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Schlagwort-Archive: Stoiber

Bayerische Gepflogenheiten stecken voller feudaler Hinterlassenschaften. Wir unterhalten und besuchen Schlösser, Opern, Schatzkammern, Ritterturniere, Bauern- und Bürgerfeste, als wären wir in der „guten alten Zeit“ alle privilegiert gewesen. Die schönsten Blüten finden sich, wo sonst, ganz oben. So ist – Demokratie hin oder her – der funktionelle Körper des Königs, äh, Ministerpräsidenten immer noch weitaus gewaltiger als der leibliche. Wie früher die Königin wird deshalb auch die Ehefrau des Ministerpräsidenten auf alle möglichen Staatsakte geschleift oder stellvertretend zu Repräsentationsterminen geschickt, auch ganz ohne Bestallung oder gar Wahl. Dynastische Ausmaße nahm der Körper unter Stoiber an, als neben der Stoiberin auch noch seine Kinder, vor allem seine Töchter, mit auf sämtliche Bühnen gestellt und ausgestellt wurden.

Ein-, Zwei-, Dreifaltigkeit

Folgerichtig wurden „die Stoibers“ auch explizit im Wahlkampf vor weniger als 20 Jahren präsentiert und plakatiert. Wie heute Söder sollte auch Stoiber vermenschlicht werden, indem sozusagen seine weibliche Seite demonstriert wird. Gleichzeitig macht bei bestimmten Staatsempfängen die zeremonielle und alleinige Präsenz seiner Ehefrau deutlich, dass die Funktion, die er ausübt, größer ist als die anderer Ämter und ihr Träger deshalb nicht bloß in die Breite, sondern auch in die genealogische Zukunft verlängert werden will. Aber eine echte Erbfolge hat es in Bayern bisher nicht gegeben – trotz vielversprechender Ansätze bei Goppel, Strauß und Streibl. Dennoch hab ich manchmal meine Zweifel, dass die Monarchie in Bayern wirklich abgeschafft ist. Während meiner Zeit als Abgeordneter und vor allem jüngst im Rahmen der 100-Jahr-Feiern ist mir immer wieder aufgestoßen, wie sehr Regierung und staatliche Institutionen den Wittelsbachern immer noch Reverenz erweisen. Da heißt es dann „Königliche Hoheit“ hier, und „Königliche Hoheit“ da, und der Bückling kann gar nicht tief genug sein.

Königliche Hoheit lässt sich grüßen

Die staatliche Kulturförderung gibt ohnehin die große Masse der Mittel für feudale Errungenschaften aus, für Oper, Gärtnerplatztheater, Königsschlösser, Kirchen und Klöster. Natürlich sind diese auch wesentlicher Teil unserer kulturellen Tradition, aber das bedeutet doch nicht, dass man auch die alten Hierarchien konservieren muss. Vor allem aber ist diese Förderpolitik nicht nur zentralstaatlich, sondern altbayerisch geprägt. Denn wenigstens in Franken und Schwaben haben in früheren Jahrhunderten auch Städte und das Bürgertum eine große historische und kulturelle Rolle gespielt. Die Kulturpolitik ist auch für die Wittelsbacher das Mittel der Wahl, weiter Einfluss zu nehmen. Denn über die Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft und den Ausgleichsfonds haben sie immer noch direkten Zugriff auf Bayerns Kulturschätze. Und der Fonds wirft mit einer Bilanzsumme von rund 338 Millionen Euro jährlich rund 14 Millionen Euro Erträge für die Familie aus. Neben dem Privatvermögen, wohlgemerkt, also den Schlössern Tegernsee, Wildenwart, Leutstetten und Kaltenberg, Immobilien und Industrieanteile sowie Land- und Forstwirtschaft mit einer Fläche von 12.500 ha.

Reserviert für den Adel

Selbst für ein Medium wie die Süddeutsche „spielen die Wittelsbacher nach wie vor eine tragende gesellschaftliche Rolle und genießen weitgehend ein hohes Ansehen“. Letzten Monat hat sie sich gar dahingehend verstiegen, „Franz Herzog von Bayern“ habe „mit seinem Engagement“ erst den Bau der Pinakothek der Moderne „möglich gemacht“. Und der Münchner Merkur musste uns letzte Woche in Kenntnis setzen, dass der „Ur-Urenkel des letzten bayerischen Königs“ karitativ tätig ist: „Prinz marschiert 100 Kilometer für Afrika“. Offenbar gibt es ein unausrottbares, starkes Bedürfnis, dem Adel Reverenz zu erweisen. Und das reicht weit über die Wittelsbacher hinaus. Man denke nur an den Hype um das Phänomen Guttenberg. Und bei allem Klamauk um die selbsternannte „Fürstin“ geht immer unter, dass das Haus Thurn und Taxis laut SZ der größte private Grundbesitzer Deutschlands ist, mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde Euro.

Die Monarchie endet scheinbar nie

Hatten wir nicht mal eine Revolution? Daran haben im letzten Jahr viele Jubiläumsfeiern, Ausstellungen und Vorträge erinnert. Bei den Staatsakten zu 100 Jahre Freistaat wurde allerdings die Revolution kaum und der erste demokratische Ministerpräsident Kurt Eisner gar nicht erinnert. Den Gipfel schoss die Landesausstellung unter dem Motto „Mythos Bayern“ ab: Hundert Jahre Revolution, der König trollt sich, und das staatliche Haus der Bayerischen Geschichte feiert nicht unsere demokratischen Traditionen, sondern inszeniert die Erinnerung an die Abschaffung des Königtums ausgerechnet als „Königstraum“. Darauf muss man erst mal kommen. Bei der Eröffnung wurde wie selbstverständlich von allen offiziellen Rednern „Ihre Königliche Hoheit“ begrüßt. Noch lustiger war, dass eine ganze Sitzreihe reserviert war mit dem Zettel: „Für den Adel“. Hat es die Revolution überhaupt gegeben? Damals, nach dem verheerenden Weltkrieg, hatten Monarchie und Adel abgewirtschaftet. Keine Hand hat sich zu ihrer Verteidigung erhoben. Warum hält sich Neigung, das Knie zu beugen, dennoch so hartnäckig bis heute?

„Nach dem Jubiläum: Was bleibt von der Revolution 1918/19?“ Darüber rede ich am Mittwoch, 17. Juli, um 21 Uhr, im „Landtagsstammtisch“ auf RADIO LORA 92.4 mit dem Direktor des Münchner Stadtarchivs Michael Stephan. Livestream http://lora924.de/?page_id=7853.

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Klima- und Umweltschutz haben es in Deutschland nicht leicht. Da können wir Grünen noch so oft erzählen, dass sie auf Dauer auch ökonomisch unverzichtbar sind. Dafür gibt es allenfalls Zustimmung in schönen Sonntagsreden, aber wenn ökologische Politik konkret werden will, wird bis heute eine Vielzahl ökonomischer oder juristischer Einwände aufgefahren, die jedes Vorhaben erst einmal verzögern oder ganz verhindern. Wie kann es sein, dass sich kurzsichtige wirtschaftliche Interessen so häufig in der Politik durchsetzen? Alle wissen beispielsweise, dass in Deutschland keine Kohle mehr verheizt werden darf, wenn wir einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen. Trotzdem soll der Hambacher Wald mit Hilfe eines erheblichen Polizeiaufgebotes gerodet werden. Beispiele für solche Widersprüche zwischen gesellschaftlicher Erkenntnis und politischem Handeln gibt es viele, von Glyphosat bis Dieselskandal. Die simpelste Erklärung ist dann häufig, dass Geld geflossen sei, durch Bestechung oder Parteispenden. Auch das kommt natürlich vor.

Politische Landschaftspflege

„Pflege der politischen Landschaft“ – https://de.wikipedia.org/wiki/Flick-Aff%C3%A4re – betreiben Wirtschaftsgrößen wie Flick offenbar bis heute: http://www.spiegel.de/plus/august-von-finck-und-die-rechten-der-milliardaer-hinter-der-afd-a-00000000-0002-0001-0000-000160960453. Das gibt es im großen Stil und auch im Kleinen. So hat beispielsweise ein Laborunternehmer – https://uaschottdorf.wordpress.com/2014/07/01/justizsystemfehler-fall-schottdorf/ – Stoiber im Wahlkampf 2005 eine Spende von 20.000 € zukommen lassen: „Anliegend übersende ich Ihnen einen Spendenscheck für die CSU in der Hoffnung, dass er mithilft den angestrebten Erfolg zu erreichen und dass jetzt endlich eine Änderung in Deutschland erreicht werden kann.“ Deshalb macht es durchaus Sinn, „den Einfluss des großen Geldes auf die Politik insgesamt zurückzudrängen“ – https://www.lobbycontrol.de/2018/11/die-schatten-finanzen-der-afd-fragen-und-antworten/. Aber Bestrebungen, „Wahlbeeinflussung durch anonyme Großspenden und Querfinanzierungen künftig zu verhindern“, reichen bei weitem nicht aus. „Wirtschaftsfreunde“ in vielen Parteien müssen nicht bestochen werden.

