In Zeiten von Corona schlägt sie wieder: die Stunde des Machers. Am Beispiel von Markus Söder etwa kann man Glanz und Elend dieser großen alten Rolle bestens studieren. In seinen guten Momenten versteht man ohne weiteres, warum die Deutschen in der Stunde der Not so gern auf das Heldenschema des „großen Mannes“ zurückgreifen. Söder glänzt derzeit in dieser Rolle: „Selten wirkte dieser Mann so authentisch wie jetzt als Krisenmanager“, lobte ihn die Süddeutsche Zeitung gestern zurecht: https://www.sueddeutsche.de/bayern/coronavirus-markus-soeder-kommunalwahl-bayern-1.4846791?reduced=true. Das bedeutet, er füllt nicht nur die Rolle gut aus, sondern er handelt zum größten Teil wirklich so, dass man den Eindruck hat, besser kann man es kaum machen.
Mandat auf Zeit
Deshalb sind auch viele bereit, sich jetzt darauf zu verlassen, dass er „es schon richten“ wird, und auch dazu, erhebliche Einschränkungen und Eingriffe in ihre Freiheitsrechte, vor allem die der Bewegungs- und Reisefreiheit hinzunehmen. Trotzdem ist die Befürchtung von René Schlott („Um jeden Preis? Eine offene Gesellschaft wird erwürgt, um sie zu retten“, SZ 17. März 2020), wir steuerten auf eine „Gesundheitsdiktatur“ zu, völlig übertrieben. Denn zumindest bei uns in Deutschland geht es allenfalls um notwendige Einschränkungen auf Zeit. Auch das informelle Mandat des Machers ist nur auf sehr beschränkte Zeit erteilt. Nicht zuletzt weil heute alle Rollen, nicht nur Heldenrollen eine extrem schnelle Verfallszeit haben.
Land ohne Bestimmer
Deshalb wird die „Corona-Krise“ für Söder auch nicht seine Hamburger Flut oder das Elbhochwasser, bei dem sich jeweils männliche Führungsfiguren wie Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder in Gummistiefeln und bestem Lichte dem Volke zeigen konnten. Denn es ist längst nicht ausgemacht, dass in unseren neuen Zeiten diese alte Rolle wirklich noch mal ein Revival erleben kann. Schon gar nicht längerfristig. Zum einen kann niemand absehen, ob es tatsächlich die richtigen Maßnahmen sind, die da so entschlossen ergriffen werden. Zum anderen leben wir in deutlich demokratischeren Zeiten, in denen die Menschen allenfalls noch mal vorübergehend ihre Rechte und Ansprüche zurückstellen und auf einen Einzelnen vertrauen. Schon die Kinder rebellieren bei uns, wenn es ihnen zu viel wird mit den Bevormundungen: „Du bist nicht mein Bestimmer!“
Auseinanderfallen von Partei- und Persönlichkeitswahl
Dass die Menschen in Deutschland heute ganz genau differenzieren können und deshalb auch nicht bereit sind, ihre Selbstverantwortung einfürallemal auf andere, nämlich mögliche Repräsentanten zu übertragen, sieht man auch bei der bayerischen Kommunalwahl. An dieser geänderten Grundvoraussetzung, und der bisher noch unzureichenden Reaktion „der“ Politik darauf, liegt es übrigens auch, dass oft so viel Elend und so wenig Glanz der repräsentativen Demokratie sichtbar wird. Das vielleicht Bemerkenswerteste an unserem grandiosen grünen Erfolg in Stadt und Land, also praktisch in allen bayerischen Kommunen, in denen wir zur Wahl angetreten sind, ist nicht, dass wir so viele Sitze erobert haben und zuweilen sogar stärkste Partei wurden. Auch nicht, dass die CSU in vielen Orten fast pulverisiert wurde. Das Bemerkenswerte ist das systematische, nicht bloß gelegentliche Auseinanderfallen von Partei- und Persönlichkeitswahl.
Das Ende des Besenstiels
Wer heutzutage mit Begeisterung für eine Partei stimmt, schaut sich trotzdem häufig genau an, wen er oder sie an die Spitze der Verwaltung setzen soll. Deshalb waren wiederum meine Befürchtungen nach der Landtagswahl übertrieben, dass jetzt nicht mehr nur bei der CSU, sondern auch bei uns in erster Linie nach Parteibuch bzw. Parteipräferenz gewählt wird: https://seppsblog.net/2018/10/28/besenstiel-und-demokratie/. Bewährte AmtsinhaberInnen wurden gewählt, egal welcher Partei sie angehörten, andere müssen mindestens zittern. Auch das ist nur scheinbar eine Selbstverständlichkeit. Aber wirklich besonders diesmal ist, dass selbst die mit Zwei-Drittel-Mehrheit Bestätigten meist kaum auf ihre Partei abfärben und ihr keinen Extraschub verpassen konnten. Deshalb müssen etliche, die mit einem grandiosen Erfolg ins Amt gesetzt wurden, jetzt mit fremden, wenn nicht gar feindlichen Mehrheiten regieren.
Grüne Politik braucht grüne Akteure
Woran liegt das? Dafür kann man sich das Beispiel Söder wieder vornehmen. Auch er hat ja schon vor seiner Blüte als Krisenmanager schon hohe Zustimmungswerte erreicht, die ihm niemand, am wenigsten die eigenen Leute zugetraut hätten. Aber die CSU konnte bisher davon nicht oder nur wenig profitieren. Denn die Mehrheit der Menschen sieht, dass er das Nötige gut umzusetzen in der Lage ist. Sie sieht aber genauso deutlich, dass weder er noch die CSU fähig sind, das Nötige auf die Tagesordnung zu setzen. Dafür, auch das ist ein klarer Auftrag der Kommunalwahl, werden wir Grünen gebraucht. Umgekehrt haben wir Grünen jetzt die Aufgabe, Personen zu fördern, auszubilden und nicht zuletzt ins Rampenlicht zu stellen, denen die Wählerinnen und Wähler ebenfalls zutrauen, notwendige, also grüne Politik effizient und unfallfrei umzusetzen. Dann bringen wir Partei- und Persönlichkeitswahl wieder in Übereinstimmung.