenn mensch also entweder keine Strategie hat oder sich nicht dranhält. Ein Jahr vor der Landtagswahl sollten die Wähler*innen langsam schon was merken von einem Gestaltungswillen, davon, welche Ziele den Grünen besonders wichtig sind, die sie in den nächsten fünf Jahren umsetzen wollen. Sie sollten Vertrauen fassen und glauben können, wie die Grünen diese Ziele umsetzen wollen, ohne Chaos anzurichten. Sie sollten allmählich erkennen, dass nur die Grünen die ökonomischen und ökologischen Voraussetzungen unseres Wohlstands ohne allzu große Verluste und mit großen Zugewinnen an Lebensqualität umgestalten können.

Stadt wie Land: überall Grüne

Natürlich brauchen wir, anders als vielleicht noch vor etlichen Jahren, eine einheitliche Botschaft für Stadt und Land. Denn da wohnen die gleichen grünaffinen Leute. Unsere Zielgruppen sind im ganzen Land, und zwar noch im abgelegensten Dorf, ökologisch interessiert, klimabewusst und täglich im Einsatz für ein menschenwürdiges Zusammenleben mit allen, die hier wohnen. Wir haben überzeugende, seit jeher in ihrer Region verankerte, ihre Region liebende, von ihren Regionen anerkannte Multiplikator*innen, egal ob ganz hinten im Bayerischen Wald, im Rottal oder ganz oben in Erlenbach und Obernburg im Landkreis Miltenberg. Die wollen von uns auf Augenhöhe angesprochen werden und erwarten ganz konkrete Hilfen, wie sie ihre Heimat lebendig erhalten können. Vieles wissen sie selber, ihnen fehlen im Vergleich zur Stadt nur die Mittel.

Geschlossenheit ist die halbe Miete

Entscheidend ist wie immer die Geschlossenheit. „Wahlerfolge und demoskopische Konjunkturen korrelieren in verblüffendem Maße mit perzipierter Geschlossenheit“, schreiben Joachim Raschke und Ralf Tils in „Politische Strategie“, Wiesbaden 2007: „Glaubwürdigkeit und Geschlossenheit sind Messlatten der Bürger, mit denen sie vor einem etwaigen Regierungswechsel einzuschätzen versuchen, was sie von den Versprechungen der Oppositionsparteien zu halten haben. Glaubwürdigkeit misst die Wahrscheinlichkeit, dass die Politiker sagen, was sie denken, und tun, was sie sagen. Geschlossenheit ist ein Indikator für Handlungsfähigkeit.“ Aber daran ist nichts „verblüffend“. Wie sollen wir denn die Bürger*innen von unserer Politik überzeugen, wenn wir selbst uns darüber uneinig sind. Und welche Politik wollen wir umsetzen, wenn wir uns in zentralen Fragen nicht verständigt haben? Deshalb ist auch ein enger Schulterschluss mit Berlin unerlässlich: es muss klar sein, dass es auf allen Ebenen nur eine grüne Linie gibt. Dann wissen die Menschen, was sie von uns erwarten dürfen.

Klare Kante gegen Rechtsextreme

Was man sicher von uns erwartet, ist ein unverwechselbarer gesellschaftspolitischer Kurs. Wenn Söder tatsächlich so dumm sein sollte und den Schwenk zurück macht zu konservativer bis reaktionärer Politik – https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-csu-soeder-umfragen-1.5662278?reduced=true, spielt uns das in die Hände. Damit hat er schon einmal vor fünf Jahren fast Schiffbruch erlitten – https://ausgehetzt.org/ausgehetzt/ – und gerade noch in letzter Minute die Kurve gekratzt. Wer sich auf die eigene Klientel konzentriert, macht heute Minderheitenpolitik. Das gilt auch für die ehemalige Mehrheitspartei CSU. Dann können bei uns auch in diesem Wahlkampf selbst strategisch weniger Begabte oder politische No-names und No-hows Erfolge erzielen, wenn sie einigermaßen auf Linie bleiben. Leider hilft das auch der AfD. Wir haben jetzt oft genug erlebt, dass sie da stark wird, wo Konservative versuchen, sie mit rechtspopulistischer Politik zu überholen. Seit Jahren schlechtes Beispiel dafür ist Sachsen. Wenn umgekehrt alle klare Kante zeigen, wie etwa in Schleswig-Holstein, wird die AfD pulverisiert – https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/landtagswahl_2022/Endergebnis-CDU-gewinnt-Landtagswahl-in-SH-mit-434-Prozent,landtagswahl4246.html.