Keine Kapitulation vor Komplexität

Die machen Politik im Sinne jeder Lobby umsonst und freiwillig. Weil „wir alle im selben Boot sitzen“. Wenn die Kanzlerin „in der Finanzkrise auf die falschen Ratgeber aus Banken“ setzt – https://www.aargauerzeitung.ch/wirtschaft/wie-banker-ackermann-einst-kanzlerin-merkel-einseifte-131311787 – oder Ministerien Gesetzentwürfe von Lobbyisten schreiben lassen, dann weil sie dort die ökonomische Expertise vermuten, die sie bei sich vermissen. Bei uns gilt ein Politiker oder eine Partei ja schon als „Wirtschaftsexperte“, wenn er oder sie bereit sind, Kapitaleignern das schnelle Geldverdienen leicht zu machen – auch wenn sie von ökonomischen Vorgängen keinen blanken Schimmer haben. Es ist nur vernünftig, sich von Experten beraten zu lassen. Aber zum einen gibt es keinen Grund, nur auf eine Perspektive zu setzen, zum anderen muss niemand auf seine Urteilskraft verzichten. So wie die CSU-Größen in der Landesbank, die erst dann wissen wollten, welche Art von Produkten die BayernLB mit ihrer Einwilligung gekauft hatte, als es zu spät war: http://www.sepp-duerr.de/finanzmarktkrise-und-bayernlb-wie-weiter-in-der-krise/. Für mich im Untersuchungsausschuss war immer klar: Ich muss kein Finanzexperte sein, um nachzuweisen, dass die Verantwortlichen keine Ahnung hatten und deshalb unverantwortlich handelten.

Lob des Widerspruchs

Kaum jemand macht etwas, das er falsch findet, gern oder erfolgreich, nur weil er dafür bezahlt wird. Auch Politikerinnen und Politiker handeln am liebsten in der Überzeugung, das Richtige zu tun oder wenigstens das am wenigsten Falsche. Aber selbst wer über einen ausgeprägten eigenen Werte-Kompass verfügt, kann leicht unter großen Konsens- und Konformitätsdruck geraten: durch die öffentliche und die veröffentlichte Meinung, Experten- oder Peer-Gruppen, Klientel- oder parteinahe Interessens- oder Wählergruppen. Je weiter die Entfernung zu dem, was wichtige Gruppen als richtig ansehen, desto schwerer wird es, Kurs zu halten. Und umso stärker wird die Angst vor dem Falschfahrer-Syndrom („Was, im Radio sagen sie, einer fährt falsch? Das sind doch viele!“). Um vom „Common sense“ abzuweichen, dem was „man“ für richtig und vernünftig hält und als „gesunder Menschenverstand“ gilt, braucht es nicht nur allerbeste Argumente, sondern Standfestigkeit und vor allem die Überzeugung, dass abweichende Meinungen nicht von vornherein abwegig oder gar überflüssig sein müssen. Wer eine abweichende Meinung vorträgt, muss ja nicht unbedingt Recht haben, um die Debatte und den allgemeinen Erkenntnisfortschritt voranzubringen. Manchmal ist es schon verdienstvoll, scheinbar naheliegende Antworten in Frage zu stellen.

Barbara Rütting wird 90. „Derzeit, so schwärmt Rütting, befinde sie sich in einer der glücklichsten Lebensphasen: «Im Moment flutscht alles. Der Samen meiner Arbeit geht auf», sagt sie. Das hatte sie allerdings auch schon mal während ihrer Zeit als Abgeordnete der Grünen vor zehn Jahren gesagt; zwei später wandte sie sich von den Grünen ab“, erinnert sich die dpa: „Die Schauspielerin, Tierschützerin, vielfache Buchautorin und Politikerin schultert das alles mit scheinbarer Leichtigkeit.“ Zeit, dass auch wir uns an sie und unsere gemeinsamen Tage erinnern. Denn jemanden wie Barbara trifft man kein zweites Mal. Sie hat viel angepackt in ihrem Leben, und zwar jeweils mit einer beispiellosen radikalen Entschlossenheit, mit einer Eleganz und eben dieser Leichtigkeit, auf die man heutzutage nicht mehr oft trifft. Für alles, was sie öffentlich tat, hatte sie stets die große Bühne und jede Menge Rampenlicht. Eine Diva durch und durch, mit allen Allüren und all ihrer Ausstrahlung.

Ein echter Medienstar

Noch bevor sie nach ihrer Wahl 2003 auch nur einen Schritt in den Landtag gesetzt hatte, war sie schon zu „Maischberger“ eingeladen. Blöd war, dass die Sendung ausgerechnet während unseres ersten Treffens als Fraktion, auf unserer konstituierenden Klausur, sein sollte. Deshalb gab es ein ewiges hin und her. Mir wäre wichtig gewesen, dass sie von Anfang an dabei bleibt und mitbekommt, wie Fraktions- und parlamentarische Arbeit läuft, weil mir schon klar war, dass sie eine Sonderrolle haben würde. Schließlich kam ein Fax von der Fernsehredaktion: „Daher möchte ich an Ihren ‚Grünen-Chef’ appellieren, dass Ihr Auftritt am 30. September bei Sandra Maischberger eine sehr große Publizität für die Bayerischen Grünen bewirkt und wie gesagt ‚topaktuell’ wäre.“ (Man beachte die Anführungszeichen, insbesondere bei „Grünen-Chef“.) Barbara kommentierte, sie könne, auch wenn es im Fax anders dargestellt sei, auch die Woche drauf noch hin. Und als ich einwende, wir bayerischen Grünen kämen die nächsten 10 Jahre nicht zu Maischberger, meint sie cool: „Mit mir schon“. Darin hat sie natürlich Recht behalten. Sie war oft bei den Maischbergers dieses Landes, auch dann noch, als sie längst nicht mehr bei uns Grünen war.

Alterspräsidentin

Schon Wochen vorher hat sie sich auf ihre Landtagsarbeit gefreut und ihre Rede als Alterspräsidentin längst im Kopf. Als der große Tag dann kam, hat sie wirklich gut geredet, wie vorhergesehn, und erstaunlicherweise genauso, wie vorher gelesen. Sie hat eine klare vernehmliche Stimme, der man gerne zuhört, aber selbst sie war erkennbar nervös. Hinterher applaudierten sogar die CSUler, alle waren positiv überrascht, obwohl sie ihre grüne Vergangenheit in Mutlangen und anderswo und ihre pointierten Positionen keineswegs geleugnet hatte. Stoiber erklärte ihr umgehend, er sei ein Fan von ihr. Landtagspräsident Glück, Huber und andere dankten persönlich. Barbara Stamm war hinterher beim Empfang offen: sie hätten anderes erwartet, und auf Nachfrage: dass sie über sie lachen können. So hat sie ihnen Respekt abgenötigt. So respekteinflößend und furchtlos sie sein konnte, zu „Pelzig unterhält sich“ hat sie sich trotzdem nicht getraut. Zum meinem Glück, der ich sie vertreten durfte. Barbara war mir danach sehr dankbar, ganz erleichtert, denn sie wäre ihm „nicht gewachsen“ gewesen. Wie ernst das gemeint war, habe ich verstanden, als wir als Fraktion ihren 80. Geburtstag gefeiert haben.

Die Sache mit dem Humor und den Blasmöslbuam

Da zeigte sich, dass Barbara ganz eigene Vorstellungen hatte, wie wir ihren Geburtstag auf keinen Fall feiern sollten. Sie hat präzise aufgelistet, und ich zitiere ab jetzt wörtlich, „was für mich eine fürchterliche Quälerei wäre an dem so genannten Ehrentag: Alles was in Richtung Kabarett geht – ich bin völlig humorlos. Alles in Mundart, besonders bayerisch, aber auch berlinerisch etc., sowohl gesprochen wie gesungen (ich denke an die bei Grünen so beliebten Blasmöslbuam oder wie die heißen). Alles wo ich irgendwelche Gestalten von früher treffen müsste, aus Kindergarten/Schule/Schauspielzeit etc., ich will mich nicht erinnern müssen.

Dieser Tortur bin ich täglich ausgesetzt in Bahn etc: Erinnern Sie sich nicht, wir haben doch mal im Zug nach Dingsbums nebeneinander gesessen – ich habe Ihnen im Hotel Soundso mal das und das serviert – vor 50 Jahren habe ich Ihnen einen Frosch auf den Bauch gesetzt, als Sie im Bikini im Tennisclub lagen – Also bitte keine Überraschungsgäste, auch keine ehemaligen Ehemänner/Liebhaber etc. Überhaupt nichts ‚Lustiges’!“ – Lustiges in Anführungszeichen.“ Für diese rare Perspektive wird sie in meinem Herzen immer einen Ehrenplatz haben.

Immer gradaus, nie zurück

„Das Leben ist viel zu kurz für Umwege. Ich aber bin entschlossen, von den 80 oder gar 90 Jahren keine Minute zu verlieren.“ Das hat Barbara Rütting vor knapp 60 Jahren gesagt.

