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Das politische Ehrenamt, ob in Parteien, Gremien oder Mandaten, kann sich manchmal als ziemlich schwierig erweisen, beispielsweise wenn man Anfeindungen oder persönlichen Angriffen ausgesetzt ist. Politik muss auch nicht täglich Freude machen, aber sie sollte einem schon, wie jedes andere ehrenamtliche Engagement auch, in Summe etwas zurückgeben, vielleicht sogar etwas wie Sinn stiften, wenn man sich für andere einsetzt und für mehr als nur das eigene unmittelbare Interesse. Und schließlich kann es einen sogar weiterentwickeln und manchen den Berufseinstieg ermöglichen. Parteien und Parlamente sind auf solche „Schulen der Demokratie“ angewiesen, wenn sie auf Dauer ausreichend qualifiziertes Personal gewinnen wollen.

Beleidigt sein löst keine Probleme

Wie Politik gemacht wird, kann recht hässliche Seiten zeigen. Intrigen, üble Nachrede und Hetze waren schon in den griechischen und römischen Republiken gängige Methoden der Mehrheitsbeschaffung. Wir bestehen natürlich in und außerhalb unserer Partei auf der Einhaltung demokratischer Verfahren und Respekt gegenüber allen, und erst recht gegenüber jenen, die sich für unser Gemeinwesen engagieren. Aber wenn diese Regeln missachtet werden, wenden wir uns nicht einfach beleidigt ab. Sonst überließen wir ja denen das Feld, die gezielt auf diese Regelverletzungen setzen. Mehr noch: wir würden den Charakter von Politik verkennen. Denn da gibt es nichts umsonst oder geschenkt, alles muss man sich hart erkämpfen. Es geht um knallharte Interessen und darum, dass nicht alle gleichermaßen unter Missständen leiden. 

Es gibt nichts geschenkt 

Wie hart die Bandagen sind und wie mitleidlos da gekämpft wird, lässt sich derzeit bei den globalen Klimafragen beobachten. Während die einen deswegen in Jahrhundertfluten absaufen, wollen andere nichts an ihrem verschwenderischen Wohlstandsmodell ändern. Manche fühlen sich sogar als Opfer und im Freiheitskampf, und zur „Selbstverteidigung“ scheint ihnen jedes Mittel recht. Wenn wir uns da behaupten wollen, müssen wir uns auf den Kern unserer politischen Anliegen konzentrieren und nicht ablenken lassen. Denn eine immer wieder erstaunlich erfolgreiche Taktik besteht im Anzetteln von Scheingefechten, Debatten über Formfragen, statt über Inhalte, und Angriffen „ad personam“, wenn einem die Argumente ausgehen. Dagegen hilft nur, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Politisch entscheidend ist, wie Helmut Kohl mal formulierte, „was hinten rauskommt“. Oder, wie die Römer die Schlüsselfrage stellten: „Cui bono?“, wem nützt es. 

Bohren, Bohren, Bohren

Natürlich ist es vernünftig, sich die Kräfte einzuteilen und sich nicht an der falschen Stelle zu verkämpfen. Wenn es im jeweiligen Ehrenamt zu viel Reibungsverluste gibt, versucht man besser einen neuen Ansatz, dem Ziel beizukommen. Der deutsche Soziologe Max Weber spricht nicht umsonst von der Politik als dem „Bohren dicker Bretter“. Wenn man das zum ersten Mal liest, macht man sich noch keine Vorstellung davon, wie lang das wirklich dauern kann. Manchmal glaubt man nach 20 oder 30 Jahren, erste Fortschritte erkennen zu können. Aber meist muss man feststellen, dass allenfalls das „Problembewusstsein“ in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist, beispielsweise in der Landwirtschaft, beim Arten- oder beim Klimaschutz, aber bei weitem nicht im Tempo der Probleme. Je dicker das Brett, desto wichtig ist es, immer weiter und mit ganzer Kraft an derselben Stelle zu bohren, und zwar am besten gemeinsam mit anderen. Deshalb sind wir in der grüne Partei, weil wir solche Mammutaufgaben allein nicht stemmen. 

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Der Landtagswahlkampf wird für die bayerischen Grünen nicht einfach, jedenfalls nicht, wenn sie gewinnen wollen, sprich: die Voraussetzungen für eine Regierungsbeteiligung schaffen. Für ein viele halbwegs befriedigendes Ergebnis, also leichte Verluste auf hohem Niveau, reicht es auch, wenn mensch so weiterwurstelt wie bisher; wenn mensch also entweder keine Strategie hat oder sich nicht dranhält. Ein Jahr vor der Landtagswahl sollten die Wähler*innen langsam schon was merken von einem Gestaltungswillen, davon, welche Ziele den Grünen besonders wichtig sind, die sie in den nächsten fünf Jahren umsetzen wollen. Sie sollten Vertrauen fassen und glauben können, wie die Grünen diese Ziele umsetzen wollen, ohne Chaos anzurichten. Sie sollten allmählich erkennen, dass nur die Grünen die ökonomischen und ökologischen Voraussetzungen unseres Wohlstands ohne allzu große Verluste und mit großen Zugewinnen an Lebensqualität umgestalten können.