Klarheit schafft Vertrauen

Gleichzeitig müssen wir den Menschen Vertrauen einflößen, dass wir die Veränderungen managen können. „Menschen gewinnt man nicht für Veränderungen, bloß weil man ihnen sagt, sie bräuchten keine Angst zu haben. Stattdessen vergrößert man ihre Unsicherheit und Orientierungslosigkeit“ – https://seppsblog.net/2021/08/29/gegen-angste-hilft-kein-ruf-nach-mut-nur-klarheit/: „Wer Vertrauen wecken will und Ängste nehmen, muss klar und deutlich sagen, nicht nur wie die Ziele, sondern wie die nächsten Schritte genau aussehen sollen. Und was das für jede und jeden einzelnen bedeutet.“ Deshalb müssen wir in unseren Aussagen eindeutig und einhellig bleiben, auf verblasene Rhetorik verzichten und möglichst konkret werden sowie erfolgreiche Beispiele anführen.

Kampf um Direktmandate Bei der Landtagswahl im nächsten Jahr werden die Karten neu gemischt, und zwar in jedem Stimmkreis. Da werden die Kandidati*innen schon mehr machen müssen als nur einen grünen Eindruck. So manches Münchner Direktmandat verdankt sich nur der Schwäche der CSU und einem allgemeinen grünen Hype. Umgekehrt ist schwer vorstellbar, dass ländliche Stimmkreise wie Weilheim/Schongau oder Bad Tölz-Wolfratshausen/Garmisch einen Kandidaten hätten nach München schicken können, wenn nicht solche, für die Stimmkreise wie geschnitzte Pfunde angetreten wären. So einheitlich das Vorgehen auf Landesebene sein muss, so differenziert muss die Stimmkreis-Arbeit sein. Und die zentrale Frage dabei lautet, ob der jeweilige Stimmkreis sich eignet für einen Kampf ums Direktmandat: Ist die Wählerschaft dafür da? Gibt es eine geeignete Kandidat*in? Wenn nein, dann darf mensch sich ruhig auch etwas ökologisch radikaler äußern und die grüne Nische ausschöpfen. Wenn aber ja, dann ist es wichtig, einen Mehrheitswahlkampf zu führen, also einen, der nicht allein auf die grüne Klientel abzielt. Dann hat mensch so oder so beste Aussichten, im nächsten Herbst in den Landtag zu kommen.

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Zum Jahresausklang bekommen wir regelmäßig und meist unverlangt eine gehörige Portion politischer Moralisiererei. In jüngster Zeit ist die vermeintliche ökologische Scheinheiligkeit der Menschen eines der Lieblingsthemen nicht nur der Predigten des Feuilletons, sondern auch in den Wirtschaftsseiten. „Trotz mieser Öko-Bilanz wurden 2019 so viele SUVs verkauft wie nie“, macht die SZ ihre Titelseite auf – https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zipse-bmw-suv-umwelt-klima-1.4737399 („Auf großer Fahrt“, 28.12.2019): „Das Jahr 2019 war geprägt vom Klimaschutz, vom Nachdenken über Ressourcen und der Debatte um nachhaltigeres Vorankommen per Bahn, Flugzeug und Auto. Im täglichen Handeln war davon aber nichts mehr zu spüren, wie sich nicht nur bei weitgehend gleichbleibenden Passagierzahlen im Flugverkehr zeigt: 1,08 Millionen SUVs und Geländewagen, so viele wie noch nie, wurden bis November hierzulande verkauft“. Die SZ beginnt dann gleich mit der Suche, warum diese beiden Entwicklungen, also mehr ökologisches Bewusstsein und zunehmende Klimazerstörung, sich zwar jeweils beschleunigen, aber so gar nicht zusammenpassen.