Denn so stand es im Drehbuch. Im Nachhinein scheint es das Drehbuch ihres Lebens gewesen zu sein: „Im Rückblick erkenne ich tatsächlich den berühmten roten Faden in meinem ja ziemlich zickzack verlaufenden Leben.“ In ihrer Präsenz und Lebendigkeit ist sie ein Vorbild für viele Menschen. Und zwar nicht bloß wegen des simplen Staunens: Was, in diesem Alter kann man noch so gut beieinander sein? Als Alterspräsidentin hatte sie ja auch gesagt: „Alt werden alleine ist vielleicht noch kein Verdienst. Es kommt wohl darauf an, wie man alt wird, ob resigniert oder mit dem Mut, immer wieder Neues zu wagen. Und zu letzterem möchte ich meine Altersgenossen und Altersgenossinnen ermuntern.“ Das gilt ganz unabhängig vom Alter. Barbara Rütting zeigte und zeigt bis heute: man kann sein Leben mitgestalten. Und am besten ist, wenn man und frau sofort damit anfangen. Das was sie jetzt tut, ist ihr dabei jeweils das absolut Wichtigste. Deshalb sind Fragen nach Oskar Werner, Romy Schneider, Klaus Kinski oder Kirk Douglas nur Nebensätze wert. Danach kommt sie sofort zur Hauptsache: zu den heutigen Aktivitäten.

Politik – ein Missverständnis

An ihrem ersten Plenartag hat Barbara Rütting erklärt: „An meinem 60. Geburtstag habe ich gesagt: ‚Ich bin entschlossen, die kommenden Jahre zu den schönsten meines Lebens zu machen.’ Bisher hat das tatsächlich funktioniert – ich bin jetzt 75 – und ich hoffe auf weitere schöne Jahre mit Ihnen gemeinsam.“ Auf diese Idee ist vor ihr noch keine OppositionspolitikerIn gekommen: der schwarzen Zweidrittelmehrheit schöne Jahre abzuverlangen. Als ich selber neu im Parlament war, haben mich haben die Leute daheim öfter gefragt – und das war eher freundlich-spöttisch gemeint, in Anklang an den großen bayerischen Abgeordneten Josef Filser: ob ich heute wieder nach München zum Regieren fahren würde. Barbara Rütting hat tatsächlich so gehandelt, als ob sie mitregieren würde, als ob es keinen Unterschied gäbe zwischen regieren und opponieren – und sie hatte teilweise Erfolg damit. Aber noch öfter hat sie sich eine blutige Nase geholt und nie verstanden, warum. Sie ist krank geworden davon und hat schließlich das Handtuch geschmissen. Darin hat sich Barbara nie geändert: Sie ist ein völlig unpolitischer, ein zutiefst moralischer Mensch. So ist sie auch seit jeher eine Frau der radikalen Schnitte, d.h. sie hat noch jedes Mal, wenn sie sich mit Haut und Haaren in die nächste Phase warf, alle Brücken in die überwundene Vergangenheit abgebrochen. Deshalb jetzt aus der Ferne – und bei allem Abstand: Danke, liebe Barbara, für Deine Lebendigkeit und Unbeschwertheit, Deinen Stil und Deine Sturheit!

Toiletten haben immer mal wieder eine Rolle in der Politik gespielt. Man denke nur an den römischen Kaiser Vespasian, der sogar eine Latrinensteuer einführte, um den Staatshaushalt zu sanieren, nach dem Motto: „Pecunia non olet“, also „Geld stinkt nicht“. Aber wenn Klos schon mal eine Rolle spielen, kann sie auch gerne unfreiwillig komisch sein. So war in Köln, als ich dort mal durfte, das WC des Oberbürgermeisteramtes mit einem Nummern-Code gesichert: „E 4711“ – Eau de toilettes. Doch es gibt auch noch andere kulturpolitische Aspekte: Jede bedeutende amerikanische Kulturinstitution ist auf private Geldgeber, Spenden und Stiftungen angewiesen. An allen Ecken und Enden muss Sponsoren gedankt, kein Stein könnte verbaut, kein Stück gespielt werden, wenn nicht ein großzügiger Geber dafür zahlte. Im Katharine Hepburn Cultural Art Center an der Ostküste beispielsweise kommt nicht mal das Klo ohne Sponsorentafel aus, allerdings stinkt scheinbar dann doch irgendwas. Denn die Tafel besagt: „Men’s Room donated by Anonymus Donor”. Wenn man mal damit anfängt, findet man viele solcher Klogeschichten.

Noch mehr Klogeschichten

So hat die Frankfurter Commerzbank mal mit einem Hochglanzfoto ihrer Herrentoilette geprahlt: vier Urinale, direkt vor der Glasfassade, hoch über der Stadt. Was sollte uns das sagen? Diese Banker pissen auf die Welt? Natürlich muss ich da sofort an den Landesbank-Untersuchungsausschuss von 2008 denken. Als ich Erwin Huber nach dreieinhalb Stunden für ihn nicht sehr erquicklicher Befragung auf der Toilette treffe, hat er offenbar seinen angriffslustigen Humor wiedergefunden. Ich hatte in der Früh ein Radio-Interview zur baldigen Landtagswahl gegeben. Darauf er: „Wenn Ihr nicht mit uns koalieren wollt, kommt Ihr ja nie in die Regierung.“ Das Klo ist halt eine Kommunikationsstätte. Das gilt nicht nur in der „großen“ Politik. Unser früherer Bürgermeister Rudi Bay hat oft und gern erzählt, wie es zur Stadterhebung Germering kam. Zufällig sei er mal auf dem Nockherberg-Klo neben dem damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef gestanden. Und geistesgegenwärtig habe er diese Gelegenheit für einen informellen Antrag genutzt. Der formelle Vorgang hat sich trotzdem hingezogen. Zur Überreichung der Stadturkunde kam dann Innenminister Stoiber; Strauß war da schon etliche Jahre tot.

Klogespräche

Zu so einer spontanen Audienz hätte es im Berliner Reichstag nicht leicht kommen können. Denn hier müssen die Männer zum Pinkeln einzeln in verschließbare Kabinen gehen. Männertoiletten sind ja als Brutstätten von Intrigen und Seilschaften verschrien. Manchmal allerdings kommt ein solcher Verdacht zu Unrecht auf. So habe ich mich mal in der Pause einer Fraktionssitzung auf der Landtagstoilette mit einem Kollegen unterhalten, ein paar Tage vor dem schließlichen Rücktritt unserer damaligen Vorsitzenden. Ich hatte ihr eben offen erklärt, dass sie mein Vertrauen nicht mehr habe; und dann musste ich mir auf dem Klo vorhalten lassen, dass ich nicht einen Schritt weiter gegangen sei. Dabei hatte er in der Sitzung seine Solidarität und Unterstützung erklärt. Dieses Gespräch machte dann als Gerücht die Runde, er und ich hätten auf der Toilette ein Komplott geschmiedet. Aber wo soll das Komplott sein, wenn ich mich ihr gegenüber doch offen erklärt hatte? Anscheinend hatte jemand still mitgehört und danach seine eigene Geschichte erzählt. Seitdem schau ich immer vorsichtshalber, ob die Kabinen alle leer sind.

Im Waschraum

Wenig Scheu vor Mithörerinnen dagegen hatte vor zweieinhalb Wochen unser ehemaliges Fraktionsmitglied Claudia Stamm. Das war noch weit vor ihrem Austritt letzte Woche, bei einem grünen Kongress im Landtag. Eine mittelfränkische Parteifreundin hatte sie im Waschraum der Toilette für ihre Landratskandidatur vor fünf Jahren gelobt. Darauf fing sie an, sich lautstark zu beklagen: Die Grünen hätten ihr diesen Erfolg so geneidet. Und in der Fraktion werde sie bis heute gemobbt. Schon als sie damals nachgerückt sei, also vor gut acht Jahren, habe man es ihr schwer gemacht. Darüber habe sie auch schon mit ihrer Mutter gesprochen. In diesem intimen Gespräch ließ sie sich auch nicht stören, als andere Frauen die Toilette nutzten oder sich in Unschuld die Hände wuschen. Eine von denen hat‘s mir dann brühwarm weitererzählt. Öffentliche Toiletten sind halt nur vermeintlich „stille Örtchen“.

So ein Untersuchungsausschuss bringt nichts. Wer das sagt, ohne eine einzige Akte in der Hand zu haben, hält auch sonst wenig von Aufgaben und Funktion der Opposition. Diese Behauptung taucht trotzdem immer wieder auf, wenn wir, wie in diesen Tagen, einen Ausschuss abschließen (Haderthauers Modellbauunternehmen) oder einsetzen (Salmonellen-Eier). Auf den ersten Blick scheint das ja noch halbwegs plausibel. Denn Christine Haderthauer musste zwar wegen ihrer dubiosen Geschäfte als Ministerin zurücktreten; aber jetzt, am Ende eines langen, zähen Prozesses, sieht Seehofer sie „rehabilitiert“ und sogar wieder als ministrabel an. Der Untersuchungsausschuss wegen versagender staatlicher Lebensmittelkontrolle wiederum ist ja nicht der erste. Es sind genau die gleichen Defizite, die schon Anfang des Jahrhunderts beim BSE-Skandal auffällig wurden und bereits einmal zu einem Untersuchungsausschuss führten, damals wegen massenhaften, ungeahndeten Gammel- und Ekelfleisch-Verkäufen. Hat also alles nichts gebracht?