Stadt wie Land: überall Grüne

Natürlich brauchen wir, anders als vielleicht noch vor etlichen Jahren, eine einheitliche Botschaft für Stadt und Land. Denn da wohnen die gleichen grünaffinen Leute. Unsere Zielgruppen sind im ganzen Land, und zwar noch im abgelegensten Dorf, ökologisch interessiert, klimabewusst und täglich im Einsatz für ein menschenwürdiges Zusammenleben mit allen, die hier wohnen. Wir haben überzeugende, seit jeher in ihrer Region verankerte, ihre Region liebende, von ihren Regionen anerkannte Multiplikator*innen, egal ob ganz hinten im Bayerischen Wald, im Rottal oder ganz oben in Erlenbach und Obernburg im Landkreis Miltenberg. Die wollen von uns auf Augenhöhe angesprochen werden und erwarten ganz konkrete Hilfen, wie sie ihre Heimat lebendig erhalten können. Vieles wissen sie selber, ihnen fehlen im Vergleich zur Stadt nur die Mittel.

Geschlossenheit ist die halbe Miete

Entscheidend ist wie immer die Geschlossenheit. „Wahlerfolge und demoskopische Konjunkturen korrelieren in verblüffendem Maße mit perzipierter Geschlossenheit“, schreiben Joachim Raschke und Ralf Tils in „Politische Strategie“, Wiesbaden 2007: „Glaubwürdigkeit und Geschlossenheit sind Messlatten der Bürger, mit denen sie vor einem etwaigen Regierungswechsel einzuschätzen versuchen, was sie von den Versprechungen der Oppositionsparteien zu halten haben. Glaubwürdigkeit misst die Wahrscheinlichkeit, dass die Politiker sagen, was sie denken, und tun, was sie sagen. Geschlossenheit ist ein Indikator für Handlungsfähigkeit.“ Aber daran ist nichts „verblüffend“. Wie sollen wir denn die Bürger*innen von unserer Politik überzeugen, wenn wir selbst uns darüber uneinig sind. Und welche Politik wollen wir umsetzen, wenn wir uns in zentralen Fragen nicht verständigt haben? Deshalb ist auch ein enger Schulterschluss mit Berlin unerlässlich: es muss klar sein, dass es auf allen Ebenen nur eine grüne Linie gibt. Dann wissen die Menschen, was sie von uns erwarten dürfen.

Klare Kante gegen Rechtsextreme

Was man sicher von uns erwartet, ist ein unverwechselbarer gesellschaftspolitischer Kurs. Wenn Söder tatsächlich so dumm sein sollte und den Schwenk zurück macht zu konservativer bis reaktionärer Politik – https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-csu-soeder-umfragen-1.5662278?reduced=true, spielt uns das in die Hände. Damit hat er schon einmal vor fünf Jahren fast Schiffbruch erlitten – https://ausgehetzt.org/ausgehetzt/ – und gerade noch in letzter Minute die Kurve gekratzt. Wer sich auf die eigene Klientel konzentriert, macht heute Minderheitenpolitik. Das gilt auch für die ehemalige Mehrheitspartei CSU. Dann können bei uns auch in diesem Wahlkampf selbst strategisch weniger Begabte oder politische No-names und No-hows Erfolge erzielen, wenn sie einigermaßen auf Linie bleiben. Leider hilft das auch der AfD. Wir haben jetzt oft genug erlebt, dass sie da stark wird, wo Konservative versuchen, sie mit rechtspopulistischer Politik zu überholen. Seit Jahren schlechtes Beispiel dafür ist Sachsen. Wenn umgekehrt alle klare Kante zeigen, wie etwa in Schleswig-Holstein, wird die AfD pulverisiert – https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/landtagswahl_2022/Endergebnis-CDU-gewinnt-Landtagswahl-in-SH-mit-434-Prozent,landtagswahl4246.html.

Klarheit schafft Vertrauen

Gleichzeitig müssen wir den Menschen Vertrauen einflößen, dass wir die Veränderungen managen können. „Menschen gewinnt man nicht für Veränderungen, bloß weil man ihnen sagt, sie bräuchten keine Angst zu haben. Stattdessen vergrößert man ihre Unsicherheit und Orientierungslosigkeit“ – https://seppsblog.net/2021/08/29/gegen-angste-hilft-kein-ruf-nach-mut-nur-klarheit/: „Wer Vertrauen wecken will und Ängste nehmen, muss klar und deutlich sagen, nicht nur wie die Ziele, sondern wie die nächsten Schritte genau aussehen sollen. Und was das für jede und jeden einzelnen bedeutet.“ Deshalb müssen wir in unseren Aussagen eindeutig und einhellig bleiben, auf verblasene Rhetorik verzichten und möglichst konkret werden sowie erfolgreiche Beispiele anführen.

Kampf um Direktmandate Bei der Landtagswahl im nächsten Jahr werden die Karten neu gemischt, und zwar in jedem Stimmkreis. Da werden die Kandidati*innen schon mehr machen müssen als nur einen grünen Eindruck. So manches Münchner Direktmandat verdankt sich nur der Schwäche der CSU und einem allgemeinen grünen Hype. Umgekehrt ist schwer vorstellbar, dass ländliche Stimmkreise wie Weilheim/Schongau oder Bad Tölz-Wolfratshausen/Garmisch einen Kandidaten hätten nach München schicken können, wenn nicht solche, für die Stimmkreise wie geschnitzte Pfunde angetreten wären. So einheitlich das Vorgehen auf Landesebene sein muss, so differenziert muss die Stimmkreis-Arbeit sein. Und die zentrale Frage dabei lautet, ob der jeweilige Stimmkreis sich eignet für einen Kampf ums Direktmandat: Ist die Wählerschaft dafür da? Gibt es eine geeignete Kandidat*in? Wenn nein, dann darf mensch sich ruhig auch etwas ökologisch radikaler äußern und die grüne Nische ausschöpfen. Wenn aber ja, dann ist es wichtig, einen Mehrheitswahlkampf zu führen, also einen, der nicht allein auf die grüne Klientel abzielt. Dann hat mensch so oder so beste Aussichten, im nächsten Herbst in den Landtag zu kommen.