Fetisch „kognitive Dissonanz“

Schuld waren natürlich die Verbraucherinnen und Verbrauchern: „80 Prozent der Deutschen befürworten Klimaschutz und wollten weniger Ressourcen verbrauchen“. „Wieso aber liegt dann die durchschnittliche PS-Zahl bei 170?“, fragt der Soziologe Stephan Rammler, gibt aber keine Antwort. Dafür kommentiert er überlegen: „Das ist verlogen, eine kognitive Dissonanz.“ Immerhin hat er ein paar Hinweise, woher diese Dissonanz kommen könnte. Zum einen verweist er darauf, dass diese Fahrzeuge „funktional nicht mehr angemessen sind“, es muss also andere Gründe geben, warum sie „größer werden“. Zum anderen führe die wachsende Größe „nachweislich zu aggressiverem Fahren und dadurch bei den anderen zu mehr Unsicherheitsgefühl“ und zu einer „Spirale der Aufrüstung“ und einer zunehmenden Gefährdung der „ohnehin schwächsten Verkehrsteilnehmer“ wie Radfahrer*innen. Nun haben es Soziolog*innen nicht so gern, dass wir Sterblichen mit der Analyse allein nicht zufrieden sind, sondern handlungsorientiert Politik machen wollen und nach Vorschlägen fragen. Aber auf einen Missstand lediglich hinzuweisen und dann gar noch zu moralisieren, führt zu Zynismus und Stagnation, weil es den Weg zu Alternativen verschließt.

Moral ersetzt keine Analyse

Ein moralisches Urteil, das einer Entscheidung und damit denen, die entscheiden, lautere Grundlagen abspricht, öffnet die Kluft zwischen Kritik und Handeln weiter, statt diese verringernde Brücken zu bauen. Wenigstens verweist der Artikel selber direkt und indirekt auf nachvollziehbare Ursachen für den Boom der SUVs. Denn die Entwicklung ist „gut für die Autohersteller: Viele Kunden finden Größe attraktiv, das treibt die Preise nach oben“. „High-End-SUVs liefern wichtige Gewinne, die in einer Zeit der Transformation hin zur E-Mobilität dringend gebraucht werden“, sagt der „Autoforscher“ Ferdinand Dudenhöffer. Nun werden Gewinne im Kapitalismus ja immer „dringend gebraucht“, aber das Stichwort „Transformation“ hilft schon mal gegen das von Dudenhöffer ebenfalls benannte „Dilemma“: Denn „gleichzeitig baut sich ein soziales Akzeptanzproblem auf“. Selbst der Opel-Chef ist „kein Freund von ganz großen SUVs, sie kommen kaum in die Parkhäuser, das ist gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar“.  Und Dudenhöffer ergänzt: „Für das Platzproblem in den Großstädten fehlt die Lösung“. Aber SUVs sind ja gerade eine Lösung für das Problem, dass viele heute um den Platz, der ihnen ihrer Meinung nach zusteht, kämpfen müssen: Ein SUV verschafft sich und seinem Fahrer oder seiner Fahrerin ordentlich Platz.

Diagnose Verbraucherdilemma verdeckt politisches Versagen

Tim Jackson hat sich in „Wohlstand ohne Wachstum“ mit Geltungskonsum auseinandergesetzt, also damit, wie sehr unsere Konsumbedürfnisse vor allem statusgetrieben sind: https://seppsblog.net/2014/02/11/zwischen-zwangen-und-zielen/. Dass diese Karren was hermachen und ordentlich was verbrauchen an Sprit und Platz, ist in der Konkurrenz um Anerkennung und öffentlichem Raum für diejenigen, die sich mit ihnen sehen lassen, ein Vorteil. Es ist ja nicht der einzige gesellschaftliche Konflikt, bei dem „kognitive Dissonanz“ entsteht, bei dem also das, was einzelne politisch für richtig finden, diametral von dem abweicht, was für sie persönlich Sinn macht. Beispielsweise ist ja schon seit vielen Jahrzehnten klar, dass in der Agrarpolitik das Prinzip „Wachsen oder Weichen“ zwar dem einzelnen Bauern hilft, vorübergehend in der Konkurrenz zu bestehen, aber mittelfristig dazu führt, die Konkurrenz weiter zu verschärfen. Deshalb fordert die staatliche einzelbetriebliche Förderung noch immer Wachstum, obwohl Staat und EU schon längst nicht mehr mit den Überschüssen zurechtkommen. Die vermeintliche „kognitive Dissonanz“ ist lediglich eine Reproduktion einer politischen Schizophrenie. Frei nach Rosa von Praunheim ist nicht die Verbraucher*in pervers, sondern die Gesellschaft, in der sie lebt. Solange es also für die einzelnen rational ist, das gesellschaftlich Falsche zu tun, werden moralische Appelle gar nix bewirken.