Vom Wert der Opposition

Heutzutage muss man auch einfache Gedankengänge behutsam auspacken, wie eine fest verzurrte und verklebte Sendung mit leicht zerbrechlicher Ware. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn sie in „uneigentlicher Sprache“, satirisch oder ironisch, vorgebracht werden. Also: Wenn bayerische Kabarettisten früher spotteten, in Bayern bräuchte es keine Opposition, weil das die CSU schon selber und besser könne, dann war das – ich erkläre das gerne langsam und zum Mitdenken – eine Kritik an vordemokratischen Zuständen. Wenn heute Journalisten das gleiche schreiben, dann meinen die das ernst: dass die bayerische Opposition überflüssig sei bzw. sich selber überflüssig mache. Manche erklären das dann „objektiv“ damit, dass sie angesichts fehlender Erfolgsaussichten nur zweitklassiges Personal rekrutieren könne. Das schreiben die ganz ernsthaft – angesichts eines CSU-Kabinetts, das Großteils aus Leuten besteht, deren zentrale Qualifikation darin besteht, über CSU-Ämter und das gerade passende Geschlecht bzw. die noch fehlende regionale Herkunft zu verfügen. Die Namen dieser Leute muss man gar nicht nennen, weil sie sowieso keiner kennt. Beides hängt zusammen: die mediale Überhöhung noch des dürftigsten Personals der faktischen Machthaber mit der Missachtung der Arbeit der Opposition, ihrer behaupteten Ohnmacht und ihres angeblich vergeblichen Wirkens.

Recht hat, wer die Macht hat

Dahinter steckt ein gesellschaftlicher Trend, den Oliver Nachtwey in seiner Bestandsaufnahme über „Die Abstiegsgesellschaft“ analysiert hat. Kern dieser Gesellschaft ist, dass „das liberale Leistungsprinzip in jüngster Zeit ausgehöhlt wurde; stattdessen entstand eine Kultur des Erfolgs, in der nicht der Aufwand, sondern das Ergebnis zählt. Die ökonomischen und politischen Eliten stilisieren sich zu Leistungsträgern, und Leistung definieren sie über ihren Erfolg. Zum zentralen Bewertungsmaßstab des Erfolgs wurde – in einem monströsen Akt der Selbstreferentialität – der Erfolg selbst. Damit ist der Manager aufgrund seiner Position in der gesellschaftlichen Hierarchie ein Leistungsträger, unabhängig von seinen tatsächlichen Leistungen. … Die Verlierer werden dadurch die verdienten Verlierer und die Gewinner die verdienten Gewinner.“ Die Vergötzung des Erfolgs verdammt die Loser auch moralisch und beraubt sie aller Handlungsmöglichkeiten, auch der politischen. Zum Glück lassen sich nicht alle vom Goldenen Kalb blenden. So hat die Süddeutsche Zeitung diesmal, anders als in früheren Fällen, den indirekten Wert des Haderthauer-Untersuchungsausschusses verteidigt: http://www.sueddeutsche.de/bayern/kommentar-bayern-besser-machen-1.3388969. Er trage mit dazu bei, „Bayern besser zu machen“.

Kontrolle wirkt

Seit ich im Landtag bin, habe ich bei sechs von elf Untersuchungsausschüssen mitgewirkt, in dem ich entweder vorher Vorgänge, auch mit Hilfe einzelner Medien, aufgedeckt und skandalisiert („Deutscher Orden“, Hohlmeiers „WM-Task-Force“), den Fragenkatalog erarbeitet habe (Gammelfleisch) oder von Anfang bis Ende dabei war (Fehlspekulationen der Landesbank; HGAA; Schottdorf). Oft müssen die Verantwortlichen – wie Hohlmeier und Haderthauer – schon vorher zurücktreten oder werden danach zurückgetreten (wie Sauter wegen Stoibers LWS und Huber nach verlorener Wahl). Das sind nur die sichtbarsten Folgen. Dabei ist die Wirkung von Kontrolle nicht leicht zu überschätzen. Insbesondere auch die Wirkung fehlender Kontrolle. Es hat sich bei den Befragungen immer wieder gezeigt, wie hart es bayerische Beamtinnen und Beamte angeht, wenn sie auffallen und gar zum Chef zitiert werden. Niemand will sich rechtfertigen müssen, schon gar nicht, wenn es dafür Bedarf gibt. Funktionierende Kontrolle ist eine Ermutigung für die ordentlich Arbeitenden. Öffentlich wahrnehmbare Kontrolle ist eine unerlässliche Pflichtaufgabe der Opposition.

Demokratie braucht Kontrolle

Ohne sie verbreitet sich leicht ein Gefühl politischer Ohnmacht: „Die machen ja eh, was sie wollen.“ Die andere Aufgabe ist natürlich das Anbieten von Alternativen, personell wie inhaltlich. „Wenn die Dinge nicht anders sein könnten, kann man nicht von einer Demokratie sprechen“, hat Armin Nassehi bei einem der Akademiegespräche im Landtag erklärt. Deshalb sei „die Opposition die eigentliche Kraft der Demokratie, und zwar eine Opposition, die innerhalb des Systems der Demokratie angesiedelt ist“. Dazu kommt: Mächtige, egal ob in Wirtschaft oder Politik, brauchen Rückkoppelung. Denn, so hat der Psychiater Thomas Loew erklärt – http://www.mittelbayerische.de/region/regensburg-stadt-nachrichten/eine-lichtgestalt-scheitert-21179-art1476359.html: „Gerade Menschen, die etwas bewegen möchten, genießen das gute Gefühl, Verantwortung zu tragen, beklatscht zu werden, gewollt zu sein. Dieses Gefühl liegt in gefährlicher Nähe zu dem Gedanken: Mir kann keiner was.“ Genau deshalb sei auch die Kontrolle in der Politik so wichtig. Sichtbare Kontrolle erinnert daran, dass sich niemand eigene Regeln herausnehmen kann. Selbst wenn ein Untersuchungsausschuss sonst wenig brächte, wäre das immer noch ein unverzichtbarer Beitrag zu einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie.

Wir gehen ein paar Tage auf „Klausur“, wie jeden Januar, und wie alle anderen Fraktionen auch. Mit klösterlicher Abgeschiedenheit hat eine politische Klausur ungefähr so viel gemein wie die Fernsehshow Big Brother. Aber wie oft bei politischen Begriffen führt auch das Wort „Klausur“ nur halb in die Irre. Denn wir ziehen uns ja tatsächlich zu Besinnung und Arbeit an einen Ort abseits des gewohnten Betriebes zurück. Jedoch schließen wir uns dabei nicht, wie das die Ursprungsbedeutung meint, automatisch von der Welt ab. Wir gehen nicht „in Klausur“, sondern „auf Klausur“, und haben dabei zwar weniger Rollenzwang und mehr Bewegungsfreiheit, aber nicht so viel mediale Aufmerksamkeit wie die Insassen des TV-Containers. Immerhin kann auch bei uns gelegentlich mal jemand rausgewählt werden. Denn so eine zusammengewürfelte, in einer Art lockerer Kasernierung zusammengeschlossene Gruppe kann eine eigene, alle überraschende Dynamik entwickeln.

Wie eine Selbsterfahrungsgruppe

In diesen paar gemeinsam verbrachten Tagen kann man eine ganze Menge erfahren über sich als Gruppe – und nicht immer sind diese Erfahrungen nur angenehm. Wie in jeder anderen Selbsterfahrungsgruppe auch. Bei meiner ersten Klausur habe ich mich, das weiß ich noch genau, wie ein Fremdkörper gefühlt: ungewollt, ausgeschlossen, als Störfaktor. Die anderen hätten offenbar alle gut ohne mich Neuen auskommen können. Auf der zweiten Klausur war ich begeistert über die Vielfalt, die ich in unserer Fraktion vorfand und aus allen Ecken unseres Sitzungszimmers hören konnte: die unterschiedlichsten Typen und Dialekte waren vertreten, ein richtiges Multikulti, vom unterfränkischen Hessisch bis zum tiefsten Allgäuerisch, von Pfälzisch bis Nürnbergerisch. Bei meiner dritten Klausur war ich platt, wie viel Zündstoff sich in der von mir für so harmonisch gehaltenen Fraktion tatsächlich aufgestaut hatte. Auch das passend zur Selbsterfahrungsgruppe. Nur dass auf Klausur halt kein Moderator dabei ist, kein herausgehobener Kursleiter, so dass die Leitung selber leicht zum Problem werden kann.

Druck auf dem Kessel

Wenn es interessant wird, und gerade auch, wenn es intern wird, kann mit besonderer medialer Aufmerksamkeit gerechnet werden. Da muss dann der Deckel drauf. Größter diesbezüglicher Erfolg unserer ansonsten gespaltenen Fraktion war, dass es uns vor sechs Jahren von Mitte Dezember bis Mitte Februar gelungen ist, den Rücktritt unseres Fraktionsvorsitzenden geheim zu halten. Damit haben wir dafür gesorgt, dass die Berichterstattung zu Anfang des Jahres und insbesondere von der Klausur mit politischen Inhalten und nicht mit Personalfragen voll war. Meist haben ja die Fraktionen auf ihren Klausuren gerade dann viel öffentliche Aufmerksamkeit, wenn sie die gar nicht brauchen. Das liegt dann nicht zuletzt an buchstäblich „embedded journalists“, also mitgereisten Landtagskorrespondenten oder örtlichen Medienvertretern, die, wenn es sein muss, fast rund um die Uhr mit dabei sind und häufig auch im gleichen Hotel übernachten. Die berichten offenbar nichts lieber als interne Machtkämpfe und Streitereien. Da mag die Macht, um die gestritten wird, auch noch so klein sein. Dass wir in wirklich ruhigem Fahrwasser sind, kann ich spätestens dann erkennen, wenn kein Journalist die ganze Klausur mit uns verbringen will.