Politisches Handeln ist gemeinschaftliches Handeln: Wir verabreden uns, etwas zu tun, oder zielen auf solche Verabredungen, und zwar aus politischen Gründen. Die Philosophin Eva von Redecker hat sich auf der Suche nach dem aus ökologischen und sozialen Gründen nötigen Neuanfang deshalb auf Hannah Arendt berufen: „Aus der Möglichkeit, sich in Meinungsaustausch und Entschlussfassung zusammenzutun, erwächst für Arendt eine menschliche Freiheit (…): gemeinsam mehr zu vermögen als alle Einzelnen zusammen, nämlich zu Neuanfängen fähig zu sein“ – https://www.fischerverlage.de/buch/eva-von-redecker-revolution-fuer-das-leben-9783103970487. Es ist also völliger Unsinn, wenn die Süddeutsche Zeitung wieder mal private Neujahrsvorsätze und politisch nötige Verhaltensänderungen in einen Topf wirft – https://www.sueddeutsche.de/leben/silvester-gewohnheiten-corona-klimakrise-vorsaetze-1.5497106?reduced=true. Das ist an und für sich selbst schon eine politische Praxis, so häufig angewandt wie ideologisch, weil sie die Handlungsmöglichkeiten vom politischen Feld ins Private verschiebt, und damit auch die Verantwortung für das Nichthandeln.

Moral statt Politik: Steine statt Brot

Das passiert meistens nicht nur aus Gedankenlosigkeit, wie vermutlich hier in der SZ, sondern selber aus politischen Gründen. Entpolitisierung ist eine viel genutzte politische Masche, Veränderungsmöglichkeiten zum eigenen Nachteil zu schließen und Veränderungsansprüche anderer abzuwehren – https://seppsblog.net/2019/12/28/entpolitisierungsstrategien-individualisieren-moralisieren-immunisieren/. Mareen Linnartz beschreibt die Wirkung der politischen Corona-Maßnahmen als Beispiel dafür, dass nötige Verhaltensänderungen möglich sind, und zwar relativ zügig: „Offenbar können viele ihr Verhalten anpassen, wenn es die Verhältnisse erfordern.“ Sie beschreibt dies aber nicht als politisches Handeln, dem politische Voraussetzungen zugrunde liegen, sondern um den Spielraum aufzuzeigen, der den Einzelnen offenstehe. Statt um Politik geht es lieber darum, moralischen Druck auf uns Einzelne auszuüben. Allein dass der Artikel zwar der Aufmacher der Wochenendbeilage „Gesellschaft“ ist, aber von der SZ unter der Rubrik „Psychologie“ abgeheftet wird, spricht Bände.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, ein politisches

Der individualistische Einwand – „Aber ich alleine kann doch wenig bis gar nichts bei den anstehenden Umwälzungen ausrichten“ –, meint Linnartz, entbinde keineswegs von „einer persönlichen Veränderungsverantwortung“. Allerdings stünde der die menschliche Verfasstheit als solche im Wege. Wir Menschen sind halt nun mal so. Denn die Neurowissenschaften haben – offenbar völlig überraschend – herausgefunden, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist: „Wenn nun 60 Prozent der Deutschen sagen, sie wollen jetzt klimafreundlicher leben, dann müssten sie sich das größtenteils wie eine gute Gewohnheit angewöhnen, und zwar im Schnitt 66 Tage lang“, sage jedenfalls die Hirnforschung. „Der 67. Tag ist das Ziel – und gleichzeitig die Hürde. Denn neben Selbstdisziplin und Willenskraft braucht es dafür vor allem echt viel Ausdauer.“ Von uns Einzelnen, selbstredend. Ich habe natürlich nichts dagegen, dass jede/r einzelne für sich seine Verantwortung auch im Privaten wahrnimmt und ökologisch schädliche oder unsoziale Gewohnheiten ablegt.

Politisch initiierte Wunder sind möglich

Aber es könnte ja alles auch viel leichter und einfacher gehen. Etwa wenn ökologisch richtiges Handeln belohnt, falsches aber sanktioniert wird. Dafür benennt Linnartz selber gute Beispiele, nicht nur dafür, dass „wenn es viele machen, gesellschaftliche Kipppunkte erreicht werden“, sondern auch für Gründe, die solche vermeintlichen Wunder möglich machen. So könnten die einzelnen jeweils eine persönliche Verhaltensänderung erreichen, wenn sie „66 Tage vor dem Einkauf im Supermarkt daran gedacht haben, eine Stofftasche mitzunehmen – Moment, das machen sie ja inzwischen größtenteils schon, weil Plastiktüten seit einiger Zeit was kosten und ab dem kommenden Jahr schon komplett verboten sind“. Selbst Rauchen in Gaststätten werde nicht mehr „als ein Zeichen von Gemütlichkeit gewertet“, sondern als „ein Angriff auf die Gesundheit aller Anwesenden“. Aber die Veränderung gab es eben nicht, weil die Mehrheit der Raucher*innen aus Einsicht 66 Tage lang bewusst und schließlich aus Gewohnheit auf Zigaretten verzichtet hätte.