Immunisieren statt Diskutieren

Nach der Devise „Wenn schon verbohrt, dann richtig“ haben sich offenbar die Autoideologen die Immunisierung gegen jede Kritik („Das wird man ja noch sagen dürfen“, „Meinungsdiktatur“) von AfD und anderen Rechtspopulisten abgeschaut. Die „Premiumhersteller“, schreibt die SZ (mit Kotau vor dem Geltungskonsum), „gehen in die Vorwärtsverteidigung. ‚Die hämische SUV-Debatte ist Panikmache, die nichts mit der Realität zu tun hat“, sagt der BMW-Chef: „In solchen Wagen säßen ‚ganz normale Leute‘ die damit zum Beispiel ihre Kinder sicher zum Sport bringen wollten. Und die wolle er auch nicht umerziehen: ‚Wahlfreiheit ist das Grundprinzip einer Marktwirtschaft‘.“ Kritik am klimaschädlichen Verkaufsprinzip wäre demnach also per se ideologisch und ein Angriff gegen die „Wahlfreiheit“. An solchen Beispielen sieht man, dass der Kampf gegen den Klima- und für einen Kulturwandel erst begonnen hat, aber bereits mit härtesten Bandagen geführt wird. Eine der üblen Maschen, mit denen eine offene, eine politische Debatte verhindert werden soll, ist die Entpolitisierung: Individualisieren von gesellschaftlichen Konflikten, Moralisieren und Immunisieren.

Dass selbst scheinbar selbstbewusste CSUler, wenn sie sich in die Ecke gedrängt sehen, zum Angstbeißen neigen und wild um sich schlagen, haben wir schon oft erfahren müssen. Neu – zumindest für mich – ist, wie kaltblütig, brutal und infam Seehofer und sein damaliger Generalsekretär Dobrindt im Bundestags- und Landtags-Wahlkampf 2013 die Diffamierung von uns Grünen durchgezogen haben. Das beschreibt der Spiegel-Journalist Peter Müller in seinem Buch „Der Machtkampf. Seehofer und die Zukunft der CSU“ (München 2016). Dabei bestätigt er drei lange gehegte – https://seppsblog.net/2013/06/16/schwaches-bundnis-grose-chance-bayern-vor-der-landtagswahl/ – Vermutungen: Erstens hat die CSU nach wie vor riesige Angst, ihre absolute Mehrheit zu verlieren. Zweitens ist sie im Bemühen, sie zu behalten, bereit, ziemlich weit zu gehen. Und schließlich nimmt sie drittens uns Grüne dabei zum Hauptgegner, weil wir ökologisch und gesellschaftspolitisch in vielem der inhaltliche Gegenpol sind und sie mit dem grünen Schreckgespenst in Konkurrenz zur AfD Wähler mobilisieren will.

Amerikanisierte Wahlkampagne der CSU

Wie früher die SPD-Kampagneros haben auch die CSUler sich in den USA inspirieren lassen: „In den Kampagnenbüros der Republikaner ließ sich Dobrindt zeigen, wie Wahlkämpfer zielgenau vor allem jene Wähler ansprechen, bei denen sie eine gewisse Empfänglichkeit für die eigene Botschaft vermuten“, schreibt Müller. Bei Bernie Sanders haben sie sich den Umgang mit den neuen Medien abgeschaut. Und dann haben sie sich noch vom ehemaligen Generalsekretär Tandler sagen lassen, wie er vor Jahrzehnten „der Partei schon einmal eine Verjüngungskur verpasst“ hat: „Wahlplakate und Marketing verloren den alten Bayern-Mief“. Um den alten Mief zu übertünchen, hat die CSU auch diesmal die konservative Stoßrichtung gut verpackt: „Modern anmutende Veranstaltungsformen wie der Aperol-Spritz-Treff ‚Lounge in the City‘ verdeckten, dass Dobrindt und seine Leute inhaltlich in erster Linie auf das alte Kernklientel der CSU zielten.“ So ist es der CSU so wieder gelungen, die alte bei früheren Wahlen verlorene Stammwählerschaft zurückzugewinnen. Eine wichtige Funktion wurde dabei unfreiwillig uns Grünen zuteil: „‘Wir werden den Gegner sichtbar machen‘, sagte Dobrindt. Die Stammwähler mussten aus dem Tiefschlafgeholt werden.“