Botschafter unserer selbst

Wenn wir nicht gerade mit uns selber beschäftigt sind, bieten Klausuren die beste Plattform, um aktiv die Landespolitik zu bestimmen. Nur auf diesen beiden Terminen im Januar und September können wir auch als Opposition eigene Themen setzen, so wie das sonst nur der CSU mit Regierungserklärungen und Verlautbarungen gelingt: Wir sagen was und die anderen müssen darauf reagieren. Umso wichtiger ist natürlich, dass wir die Gelegenheit gut nutzen. Schon relativ kurz, nachdem ich dabei war, haben wir versucht, bei Klausuren mehr klare Botschaften und Ziele zu setzen und überhaupt auf Außenwirkung zu achten. Denn man hat z.B. auf Bildern von Besuchen, die wir etwa in Tagesstätten machten, nicht immer auf Anhieb erkannt, wer die Kindergärtnerin war und wer die Abgeordnete. Gerade bei den Fernsehbildern geht es ja am wenigsten um Inhalte, sondern um Wirkung. Wer bei Kameraschwenks über die Klausurtagung gelangweilt rumlümmelt oder schwätzt, wird im Gegenschnitt bewusst oder unfreiwillig den stummen Kommentar abgeben zum Text, der vorne gesprochen wird. Wir haben beschlossen, grüne Klischeebilder, also Stricken, Schlabberlook und Birkenstock, zu verweigern und den Kameras gezielt andere Bilder zu liefern. Mit meinem neu erworbenen, demonstrativ aufgeklappten Laptop bin ich dann auch prompt das erste Mal „ins Fernsehen“ gekommen.

Kreuther Geist

Der CSU ist es ja gelungen, mit „Kreuth“ einen eigenen Klausur-Mythos zu schaffen. Der wird dann vorher regelmäßig von den Medien aufgerufen, aber nur ganz selten erscheint der Geist von Kreuth dann wirklich und leibhaftig. Insofern war der Putsch gegen Stoiber eine schöne Überraschung. Dass da was im Busch ist, hatte sich seit Stoibers Kehrtwende 2005 abgezeichnet, als er doch nicht als Superminister nach Berlin gehen und in Bayern das Feld räumen wollte. Schon auf der Kreuther Klausur 2006 waren die CSUler mit Wundenlecken beschäftigt und tief verunsichert. Als damals Stoiber den Bayerischen Filmpreis an Maximilian Schell übergab, kalauerte Spaenle, selber noch kein Kabinettmitglied, unter Anspielung auf den Ex-Minister Lafontaine: „Der eine hat den Oskar, der andere macht ihn.“ Dann setzte der damalige Fraktionsvorsitzende Joachim Herrmann den brodelnden Kessel richtig unter Druck, als er ankündigte, er werde die Fraktion schon auf der Klausur auf Stoiber als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2008 festlegen. Da halt dann mal den Deckel drauf. Alois Glück hat später eingeräumt, dass auch unsere Drohung mit einem Abwahl-Volksbegehren angesichts der miserablen Zustimmungswerte für Stoiber eine Rolle spielte. Gerne erinnere ich mich auch an die Sprachlosigkeit des aus Kreuth übertragenden Bayerischen Fernsehens, ein stammelnder Siegmund Gottlieb und ein stummer, vergeblich in der Kälte wartender Live-Berichterstatter.

Kretschmanns Irrtum

Verschiedentlich war ich auch auf Klausuren anderer zu Gast, so beispielsweise als die Grüne Bundestagsfraktion uns mit ihrer Klausur in Miesbach im Endspurt des Landtagwahlkampfs 2003 unterstützte. Zusammen mit dem großen Joschka Fischer haben wir unser kleines Plakat der Presse präsentiert, mit dem wir die Zwei-Drittel-Mehrheit der „Schwarzen Macht“ eher beschworen als behinderten. Und im Januar 2008 hat mich mein früherer Kollege als Fraktionsvorsitzender Winfried Kretschmann nach Baden-Württemberg einladen lassen: „Der eigentliche Anlass für unsere Einladung ist die Wahrnehmung, dass ihr in Bayern gerade gut drauf seid, pfiffige Kampagnen und Aktionen fahrt, insgesamt, so scheint es, eine frische Politik macht. Da wir bisweilen von uns selbst den Eindruck haben, vom Alltagsgeschäft gefressen zu werden und manchmal auch zu viel Routine walten lassen, dachten wir: „von den Bayern lernen, heißt siegen lernen“ :-)“. Ich bin brav hingefahren nach Tübingen und hab von unseren bescheidenen Bemühungen berichtet und damals schon gewusst, dass es besser umgekehrt gelaufen wäre: Wenn wir doch von ihnen hätten siegen lernen können.

Wie in jeder ordentlichen bürgerlichen Familie ist die Zeit der Weihnachtsfeiern auch bei uns in der Landtagsfraktion schon oft die Zeit von Krach und Ärger gewesen. In den letzten Sitzungswochen vor den Feiertagen haben wir so manchen Abgeordneten und manche Fraktionsvorsitzende im Streit verloren. Die Voraussetzungen für solche Zerwürfnisse sind in diesen Tagen immer besonders günstig: Wenn sich so viele Menschen regelmäßig so häufig treffen und so hohe Erwartungen aneinander haben, die ebenso regelmäßig enttäuscht werden, und man so lang und eng beieinander ist wie sonst selten, kann man sich nötigenfalls gehörig auf die Nerven gehen. Besonders professionell ist das vielleicht nicht, dass Kolleginnen und Kollegen beispielsweise Kritik an ihren Initiativen oder Argumenten persönlich nehmen, statt als Chance, diese zu verbessern. Aber es kommt halt leicht mal vor. Umso leichter, je enger und öfter man aufeinandersitzt.

Lauter Streit statt stader Zeit

Der Weihnachtskrach ist ein Phänomen, das deshalb nicht nur uns Grüne, sondern gerne mal das ganze Parlament befällt. Wie vor der Sommerpause wollen auch vor den Weihnachtsferien die meisten Abgeordneten in einer Art Torschlusspanik auf die Schnelle Feuerwerke zünden, Weltruhm erringen oder sonst allzu lang Versäumtes doch noch nachholen. Der Druck vor den sitzungsfreien Wochen ist deshalb enorm. Und dann hocken eben noch alle ungewöhnlich lang und eng aufeinander: An drei aufeinanderfolgenden Plenartagen ist Vollversammlung. Kein Wunder, dass dann bei den Debatten im Plenum die Nerven bei vielen blank liegen. Jeder Streit sollte allerdings möglichst angezettelt, durchgefochten und wieder beigelegt sein, bevor am Ende der Sitzungsperiode salbungsvolle Worte der Präsidentin, eines SPD-Vorstandsmitglieds als Vertretung der Opposition und des Ministerpräsidenten alle in die Parlamentsferien verabschieden. Krach, Krisen und Intrigen häufen sich in dieser Zeit. Direkt besinnlich ist die parlamentarische Vorweihnachtszeit selten.

Ja, ist denn heut schon Weihnachten?

Weihnachten, Zeit der Krisen. Nie war das wahrer als im Dezember 2000, als auch in Bayern BSE-Fälle gefunden wurden. Wo sich die CSU und ihre verantwortlichen Minister bis hinauf zum Chef selber doch so sicher waren, im Land der Seligen und der garantierten „Qualität aus Bayern“ zu leben. Ich war kurz zuvor Fraktionsvorsitzender geworden. Da hat mich Stoibers damalige rechte Hand, der Staatsminister Erwin Huber, angerufen. Damals war Huber noch nicht verbittert und frustriert ob der eigenen Unzulänglichkeit, sondern noch voll launigem Selbstbewusstsein: Ob das denn für mich nicht wie Weihnachten wäre, wenn er persönlich bei mir zu Hause anrufe? Ob ich erfreut sei, wollte er wissen. Weniger erfreut, als überrascht. Der Ministerpräsident wolle vor einem Sonderplenum des Landtags eine Regierungserklärung zu BSE abgeben. Davon wolle er mich unterrichten, bevor sie an die Presse gingen. Ob sich der Ministerpräsident sich überhaupt aus der Deckung hervorwage? gab ich zurück. Und ob denn die Gesundheitsministerin Stamm damit gerettet sei, wenn er sich so deutlich vor seine Minister stelle? Am 9. Januar werde nicht über Personalien gesprochen, sondern über Sachpolitik. „So wie immer bei uns“. Da war der Befreiungsschlag auf Kosten der bald Ex-Ministerin wohl schon vorbereitet.