Wer politisch handeln will, braucht Klarheit über wirtschaftliche Interessen

Immerhin kommt die Autorin am Ende, nachdem sie uns lang und breit erklärt hat, wie wir erfolgreich „erste individuelle Trippelschritte“ tun könnten, doch noch auf die „größere gesellschaftspolitische Ebene“ zu sprechen: „Der Staat lenkt ja mit seinen Maßnahmen immer auch menschliches Verhalten. Zu lange hat er das nur mit falschen Anreizen gemacht – wenn man beispielsweise an die Pendlerpauschale, Eigenheimzulage und das Baukindergeld denkt.“ Aber wie man von der einen Ebene auf die andere kommt, bleibt ausgeblendet: wie wir Einzelnen den Staat dazu bringen könnten, seinerseits ökologische Verantwortung zu übernehmen, und die jeweils Regierenden von ihren schlechten alten politischen Gewohnheiten abbringen, unökologisches Handeln zu bevorzugen. Das wäre ja dann Politik. Vielleicht gar Parteipolitik. Und dann ginge es nicht lediglich um psychologische Verhaltensmuster, sondern um knallharte wirtschaftliche Interessen und die Frage, wie man, wenn man von diesen nicht profitiert, sondern geschädigt wird, sich gegen solche durchsetzt: im Kampf um das eigene ökologische Überleben. Halt durch gemeinschaftliches, politisches Handeln.

Gerechtigkeitsfragen können heutzutage nicht mehr ergebnisoffen diskutiert werden, weil dafür der Diskursrahmen fehlt beziehungsweise nur ein völlig ungeeigneter, falscher vorhanden ist. Deshalb verläuft sich im einen Fall jeder Versuch, abseits der dominanten, aber verzerrenden Deutungen Klarheit zu erlangen, meist im Nirgendwo, weil sich kein Trampelpfad bildet, auf dem Argumente vertieft, geprüft und geschärft werden könnten. Andererseits fällt die Debatte immer wieder ins alte, falsche Gleis zurück, weil die irreführende Fahrspur bereits so vertieft und an den Rändern so schmierig ist, dass man immer wieder darein abrutscht und man keine Chance hat, einen neuen, mehr Klarheit bringenden Weg einzuschlagen. Das passiert vor allem bei Fragen, die um einen möglichen Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum, um institutionalisierte Privilegien und systematische Erblasten kreisen. Aber in der Politik gilt: Nur wer ein Problem erkennt, kann es lösen.

Wie man hineinruft …

Politisch spielt ein Problem nur dann eine Rolle, wenn relevante Akteure es für eins halten und als solches adressieren. Eine politische Beschreibung bzw. ein passender Referenzrahmen ist Voraussetzung dafür, dass ein Problem überhaupt Gegenstand politischer Überlegungen oder gar politischen Handelns werden kann und schließlich wird: https://seppsblog.net/2020/11/30/schwarzes-loch-klimakrise/. Die Kommunikationspsychologin Elisabeth Wehling, die eine Zeitlang mit dem Schlagwort „Framing“ medial Furore gemacht hat, bestätigt in ihrem Buch „Denken in Worten“: „Was nicht über Sprache zum Teil des gemeinschaftlichen Bewusstseins wird, kann auch nicht gemeinschaftlich durchdacht und in politische Handlungen umgesetzt werden.“ Und bereits früher präzisierte sie im Deutschlandradio Kultur (31.8.09): „Ideen, die nicht gemeinsam aktiviert werden, die werden nicht neuronal gestärkt und werden nicht zu unserem Common sense, zu unserem politischen Verständnis der Situation.“ In den letzten Jahrzehnten, meint Wehling, habe sich der öffentliche Diskurs zu Lasten von sozialkritischen Debatten verschoben.

Schräge Debatten und verlogener Neusprech

Dafür taugliche Begriffe seien aus der Öffentlichkeit verdrängt worden: Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit oder demokratische Mitbestimmung, die bis in die Achtziger Jahre hinein noch die öffentliche und politische Debatte bestimmt haben, wurden systematisch durch konservative bzw. neoliberale Begriffe ersetzt. Als Lieblingsbeispiele führte sie – auch in Fortbildungsveranstaltungen für uns Grüne – gerne Worte wie „Steuerentlastung“ und „Steuererleichterung“ an, als nur scheinbar neutrale, im Kern erzkonservative Verständnisse davon, was Steuern seien, nämlich vorgeblich in erster Linie eine Last für den Einzelnen, statt umgekehrt Voraussetzung einer lebenswerten Gesellschaft. Wer diese Begriffe als Grüner verwende oder auch nur unwidersprochen lasse, untergrabe unfreiwillig die eigene Position. Noch schwieriger wird es, wenn sich verlogene Begriffe exklusiv und monopolartig etabliert haben, wie beispielsweise „sozialer Brennpunkt“, wenn es um Armenviertel geht, oder, noch schlimmer: „bildungsferne Schichten“, um nicht „Arme“ sagen zu müssen. Beide Begriffe sind besonders infam, weil die Armen damit auch noch ihrer Armut beraubt und ihnen dafür mangelnde Eigenverantwortung und Schuld an ihrer miserablen Lage unterstellt werden.