„Schlammschlacht gegen die Grünen“

Die CSU hatte Angst vor dem „Einbruch der Grünen in das bürgerliche Lager“ und deshalb, das beschreibt Müller detailliert, Negative-Campaigning betrieben. Basis der Schmutzkampagne war die Behauptung Dobrindts, „Volker Beck sei ‚Vorsitzender der Pädophilen-AG bei den Grünen‘ gewesen. … Er rückte die Grünen in die Nähe von Kinderschändern.“ Es ist ihm dabei egal, dass es natürlich nie eine solche AG gab und Beck auch nichts mit Pädophilen zu tun hat. „Er hat nichts gegen Beck, überhaupt nicht. Er diffamiert, weil es in sein politisches Konzept passt.“ Wenn Dobrindt dazu lügen, die Wahrheit verdrehen und unter jede Gürtellinie schlagen muss, dann tut er das eben: „Der Generalsekretär … ist kühl bis in die Knochen. Seine Empörung hat er sich am Reißbrett erarbeitet, sie ist demoskopiegetestet. Dobrindt wirft mit Unrat, aber er macht das ohne Emotionen. … Dobrindt will nicht die Köpfe der Menschen erreichen, er zielt auf den Bauch. In seinen Attacken hält er deshalb die Erinnerung an die Jahre wach, in denen einige Grüne forderten, Sex mit Kindern zu entkriminalisieren. … Er will die Grünen wieder zu dem machen, was sie in ihren Anfangsjahren mal waren – zum Bürgerschreck. Damit sie für die Mitte der Gesellschaft unwählbar sind.“ Es geht halt wieder einmal um alles für die CSU: um den Machterhalt in Bayern.

„Rufschädigung durch die Google-Methode“

Dass die CSU dafür die Grünen attackieren muss, ist für Dobrindt klar: „Genau hat er analysiert, aus welcher Ecke der CSU die größten Gefahren drohen. Zumindest in Bayern zeichne sich ‚eine Wachablösung im linken Lager‘ ab, sagt er. Spätestens bei der Landtagswahl 2018 könnten die Grünen erstmals stärker sein als die SPD. … Die größten Zuwächse verzeichnen die Grünen ausgerechnet dort, wo sich die CSU zuhause wähnte – im bürgerlichen Lager.“ Wenn es um den Machterhalt geht, schreckt auch die CSU unter Seehofer vor nichts zurück. Die Methode selber ist kalkuliert und erprobt: „Wer an ‚Grüne denkt, soll den Begriff ‚Pädophilie‘ assoziieren oder ‚Päderast‘. Dobrindt hat kein Problem damit, seine Strategie zu erklären. Selbst im oft zynischen Berliner Politikbetrieb ist das ein seltenes Eingeständnis.“ Dafür, „den Vormarsch der Grünen in die Bastionen des Bürgertums zu stoppen“ hat Dobrindt „zwei Wege identifiziert. Zum einen kann man die Angst der Bürger vor den grünen Steuerplänen wecken. Die Grünen als Steuerschreck darzustellen – das ist die konventionelle Methode der politischen Auseinandersetzung, und Dobrindt lässt dabei nichts anbrennen. Doch das reicht ihm nicht. Er sucht zum anderen nach unkonventionelleren Möglichkeiten, den grünen Gegner zu diskreditieren. Die Grünen und ihre Pädophilie-Vergangenheit – dieser Vorwurf soll sich im Hinterkopf der Wähler festhaken und immer dann aufblitzen, wenn das Gespräch auf die Partei kommt. So hat er die Google-Falle aufgestellt.“

Schwarz-Grün: Schrecken der CSU

Es spricht alles dafür, dass die CSU wieder ein solches Negative-Campaigning versuchen wird. Sie hat uns Grüne weiter für die Rolle des Watschnmanns vorgesehen: „Nachdem die Union keinen eigenen Kandidaten für die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck aufstellen konnte, hatte es für die CSU oberste Priorität, die Unterstützung eines Grünen-Kandidaten zu verhindern“ (dpa 14.11.16). Und es spricht viel dafür, dass wir Grünen ihr wieder bereitwillig dafür Material liefern: „Superreichen-Steuer, Ende des Ehegattensplittings, Abschaffung von Hartz-IV-Sanktionen – das sind einige der Kernforderungen, die auf dem Bundesparteitag beschlossen wurden. … mit diesem Programm machen sich die Grünen für viele Menschen in der Mitte der Gesellschaft unwählbar“, notiert am 12.11.2016 FOCUS-Online. Prompt folgte der aktuelle ZDF-Politbaromenter, bei dem wir binnen 14 Tagen 4 Prozentpunkte bei der politischen Stimmung einbüßten. Wenn wir es der CSU diesmal schwerer machen wollen, uns als Bürgerschreck zurechtzumachen, müssen wir gezielt dagegen halten. „Größtes Hindernis für einen Erfolg der CSU bei der bayerischen Landtagswahl 2018“ wäre, so beschreibt Müller die Befürchtungen der CSU-Strategen, „wenn die Union nach der Bundestagswahl im Jahr zuvor in Berlin eine Koalition mit den Grünen einginge“. Gut zu wissen.