Landtags-Weihnachtsfeier: Gemeinsam Leut ausrichten

Kein Weihnachten ohne eine anschwellende Flut von Feiern. Wenn man halbwegs wichtig sein will, muss man da dabei sein. Eine der wichtigsten, weil aktuellste Infobörse und wertvoller politischer Pegelstandsmesser, ist das alljährliche Weihnachtsessen des Landtags mit den Pressevertretern. Da kann man erleben, wie sehr amtierende und gewesene CSU-Minister ihre Kabinettskollegen als Konkurrenz betrachten und sich kaltlächelnd über deren Fehler und Eigenheiten auslassen. Gerne und genüsslich in Gegenwart des politischen Gegners. So erfährt man, wer machtpolitisch noch dazu gehört, obwohl er schon zurückgetreten ist oder wurde: wie Sauter, der auch nach seiner Entlassung wie selbstverständlich neben den Mächtigen an den reservierten Tischen Platz nahm. Und man erfährt, wer schon weg ist, obwohl er oder sie offiziell noch da sind, wie Noch-Ministerin Hohlmeier im Dezember 2004. Wie immer, wenn solche Stürze erwartet werden, war der Plenarsaal voller fremder Fotografen, gekommen, um ihren Absturz abzulichten. Am Abend bei der Landtagsweihnachtsfeier kamen die CSU-Jungtürken später an unseren Tisch, um sich gleichsam nach vollbrachter Tat Applaus und Bestärkung in ihrem Kampf gegen die bis dahin stärkste Hoffnung der CSU zu holen: Drei künftige Kabinettsmitglieder: sie („wir 94er“) hatten sich zwecks Karrierehilfe zusammengetan, hatten schon Ausschussvorsitze besetzt und wollten nun weiter nach oben. Zwei Meter weiter stand die gerade auch von ihnen angeschossene Hohlmeier, von Journalisten belagert. Warum brauchten diese Buben meine Anerkennung?

Advent, Advent, der Christbaum brennt

„CSU stimmt gegen eigenen Antrag“, lauteten die schönen Schlagzeilen, nachdem wir sie im Dezember 2001 über ihren alten Antrag zu Factory-Outlet-Centern hatten abstimmen lassen. Stoiber hatte damals eine seiner Kehrtwenden hingelegt. Deshalb musste die CSU-Fraktion vor der Beratung unseres Antrags extra eine Fraktionssitzung anberaumen. Im Plenum kam es dann zu einer dreistündigen Debatte, in der vor allem der damalige Wirtschaftsminister überschnappte und ausfällig wurde – nachdem ich ihn permanent mit Zwischenrufen gereizt hatte. Die SZ schrieb am Tag drauf unter „Frohe Weihnacht“ in der Rubrik „Aus der Landespolitik“: „Weil Schnappauf, der immer noch so aussieht wie der Klassenstreber kurz vor dem Abitur, für eine derbe Replik zu zartbesaitet ist, musste ihm sein Kollege Otto Wiesheu zeigen, was so ein richtiger bayerischer Bulldozer ist. Wiesheu wurde durch ständige Zwischenrufe des Grünen-Fraktionschefs Sepp Dürr gereizt und erreichte blitzartig seinen Siedepunkt. ‚Mei, da muss ma doch a bissl leer sein im Kopf, wenn ma so a dusseliges Zeug daherredt’, blaffte der Minister. Als Dürr keine Ruhe gab, äffte ihn Wiesheu vom Rednerpult aus nach. ‚Bähbähbäh’, keifte der Minister in Xanthippen-Tonlage.“ Gute Argumente sind schon was wert.

Virtuelles Weihnachtskrächlein

Nicht immer läuft es so unterhaltsam. Obwohl der erfahrene CSU-Kollege Freller damals auf der Weihnachtsfeier am Abend vorher, als die Stimmung noch völlig ungetrübt war, warnte: In den zwanzig Jahren, die er im Landtag sei, habe es siebzehn Weihnachtskräche im Plenum gegeben. Das war, wie gesagt, kurz vor dem 18. Krach. Damals hat sich die Regel noch mal bewahrheitet. Seitdem sind schon etliche Male beste Gelegenheiten für eine zünftige verbale Rauferei ausgelassen worden. Heuer beispielsweise hatte der CSU-Fraktionsvorsitzende scheinbar alles auf Eskalation angelegt, er hat Fakten verdreht, aufgehetzt und uns Grüne kräftig beschimpft und übel beleidigen und bedrohen lassen – aber alles rein virtuell, nur auf der CSU-Facebook-Seite. Da hat man dann doch den Unterschied gemerkt zum richtigen Leben und einer realen Plenardebatte. Wegen solcher Halbstarker ist der Weihnachtskrach grundsätzlich in Gefahr, ein zahnloser Tiger wie der „Mythos Kreuth“ zu werden: Jedes Jahr vorhergesagt, mit allzu großen, aus einer allzu fernen Vergangenheit gespeisten Erwartungen auf Hauen und Stechen, Krach und Streit. Aber am Ende mehr zitiert als passiert.

Dass die Bayerische Landesbank für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler unseres Landes dank der größenwahnsinnigen CSU-Politik und ihrer Milliarden-Aufkäufe beispielsweise von ABS-Papieren in den USA oder Pleitebanken in Kärnten zum Milliardengrab wurde, hat sich mittlerweile herumgesprochen – https://seppsblog.net/2015/07/09/grosenwahn-und-verantwortungslosigkeit-csu-fuhrung-schuld-an-milliardenverlusten-der-bayernlb/. Weniger bekannt ist, dass die Geschichten über die CSU-Führungsriege und ihre Finanzabenteuer auch ein Fundus menschlicher Komödien, von Slapstick über Farce, Satire bis hin zu viel schwarzem Humor ist.

Stoibers Stoiber-Parodie

Zu den komödiantischen Höhepunkten des zweiten Landesbank-Untersuchungsausschusses hat sicher der Auftritt des früheren Ministerpräsidenten Stoiber gehört. Er hat die Erwartungen voll erfüllt. Er gab sich unverändert, auch wenn sich die Welt um ihn erheblich geändert hatte. Er hat nochmals vorgeführt, was wir an ihm hatten. Da waren dann erkennbar auch viele in der CSU froh, dass wir ihn nicht mehr haben. Was wir vermissen, sind höchstens seine kabarettreifen Einlagen. Ein Beispiel: Haider hatte öffentlich damit angegeben, er hätte sich mit Stoiber getroffen. Das hat Stoiber vehement zurückgewiesen, mit dem denkwürdigen Satz: „Der Vater des Wunsches ist hier letzten Endes der Gedankengang.“

Wirtschaftskompetenz der CSU: eine Lachnummer

Ein satirisches Highlight war auch der Blick hinter die Kulissen des Wirtschaftsministeriums unter Erwin Huber. Wenn der Minister oder sein Stellvertreter nicht an Aufsichtssitzungen teilnahmen, und das war häufig der Fall, war es völlig von Informationen abgeschnitten. Vor allem dann, wenn ein Punkt nicht auf der Tagesordnung stand, die Tischvorlagen wieder eingesammelt wurden, die Protokolle aber erst, wie häufig, zur übernächsten Sitzung fertig waren – wie beispielsweise an dem Tag, an dem der Vorstand den Kauf der HGGA vorschlug. Das Ministerium fertigte für Huber deshalb folgende Empfehlung: „Die Unterlagen wurden erst heute zur Verfügung gestellt. In der kurzen Zeit ist eine profunde Prüfung der Unterlagen nicht möglich. … Bewertung: Die Gelegenheit eine Bank, die in den Märkten Südosteuropas tätig ist, erwerben zu können, ist selten. … Es konnte in Erfahrung gebracht werden, dass der angedachte Beteiligungserwerb sowohl von Seiten des StMF als auch von Seiten des StMI unterstützt wird. Dem Beschlussvorschlag kann zugestimmt werden.“

Auch hinterher groteske Verantwortungslosigkeit

Nachdem die Staatsanwaltschaft ja bereits gegen die Vorstandsmitglieder ermittelte, durfte jeder im HGAA-Untersuchungsausschuss jegliche Auskunft verweigern. Bei Rudolf Hanisch beispielsweise habe ich vergeblich nachgefragt: „Können Sie mir sagen, ob Sie Aufsichtsrat der HGAA waren, ohne sich zu belasten?“ Er konnte es nicht.

Auch der ehemalige CSU-Landrat, damalige Sparkassenpräsident und Verwaltungsrat Naser versuchte, die Aussage zu verweigern. Bis ihm der Untersuchungsausschuss mit einer finanziellen Ordnungsstrafe drohte. Naser ist ein Mann, den vor der Einvernahme im Ausschuss vor allem die Frage umtrieb, ob der Landtag seine Übernachtungs- und Fahrkosten zahlt. Die Aussicht auf 1000 Euro Strafe hat ihn dann prompt zum Reden gebracht.

Die CSU-Granden als Weltökonomen

Selbst mitten in der Krise haben die CSU-Weltökonomen noch nicht kapiert, worum es geht. Erwin Huber, für die CSU ja heute noch als Vorsitzender im Wirtschaftsausschuss, nannte am 19.02.2008 die Behauptung, „der bayerische Steuerzahler werde durch die Anlagepolitik der Landesbank in irgendeiner Form belastet, … falsch und irreführend“: „Ich stelle fest: Es gibt keine Krise der Bayerischen Landesbank.“ Und Ex-Ministerpräsident Beckstein „erkundigte sich persönlich bei der Führung der Bayerischen Landesbank, wie dramatisch die internationale Bankenkrise für die BayernLB werden könnte. Beckstein wurde beruhigt. … ‚Zahlen von zwei Milliarden Euro sind Horrorvorstellungen, die mit der Realität nichts zu tun haben’, sagte Beckstein“, am 2.2.08. Ein Anruf als Kontrollinstrument, so haben sich die CSU-Granden bis zum Schluss Eigentümerverantwortung vorgestellt. Folglich hat Beckstein zwei Wochen später klargestellt, „er sei bei der Landesbank ein ‚Außenstehender‘, der nur darauf vertrauen könne, dass die Informationen des Vorstands korrekt seien“.