Hyperreiche verschleiern ihren Reichtum

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat darauf hingewiesen, dass selbst ein Begriff wie „reich“ missbraucht werden kann und wird, nämlich „indem man schon Personen reich nennt, die mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens zur Verfügung haben“ – https://www.sueddeutsche.de/kultur/armutsbericht-soziale-ungleichheit-reichtum-christoph-butterwegge-bundesregierung-1.5273323?reduced=true. Wenn wir Grünen demnächst wieder „Reichensteuern“ fordern, wird sich diese Mittelschicht erneut betroffen fühlen, ohne es zu sein. So gelingt es den wirklich Reichen, also dem einen Prozent „Hyperreichen“, zu verschleiern, dass ihnen über 35 Prozent des Nettogesamtvermögens gehören bzw. wie sehr die soziale Schere bereits auseinanderklafft. „Noch heute denken viele, bei uns gebe es weder extremen Reichtum noch nennenswerte Armut.“ Ein Ergebnis aktiver Verschleierungspolitik: „Begriffe wie ‚Klasse‘ und ‚Klassengesellschaft‘ gelten hierzulande als marxistische Signalworte und sind entsprechend verpönt.“ Lustigerweise, bzw. auf eine die heutige Machtverhältnisse entlarvende Art, ist „Kapital“ als Begriff nur dann nicht negativ besetzt, wenn Kapitalisten selber ihn oder das, was er bezeichnet, ungeniert benutzen.

Verwirrende Steuerdebatten

Wie verwirrt viele sind, was ihre persönliche soziale Lage angeht, hat mich bereits früher überrascht, als ich mit meiner Forderung nach einer spürbaren Erbschaftssteuer für Reiche auf heftige Ablehnung bei FOS- und BOS-Schüler*innen gestoßen bin. Sie, die allenfalls nur wenig Erbe zu erwarten hatten, verteidigten das Verfügungsrecht des „selbsterworbenen Eigentums“ auch noch nach dem Tod. Sie haben ihre Hoffnung, etwas zu Vererben zu erwerben, verteidigt. Dank solcher Identifikationen können sich die Superreichen hinter potentiellen Aufsteigern verschanzen sowie hinter jedem noch so kleinen Haus- oder Irgendwasbesitzer, der Angst um sein bisschen Eigentum hat, nach der Devise „Wehret den Anfängen“. Ähnlich absurd verlaufen Debatten, wenn sich „Geschäftsleute gegen höhere Gewerbesteuer“ wenden: „Viele Existenzen und Arbeitsplätze seien bedroht und würden durch solche Maßnahmen noch mehr gefährdet“, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/fuerstenfeldbruck/germering-geschaeftsleute-gegen-hoehere-gewerbesteuer-1.5228917. Als ob die Gewerbesteuer Einfluss auf den Geschäftserfolg und nicht bloß auf den Gewinn der Kapitaleigner hätte. Noch verwirrter zeigt sich nur der Gröbenzeller Bürgermeister, selbst Betreiber von allerlei Gewerbe: „Die höchsten Einnahmen würden da erzielt, wo die geringsten Hebesätze seien“ (MM/FFB 15.4.21). Leider scheuen auch Grüne nicht vor „Steuerdumping“ zurück, wenn es um ihre Gemeinde geht.

„Rassen-“ statt Klassenfragen

Bei so viel Verwirrung ist es selbst ohne „Klassenkampfvokabular“ schwierig, Gerechtigkeitsdebatten anzuzetteln. Zum einen weil man derzeit praktisch nicht über mehr Steuergerechtigkeit reden kann, also etwa über „Reichensteuern“, ohne dass zuverlässig jemand vor einer „Neiddebatte“ warnt und damit jede Infragestellung vorherrschender sozialer Schieflagen abwürgt: https://seppsblog.net/2013/10/17/neid-statt-gerechtigkeit/. Zum anderen aber kann beispielsweise eine Diskussion über Gentrifizierung, also darüber, dass Arme und untere Mittelschicht aus für Reiche attraktiven Vierteln verdrängt werden, offenbar nicht als soziale, sondern nur als rassistische Debatte geführt werden. „Der Schwabe wird in Berlin gerne als Motor der Gentrifizierung gesehen“, notiert die „Welt“: https://www.welt.de/vermischtes/article150456241/In-Kreuzberg-herrscht-der-Haeuserkampf.html. Und dass Russen und Chinesen sich „bei uns einkaufen und uns aus unseren Vierteln verdrängen“, stimmt ja auch. Die machen das, völlig unabhängig von ihrer vermeintlichen Rasse und Herkunft, weil sie – genau wie „unsere“ Hyperreichen – zu Hause ohne viel Steuern und Federlesens überschüssiges Kapital angehäuft haben und jetzt sicher investieren wollen. Wenn wir darauf Einfluss nehmen wollen, kommen wir um eine Gerechtigkeits- und Steuerdebatte nicht herum.