Seit einigen Jahren wird von „neuen Kriegen“ oder „asymmetrischen Kriegen“ gesprochen: wenn Kriege nicht mehr zwischen Staaten, sondern zwischen ungleichen Gegnern ausgetragen werden. Das ist für uns in Bayern zum einen deswegen interessant, weil wir es seit Jahrzehnten mit einem sozusagen übermächtigen Gegner zu tun haben: https://seppsblog.net/2012/10/03/bayern-ohne-csu/; zum anderen, weil Seehofer Landtagswahl mehrfach zur „Mutter aller Schlachten“ ausgerufen hat: https://seppsblog.net/2012/11/09/die-mutter-aller-schlachten-und-der-vater-des-wunsches/. Kürzlich wurde mein Blog sogar wegen dieses Eintrags aus dem Irak aufgerufen. Aber zurück zur Asymmetrie.

David gegen Goliath?
Klassisches Beispiel (vor dem internationalen Terrorismus) ist die Guerilla. Herfried Münkler schreibt in „Imperien“: „Partisanenkrieg wie Terrorismus meiden die unmittelbare Konfrontation mit dem professionalisierten Erzwingungsapparat der angegriffenen Macht; sie umgehen ihn, um – bildlich gesprochen – im Rücken des Feindes aktiv zu werden und ihn durch permanente kleinere Attacken auf seine Nerven und Versorgungsbahnen zu ermatten. Strategien der Asymmetrierung zielen auf einen erhöhten Ressourcenverbrauch der angegriffenen Macht an den Stellen, an denen sie dadurch am empfindlichsten getroffen wird.“ Diese Kampfform soll die eigene militärische Unterlegenheit kompensieren. Denn die Guerilla muss nicht gewinnen, sie darf nur nicht verlieren. Allein ihre bloße Existenz stellt den Staat oder den Eroberer, den sie bekämpft, in Frage: sein Gewaltmonopol, sein Sicherheitsversprechen.

Chancen des Unterlegenen
Eine Möglichkeit, die dem quantitativ unterlegenen zu Gebote steht, ist laut Edward Luttwak („Strategie“) „das relationale Manöver, das nicht die physische Substanz des Feindes an sich zerstören soll, sondern dazu dient, ihn durch Zerstörung kriegswichtiger Systeme handlungsunfähig zu machen“: „Beim relationalen Manöver wird der Feind nicht dort aufgesucht und mit geballter Kraft angegriffen, wo er seine Stärke konzentriert. Der Ansatz besteht vielmehr darin, seine Stärken zu umgehen und ihn auf einem bestimmten Gebiet anzugreifen, auf dem man selbst überlegen ist und wo man auf Seiten des Feindes physische, psychologische, technische oder organisatorische Schwächen erwartet.“ Für den quantitativ Unterlegenen ist es also ganz entscheidend, dass er das Terrain, auf dem er kämpft, selber bestimmt. Das gilt auch für die derzeitigen Wahlkämpfe.

Merkel und Seehofer vermeiden alles, was eine Niederlage bringen könnte
Aber neu ist, dass die numerisch Stärkeren, nämlich die Schwarzen in den schwarz-gelben Regierenden, scheinbar gemäß obiger Guerilla-Taktik handeln. Sie führen in Berlin und in Bayern ihre Wahlkämpfe so, als müssten sie nicht gewinnen, sondern dürften nur nicht verlieren. Die Regierenden vermeiden mit unterschiedlicher Taktik jeglichen Wahlkampf und damit jede mögliche Niederlage: Merkel, indem sie sich nie in Gefechte einmischt, schon gar nicht interne, also unbeschädigt bleibt, unabhängig vom Ausgang jeglicher Scharmützel. Und Seehofer, indem er jedem konkreten Kampf ausweicht und lieber Gelände räumt, als bereits verloren gegebene Positionen zu verteidigen. „Untätigkeit“, sagt Luttwak, „ist nur für saturierte Mächte ein Erfolg“. Wir werden sehen, ob diese Rechnung aufgeht.