Der Finanzminister versteht sie nicht, diese neumodischen Finanzprodukte

Skurril wurde es auch, als der frühere Finanzminister und Verwaltungsratsvorsitzende Faltlhauser allen Ernstes erklärte: „Ich ärgere mich, dass ich nicht öfter, in früheren Jahren schon, auf die Entwicklung komplexer neuer Produktstrukturen … mit etwas zynischen – das haben sogar Sie im Haushaltsausschuss mitbekommen – Bemerkungen über diese ganzen Entwicklungen, dass ich es da bei Bemerkungen belassen habe, anstatt zu sagen: Was passiert denn da eigentlich? … Wir übernehmen – lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen – aus den USA sämtlichen Unsinn, den es gibt … Wir machen alles mit. Dann überlagern wir Sämtliches und machen dadurch alles unsichtbar und vernebeln es mit einer anglizistischen Sprachwelt die man kaum noch nachvollziehen kann. … Das macht weltweit die ganze Übersichtlichkeit schwer. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das manche, die das konstruiert haben, auch beabsichtigt haben.“ In den USA sprach man damals vom „stupid German money“.

Die CSU-Regierung hat sich gerade wieder dafür feiern lassen wollen, dass sie die Verluste für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wegen des Debakels der Landesbank um eine Milliarde verringert habe. Da könnte man leicht vergessen, dass spätestens seit Stoiber alle CSU-Regierungen zu diesen Verlusten in zweistelliger Milliarden-Höhe beigetragen haben.

Landesbanken wie die unsere waren ja nicht lediglich Opfer der Finanzmarktkrise, sondern aktive Mittäter. Die BayernLB hat nicht nur eine Skandal- und Pleitebank wie die HGAA gekauft, sondern sie war bei allen Krisenherden dabei. Sie hat mit ABS-Papieren, also faulen Immobilienkrediten in den USA und anderswo spekuliert, mit amerikanischen Autokrediten und Studentendarlehen, bei der HypoRealEstate und Lehman, in Island, Irland, Griechenland: Überall hat sie jahrelang an der Schuldenkrise verdient und mitgeholfen, die Blase zum Platzen zu treiben.

Voraussetzung dieses globalen Spekulantentums unter CSU-Führung waren zwei Faktoren: Die Landesbank hatte zu viel überflüssiges Geld und eine Regierung – Stoiber – mit globalen Ansprüchen, sprich: Größenwahn. Woher kam das viele, überflüssige Geld? Zum einen von den Sparkassen, denen die Bank ja zur Hälfte gehörte, bis sie sich, als es ums Zahlen ging und darum, für die Fehler geradezustehen, aus dem Staub machten. Sparkassen haben viele fleißige Sparer, also viel Geld, das angelegt und verzinst werden will. Noch verheerender aber wirkte die sogenannte Gewährträgerhaftung, d.h. die Absicherung nicht allein durch die Bank, sondern durch öffentliche Eigentümer. Weil der Staat vermutlich als letzter bankrottgeht, galt er bislang als sicherer Schuldner: Geld, das er aufnimmt oder für das er gerade steht, ist deshalb besonders günstig zu leihen. Damit konnten die Landesbanken lange konkurrenzlos an Geld kommen.

Der ehemalige Finanzminister Faltlhauser hat im Untersuchungsausschuss zum Kauf der HGAA erklärt, es habe eine weltweite Nachfrage nach billigem Geld gegeben, und damit eine „Einladung zu weltweiter Präsenz“ – http://www.sepp-duerr.de/?p=1801. Nur eine größenwahnsinnige Regierung wie die Stoibers konnte eine solche Einladung gerne annehmen. Nur durch das billige Geld aufgrund der Gewährträgerhaftung war die Entwicklung der Landesbank zu einer Bank, die nicht gebraucht wird, und in diesem Umfang möglich. Richtig brisant wurde diese Mischung aus Größenwahn und billigem Geld aber ironischer Weise erst in dem Moment, als die EU auf Druck der privaten Banken die Möglichkeit der Gewährträgerhaftung abschaffte. Denn die Übergangsbestimmungen, nach denen eine staatlich gestützte Bank noch auf Jahre hinaus besonders günstig Geld aufnehmen durfte, haben in Bayern wie Brandbeschleuniger gewirkt: Die bayerischen Banker und Weltstaatsmänner haben wie irre Liquidität gebunkert: „load the boat“ hieß die Strategie. Sie haben das Boot vollgeladen – bis es zu schwer wurde.

Ein Kühlschrank voller Gammelfleisch

Schon vor dem Kauf der HGAA hat, wie gesagt, die BayernLB unter CSU-Führung die abenteuerlichsten Geschäfte betrieben: So stieg man ins „Kreditersatzgeschäft“ ein und spekulierte mit ABS-Papieren – sogenannten „Asset Backed Securities“ – https://www.bayern.landtag.de/fileadmin/www/ElanTextAblage_WP15/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000006000/0000006078.pdf. In der Spitze hatte man 38 Milliarden investiert, mit dem Ziel, bis zu 58 Milliarden hoch zu gehen. Der ehemalige Sparkassen-Präsident und Verwaltungsratsstellvertreter Naser hat das mal so erklärt: Man habe diese Investitionen ausgeweitet, um nach Auslaufen Gewährträgerhaftung eine sichere Geldanlage zu haben. Damit sollte dann ab 2006, wenn der billige Geldfluss mit der Gewährträgerhaftung abgeschafft war, die BayernLB refinanziert werden. Die ABS-Papiere sollten praktisch wie eine Art Wurstvorrat im Kühlhaus eingelagert werden: So wollten die Weltökonomen jetzt noch überflüssiges Geld parken für die Zeit, wenn man es mal braucht.

Das Problem war nur, dass dann der Strom und damit die Kühlfunktion ausgefallen sind, als der Markt zusammenbrach. Denn da zeigte sich, und darüber, sagte der Sachverständige Prof. Wenger im Ausschuss, „hätte man sich im Klaren sein müssen, dass das Verpacken von vielen kleinen Risiken zu einem großen Klumpen nichts mit Risikoausgleich zu tun hat, wenn diese Risiken im Ernstfall alle miteinander korreliert sind. Der Niedergang eines Immobilienmarktes in einem Land ist nun einmal ein Klumpenrisiko“. Wenn man bei der BayernLB etwas von diesem Geschäft verstanden hätte, darauf verwies der andere Sachverständige, Prof. Rudolph, hätte man gesehen, dass „sich zwischen 2002 und 2006 der Markt dramatisch geändert hat … Wenn man vor Ort gewesen wäre, hätte man noch mehr sehen müssen, als wir gesehen haben von hier aus“, nämlich dass längst Bruchbuden für viel Geld gehandelt wurden. Bei Zusammenbruch des Marktes stellte sich dann raus, dass die vermeintlich sicheren ABS-Papiere eine Art mehrfach verpacktes, umetikettiertes Gammelfleisch waren.

Macht allein

Das grundsätzliche Problem der Landesbank aber war: Sie war eigentlich überflüssig. Deshalb suchten die CSU-Weltökonomen wie Faltlhauser, Huber und Konsorten verzweifelt nach einer „zweiten Strategie“ neben der „Liquiditätsbevorratung“, sprich: Bank sucht Markt. Wenn das Geschäft, billig Geld aufnehmen und konkurrenzlos weiterverleihen, nicht mehr funktioniert: Wo soll eine solche Bank künftig Geld verdienen? Zu Hause ging das sicher nicht, denn hier gab es für die Bank kein aussichtsreiches „Geschäftsmodell“: Bayern bzw. Deutschland waren „overbanked“. Die normale Alternative wäre gewesen: Schrumpfung auf das, was gebraucht wird, und Zusammenlegen mit anderen Landesbanken. Das hat man jahrelang diskutiert, vor allem die Sparkassenvertreter und auch im Vorstand waren Befürworter. Aber die Politik – sprich Stoiber und CSU – waren vehement dagegen.

Denn basierend auf der Staatshaftung hat man mit der BayernLB stets auch politische Ziele verfolgt, von den unsinnigen Krediten für Kirch, um den „Medienstandort Bayern“ und den Bundestagswahlkampf von Stoiber zu sichern, über Industriepolitik mit dubiosen Krediten für EADS bis hin zum fragwürdigen Luxushotel am Obersalzberg. Bei einer Fusion etwa mit der Landesbank von Baden-Württemberg wären die Führungsrolle der CSU und der „Bankenstandort Bayern“ weggewesen, hätte also Stoiber und der CSU ein massiver Bedeutungsverlust gedroht.

Deshalb hat man stets entschieden: „Stand alone“. Also Wachsen statt Weichen: Eine Bank, die keiner braucht, wurde noch weiter aufgebläht. Naturgemäß fiel der Blick der großen Strategen auf Osteuropa, da gab es noch einen rasch wachsenden Markt. Der CSU-Politiker und Verwaltungsrat Schaidinger hat mal erklärt, dass die Banken auf dem Balkan nach dem Motto agierten „Fehler durch Wachstum ausgleichen“. Genau das versuchte jetzt auch die Landesbank mit dem Kauf der HGAA.