Wie setzt man politische Veränderungsprozesse in Gang? Indem man oder frau einfach anfängt. Nicht zuletzt im Kampf gegen die Klimakatastrophe stellt sich wieder einmal die Frage, wie Wissen über den Klimawandel in Handeln umgewandelt werden kann. Dabei wird gerne mal behauptet, uns fehlte es nicht an Wissen, sondern an Taten. Aber ich glaube inzwischen, dass wir vielleicht wissen, dass wir etwas tun müssen, dass aber sowohl der Antrieb dazu wie das Wissen, was zu tun wäre, nicht auf der kognitiven, sondern auf der materiellen, der pragmatischen Ebene entstehen: mit Gefühlen, Ausprobieren, Spielen – und schließlich erst mit dem Tun selber, einem ersten, kleinen Schritt. „Am Anfang war die Tat“, stellt Goethe im „Faust“ das Bibelwort vom Kopf auf die Füße: Ohne noch so kleine Tat wird nichts beginnen. Wichtig ist, überhaupt zu beginnen. Wer einmal über das eigene Handeln nachdenkt, es in Frage stellt und zu ändern versucht, kann nur schwer damit wieder aufhören. Ähnlich wie das viele in fast schon krankhafter Weise machen, wenn sie Schritte zählen, den Kalorienverbrauch oder die tägliche Gewichtszunahme, wird auch positiv ein Prozess in Gang gesetzt, wenn die Schleuse vermeintlicher Unveränderlichkeit und Selbstverständlichkeit geöffnet ist.

Veränderung mit demokratischem Vektor

Die Frage, wie Veränderungen möglich werden, beschäftigt in gewisser Weise natürlich auch politische Akteure, die so ganz andere politische Ziele haben als ich, wenn sie etwa daran interessiert sind, Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen und die politische Vormacht zu übernehmen. Solche sozusagen schwarze Magie beschäftigt mich nur insofern, als ich gelegentlich nach Antworten suchen werde, wie sie in Schranken zu weisen ist. Mein Veränderungsinteresse und -wille ist also eine gerichtete Bewegung, eine Art demokratieorientierter Vektor: schon allein deshalb, weil es um Handlungsmöglichkeiten geht, die für alle gleichermaßen, also ohne Vorrechte für einzelne oder Gruppen, offenstehen, und zum anderen, weil sie sich strategisch von ihren Zielen her definieren, die – werteorientiert – auch die Leitplanken für die Wege und Mittel vorgeben, mit denen sie erreicht werden können: mehr Gerechtigkeit, mehr Demokratie, mehr Nachhaltigkeit. Am Anfang meiner politischen Entwicklung bedeutete Veränderung etwas Positives, einen „Fortschritt“, den Fortschritt. Aber heute ist das nicht mehr automatisch so.

Warlords der Kulturindustrie

Oft genug mussten wir erfahren, dass Fortschritt auch in eine falsche Richtung gehen kann und dass viele Veränderungsprozesse in den letzten Jahrzehnten von Menschen in Gang gesetzt und vorangetrieben wurden, die nicht mehr Gerechtigkeit oder Demokratie, sondern ihre Privilegien sichern und ausbauen und die Verhältnisse noch mehr zu ihren Gunsten ändern wollten. Es hat sich eine ganze Bewusstseins- und Kulturindustrie etabliert, die ihr Geld damit verdient, Veränderungsprozesse voranzutreiben, die wieder zu mehr ökonomischer Ungleichheit und gesellschaftlicher und politischer Hierarchisierung führen. Unternehmer machen Profit, weil sie Gruppen oder Einzelnen dabei helfen, Gesellschaften zu spalten und davon zu profitieren. Wie eine Art kulturindustrieller Warlords beziehungsweise kulturkampferprobte Condottieri nutzen sie Polarisierung und Hetze als Treibstoff ihrer Karrieren. Ihre professionellen manipulativen Techniken führen ebenfalls zu Veränderungen und bringen Menschen dazu, ihr Verhalten zu ändern. Aber sie setzen darauf und funktionieren, weil die Manipulierten nicht bemerken oder nicht bemerken wollen, dass sie manipuliert werden.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, Kritik verändert beide

Demgegenüber setzen wir Grünen unsere Veränderungshoffnungen auf ein kritisches Bewusstsein selbst-bewusster Individuen. Wir arbeiten daran, die Einflüsse und Mechanismen offenzulegen, die auf unser aller bewusste oder unbewusste, explizite oder implizite Entscheidungen für oder gegen Veränderungen einwirken. Wir zielen auf Stärkung, Empowerment, Selbstertüchtigung autarker Individuen: also auf Bürger*innen, die Frauen und Herren ihrer selbst sind. Meine eigene politische Entwicklung fing mit Trotz, Rebellion und Protest gegen „die Verhältnisse“ an. Mein Verlangen nach mehr Gerechtigkeit ist ganz tief in meinen persönlichsten Gefühlen verankert, von meinen sozialen Bedürfnissen geleitet und wird im Zweifel auch von meinem Verstand überprüft und korrigiert. Denn der berühmte Satz von Karl Marx: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ ist ja anders, als viele meinen, kein Urteil, sondern eine Kritik: Wer sich seiner ökonomischen und sozialen Verhältnisse bewusst wird, hat eine Chance, sich aus ihrer Prägung zu lösen.

Politik der guten Laune

Der Kern eines emanzipatorischen politischen Handelns besteht im gerechten, auf Gerechtigkeit zielenden Bestreben, Dinge, Verhalten oder Verhältnisse zu ändern, also Verhältnisse in Bewegung zu bringen. Marx wollte sie sogar „zum Tanzen zwingen“. Das heute verbreitete Bedürfnis nach Veränderung schlägt immer wieder in einen politischen Glauben an ihre Möglichkeit um, in ein „Yes we can“. Ein solches Bedürfnis muss sich spezifizieren, fokussieren, konzentrieren, damit es wirksam, also handlungsrelevant werden kann: in einer Bewegung, Partei, einem Ziel, einer Person. Und dieses Bedürfnis muss einen Teil seiner Befriedigung bereits aus dem Bestreben selber ziehen. Wer tut, was richtig ist, hat selbst bei einem Fehlschlag nicht total versagt. Denn er oder sie hat das seine getan. Mit sich im Reinen zu sein, stärkt das Selbstwertgefühl, und das Richtige kann man auch mit Vergnügen tun. Anders verhält es sich im umgekehrten Fall: Wenn wer nur auf den Erfolg schielt und dafür einiges in Kauf nimmt, bedeutet Scheitern Totalverlust. Wie wir etwas machen, in welchem Zusammenhang und unter welchen Voraussetzungen, kann großen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg haben. Wenn wir es mit Freude tun, mit Mut und Zuversicht, sind nicht nur unsere Aussichten, sondern auch unsere Laune besser.

Nach den ersten Sitzungen in den Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten kann man sich gelegentlich schon verwundert die Augen reiben. Denn auch wenn in vielen Orten demokratische Gepflogenheiten wie das informelle Vorschlagsrecht der stärksten Fraktionen respektiert oder generell die Weichen auf kollegiale Zusammenarbeit gestellt wurden, gibt es doch eine erstaunliche Anzahl von Räten, in denen sich eine formelle oder heimliche, von der örtlichen CSU angeführte Gestaltungsmehrheit zusammengefunden hat zu dem Zweck, die Grünen klein und außen vor zu halten. So z.B. im „Starnberger Kreistag. Grüne fallen bei Stellvertreter-Wahl drei Mal durch“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/starnberg-landrat-stefan-frey-stellvertreter-1.4908201?source=rss – und werden „nicht nur in Rosenheim ausgebremst“ – https://plus.pnp.de/ueberregional/bayern_oberbayern/3687325_Gruene-nicht-nur-in-Rosenheim-ausgebremst.html. Auch in den Landkreisen heißt es oft: „Grüne gehen leer aus“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/fuerstenfeldbruck/landrats-stellvertreter-gruene-gehen-leer-aus-1.4912524 .

Koalition der Verlierer

Das zieht sich von Oberbayern bis in Unterfranken. In ganz Bayern gibt es kommunale Gremien, in denen die CSU eine Koalition der Wahlverlierer gegen uns Grüne schmiedet: „Grüne gehen bei Wahl der Landrats-Stellvertreter leer aus“ https://www.main-echo.de/regional/stadt-kreis-aschaffenburg/neuer-kreistag-tritt-zusammen-gruene-gehen-bei-wahl-der-landrats-stellvertreter-leer-aus;art3986,7024207. „Wenn Sieger zu Verlierern werden. Die Grünen haben kräftig zugelegt, trotzdem gelingt es ihnen nicht immer, ihre Kandidaten für Stellvertreterposten durchzusetzen“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/landkreis-starnberg-gruene-kommunalwahlen-1.4899247. Gerade weil wir bei den Wahlen so erfolgreich waren, sind wir jetzt für fast alle anderen plötzlich der Hauptgegner. Inhaltlich hat sich unser wechselseitiges Verhältnis ja nicht geändert, weil wir Grünen immer noch an Klimaschutz und der Ökologisierung von Wirtschaft und Konsum als zentrale politische Aufgaben festhalten. Aber machtpolitisch hat sich vieles geändert. Anders als früher sehen sich die anderen Parteien, allen voran die CSU, aber eben auch die „Parteifreien“ plötzlich unter doppeltem Druck, sich mit diesen grünen Zielen auseinander- und sie umzusetzen.

Die anderen spüren unsere Macht

Alle können ökologische Notwendigkeiten nur noch schwer leugnen und sie bekommen entsprechende Forderungen aus den eigenen Reihen, von eigenen Wählergruppen wie von ihnen früher nahen Unternehmen. Darin spüren sie schon heute unsere Macht: sie sehen sich gezwungen, grüne Politik zu machen. Und die Angst sitzt ihnen im Nacken: Denn die heutigen Verlierer werden voraussichtlich auch die von morgen sein. Wir sehen also tatsächlich „eine Demonstration der Macht“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/gauting-gemeinderat-konstituierende-sitzung-gruene-landkreis-starnberg-1.4906556, aber einer, die verzweifelt und mit falschen Konzepten ihren Verfall aufhalten will. Wie wenig souverän diese schwarze Macht noch ist, zeigt sich an den Nebengeräuschen. Nicht nur an einem Ort wie Gauting sollen die Grünen „von Anfang an in die Rolle der Opposition zurückgedrängt“ werden. Da geht es nicht nur darum, „die erstarkten Grünen lieber klein zu halten“, sich nicht „die Konkurrenz für die nächste Wahl heranzuziehen“ und zu verhindern, dass sich Grüne für eine erneute Kandidatur „warmlaufen“ (https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/kommunalwahl-in-taufkirchen-gruene-und-spd-gehen-leer-aus-1.4909526). Vor allem will man uns von Stellen fernhalten, bei denen wir zeigen könnten, wie gut wir Ämter oder offizielle Vertretungen führen und ausfüllen.