Arroganz und Ignoranz

Die HGAA war damals die einzige, noch zu kaufende Bank mit Blick auf den Balkan. Sie war sozusagen die letzte Chance, deshalb war der politische Druck hoch. Nachdem Faltlhauser den Vorstand schon mal kritisierte, als es um die österreichische BaWAG ging, der sei „zu dumm, eine Bank zu kaufen“, forderte er jetzt: „Gas geben“. Dabei gab es ja gute Gründe, warum die HGAA noch zu haben war. Aber statt besonderer Vorsicht und Sorgfalt handelte man nach dem Motto „Augen zu und durch“: Wir denken im großen Stil, mit strategischen Maßstäben, und kriegen das, im Unterschied zu anderen, schon hin; Hauptsache wir haben einen Fuß auf dem Balkan.

So hat man die Katze im Sack gekauft, zu einem überhöhten Kaufpreis, ohne Abzüge, ohne Absicherung, ohne jegliche Gewährleistungsklauseln. Der politisch besetzte Verwaltungsrat hat den Vertrag vorzeitig gebilligt, auf Basis gesicherten Nichtwissens; er hat den Vertrag nie angeschaut, nie nach Inhalten oder den Verhandlungen gefragt. Nicht einmal der Vorstand die Bedingungen genau geprüft; erst im September kommt dort die Frage auf: Was haben wir eigentlich unterschrieben?

Der HGAA-Kauf war kein Betriebsunfall oder einmaliger Ausrutscher, sondern das Ergebnis einer von Grund auf verfehlten CSU-Politik unter Stoiber: von den Verlusten der LWS bei Immobiliengeschäften in Ostdeutschland, den Milliarden-Krediten für Kirch, den Milliarden-Verlusten in der Asienkrise über Milliarden-Verluste bei ABS-Geschäften bis zur HGAA. Allein, dass die Landesbank eine Bilanz von 400 Milliarden aufwies, während unser Landeshaushalt nicht einmal ein Zehntel davon betrug, zeigt, wie größenwahnsinnig diese Politik war. Insofern können wir wirklich froh sein über die kleineren Brötchen, die die Regierung Seehofer jetzt bäckt. Da werden dann hoffentlich auch die Verluste kleiner bleiben.

Es gibt ja immer noch Leute, die zweifeln, dass Sport Kultur ist – so wie ich nicht auf Anhieb das Sportliche am „Motorsport“ erkennen kann. Aber es gibt wenige wiederkehrende Großereignisse, die so sehr unseren untergehenden Lifestyle symbolisieren und identitär bestätigen wie Olympia mit „Höher, schneller, weiter“ oder die Formel 1. Das immer schnellere Fahren im Kreis, mit immer mehr technischem Aufwand, das seinen Kitzel daraus bezieht, dass Menschen auf abenteuerliche Weise und vor aller Augen ihr Leben riskieren, ist offenbar deutlich attraktiver als das sonst so gern als Symbol unserer Zivilisation zitierte Hamsterrad. Kulturelle Ereignisse bzw. regelmäßige Rituale sagen uns, wer wir sind, was wir so tun und was nicht. Da haben wir an positiven kulturellen Gegenentwürfen bisher wenig zu bieten. Aber immerhin haben wir derzeit Gelegenheit, spezifisch Bayerisches zu beobachten.

Neues Bewusstsein bestehender Pflichten
Denn jetzt gibt es in München wieder einen der spektakulären Wirtschaftsprozesse, die in Bayern mittlerweile fast schon zur Regel werden. Bei uns mangelt es weder an Gelegenheiten noch an der Bereitschaft, alte Gepflogenheiten neu zu bewerten. Eine der wenigen positiven Auswirkungen der Finanzkrise ist ein gewandeltes öffentliches Bewusstsein darüber, was strafbar ist und was nicht, wenn es um Steuern, Bestechung oder Sorgfaltspflichten geht. Schon der zweite Landesbank-Untersuchungsausschuss und die zeitgleich stattfindenden Ermittlungen wegen des Kaufs der Kärntner HGAA haben da Wirkung gezeigt. Auch wenn sich die Staatsanwaltschaft derzeit vor Gericht selten dämlich anstellt, hat sie doch mitgeholfen, dass staatliche wie private Wirtschaftsakteure, Vorstände und Aufsichtsorgane, an ihre gesetzlichen Pflichten erinnert wurden. Deshalb findet bei uns eine intensivere zivil- und strafrechtliche Aufarbeitung von Wirtschaftskriminalität statt als anderswo. Langsam wird allen klar: Gesetze gelten. Auch in Bayern.

Prozess gegen Ecclestone
Angeklagt ist diesmal der Formel-1-Boss Bernie Ecclestone. Die Staatsanwaltschaft legt ihm zur Last, das ehemalige Vorstandsmitglied der BayernLB Gerhard Gribkowsky mit 44 Millionen Dollar bestochen zu haben. Gribkowsky selber sitzt deswegen ja bereits seit geraumer Zeit ein. Wie ist die Landesbank ausgerechnet zur Formel 1 gekommen? Wegen eines Kredits an den früheren „Medienmogul“ Kirch. Die Formel-1-Rechte hatte der als Sicherheit angeboten. Nach dessen Pleite wickelte Gribkowsky den Weiterverkauf ab. Allerdings hatte er sich dabei, wie er 2012 vor Gericht gestand, von Ecclestone schmieren lassen, und wurde prompt zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Konsequenterweise wird jetzt gegen Ecclestone verhandelt. Der eigentliche Hammer aber ist die spezifisch bayerische medienpolitische Vorgeschichte, die diese Konstellation erst ermöglicht hat.

Kurze Geschichte von Kirchs Privatsendern
Anfang der 80er Jahre hat die Regierung Kohl unter tatkräftiger Beteiligung von CSU-Politikern der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland den Weg gebahnt. Kohl und Kirch verband eine für beide lukrative Freundschaft: http://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Kirch. Aber auch andere, ihn „beratende“ Politiker hat Kirch dafür kräftig belohnt, darunter CSUler wie den früheren Postminister Bötsch oder den Politiker und Anwalt Gauweiler. Da ging es nicht nur um Geld, es ging auch um politischen Einfluss. „Unsere Politik … war immer darauf ausgerichtet, eine Anbindung von RTL an das konservative Lager zu sichern“, schrieb Stoiber an Strauß: http://de.wikipedia.org/wiki/Privatfernsehen. Nachdem er selber Ministerpräsident geworden war, ging es Stoiber auch um bayerische Standortpolitik. Im Zusammenspiel mit dem damaligen SPD-Ministerpräsidenten Clement hat er die Weichen dafür gestellt, dass Kirch und Bertelsmann den deutschen Privatfernsehmarkt unter sich aufteilen konnten.

Spätfolge Stoiberschen Größenwahns
Stoibers Ehrgeiz war immer schon zu groß für Bayern. Deshalb setzte er auf eine aufgeblähte Landesbank, als „global player“ und als wirtschaftspolitisches Machtinstrument. Und er setzte auf das Firmenimperium des genauso ehrgeizigen Leo Kirch, als medienpolitischem Machtinstrument. Bei den einschlägigen Stützungsaktionen für dessen Konzern hat er, wie bei der Geschäftspolitik der Landesbank, meist nur informell die Richtlinien vorgegeben. Aber er war sich auch nicht zu schade, 1999 persönlich beim Mediengiganten Murdoch für einen Einstieg bei Kirchs PayTV-Sender Premiere zu werben. Bereits 1997 half die Landesbank Kirch dabei, diesen Sender aufzubauen, mit einem Darlehen von einer halben Milliarde DM. Zwischen 1995 und 1998 ließen die bayerischen Finanzbehörden „auf höhere Weisung“ Kirch bei einem milliardenschweren Steuerbetrugsfall glimpflich und mit einem „Rabatt“ von mehreren Hundert Millionen DM davonkommen. 1999 wiederum gab die Landesbank Kirch eine Bürgschaft von eineinhalb Milliarden DM für Premiere.

Privatfernsehen in öffentlichem Auftrag?
Premiere kam damals auf keinen grünen Zweig, denn alles, was für Fernseh-Zuschauer in Deutschland attraktiv und nicht verboten war, gab es in öffentlich-rechtlichen oder in werbefinanzierten Sendern umsonst zu sehen. 2001 hatte Kirch die Chance, wenigstens den direkten und exklusiven Zugriff auf die Formel 1 und ihre Übertragungsrechte bekommen. Stoibers Rechte Hand, der damalige Medienminister Erwin und Landesbank-Verwaltungsrat Huber, setzte sich zunächst persönlich für ein Engagement der HypoVereinsbank ein. Aber der war die Lage bei Kirch bereits zu riskant. Deshalb musste die BayernLB helfen, mit einem Kredit über eine weitere Milliarde Euro. Huber sprach von einem „Big Point der Medienpolitik“, der damalige Finanzminister Faltlhauser von einem „öffentlichen Auftrag“. Ein Jahr später war Kirch dann tatsächlich pleite und die BayernLB saß auf den Rechten für die Formel 1.