Raus aus der Oppositionsecke

Wir könnten ja zeigen, dass die notwendige grüne Politik am besten von Grünen umgesetzt werden kann (https://seppsblog.net/2020/03/18/die-kurze-stunde-des-machers/). Deshalb sollen wir Grünen wieder in die ideologische Ecke zurückgestellt werden, in der man uns so lange hat halten können. Mehr noch: man will die grüne Politik insgesamt in die ideologische Ecke stellen, um sie zu „entschärfen“. Es bedürfe „sachlicher Debatten und Entscheidungen und nicht ideologisch motivierter“ (https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/gemeinderat-gerbrunns-gruene-gehen-bei-stellvertreterwahl-leer-aus;art736,10442356). „Die Beteiligung der Grünen sei aus inhaltlicher Sicht nicht sinnvoll“, im Kreistag „treffe man Verwaltungsentscheidungen, es gehe weniger um politische Ideen“ (https://www.kreisbote.de/lokales/landsberg/landsberger-landrat-sein-buntes-quartett-13761416.html). Es sind also zwei Aspekte, unter denen wir antworten müssen: Gegen die Versuche von Ideologisierung und „Versachlichung“, also Entpolitisierung, müssen wir unsere inhaltlichen Forderungen klar und pragmatsich umsetzbar dagegenstellen. Und auch an Orten und Gremien mit verhärteten, konfrontativen Verhältnissen dürfen wir uns weder in die Schmollecke noch in die ideologische Nische von Rechthaberei und Moral abdrängen lassen, sondern wir müssen das Gespräch und die Zusammenarbeit mit allen suchen, die sich in der Tat auf mehr Klimaschutz und ökologischeres Wirtschaften einlassen.

In Zeiten von Corona schlägt sie wieder: die Stunde des Machers. Am Beispiel von Markus Söder etwa kann man Glanz und Elend dieser großen alten Rolle bestens studieren. In seinen guten Momenten versteht man ohne weiteres, warum die Deutschen in der Stunde der Not so gern auf das Heldenschema des „großen Mannes“ zurückgreifen. Söder glänzt derzeit in dieser Rolle: „Selten wirkte dieser Mann so authentisch wie jetzt als Krisenmanager“, lobte ihn die Süddeutsche Zeitung gestern zurecht: https://www.sueddeutsche.de/bayern/coronavirus-markus-soeder-kommunalwahl-bayern-1.4846791?reduced=true. Das bedeutet, er füllt nicht nur die Rolle gut aus, sondern er handelt zum größten Teil wirklich so, dass man den Eindruck hat, besser kann man es kaum machen.

Mandat auf Zeit

Deshalb sind auch viele bereit, sich jetzt darauf zu verlassen, dass er „es schon richten“ wird, und auch dazu, erhebliche Einschränkungen und Eingriffe in ihre Freiheitsrechte, vor allem die der Bewegungs- und Reisefreiheit hinzunehmen. Trotzdem ist die Befürchtung von René Schlott („Um jeden Preis? Eine offene Gesellschaft wird erwürgt, um sie zu retten“, SZ 17. März 2020), wir steuerten auf eine „Gesundheitsdiktatur“ zu, völlig übertrieben. Denn zumindest bei uns in Deutschland geht es allenfalls um notwendige Einschränkungen auf Zeit. Auch das informelle Mandat des Machers ist nur auf sehr beschränkte Zeit erteilt. Nicht zuletzt weil heute alle Rollen, nicht nur Heldenrollen eine extrem schnelle Verfallszeit haben.

Land ohne Bestimmer

Deshalb wird die „Corona-Krise“ für Söder auch nicht seine Hamburger Flut oder das Elbhochwasser, bei dem sich jeweils männliche Führungsfiguren wie Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder in Gummistiefeln und bestem Lichte dem Volke zeigen konnten. Denn es ist längst nicht ausgemacht, dass in unseren neuen Zeiten diese alte Rolle wirklich noch mal ein Revival erleben kann. Schon gar nicht längerfristig. Zum einen kann niemand absehen, ob es tatsächlich die richtigen Maßnahmen sind, die da so entschlossen ergriffen werden. Zum anderen leben wir in deutlich demokratischeren Zeiten, in denen die Menschen allenfalls noch mal vorübergehend ihre Rechte und Ansprüche zurückstellen und auf einen Einzelnen vertrauen. Schon die Kinder rebellieren bei uns, wenn es ihnen zu viel wird mit den Bevormundungen: „Du bist nicht mein Bestimmer!“

Auseinanderfallen von Partei- und Persönlichkeitswahl

Dass die Menschen in Deutschland heute ganz genau differenzieren können und deshalb auch nicht bereit sind, ihre Selbstverantwortung einfürallemal auf andere, nämlich mögliche Repräsentanten zu übertragen, sieht man auch bei der bayerischen Kommunalwahl. An dieser geänderten Grundvoraussetzung, und der bisher noch unzureichenden Reaktion „der“ Politik darauf, liegt es übrigens auch, dass oft so viel Elend und so wenig Glanz der repräsentativen Demokratie sichtbar wird. Das vielleicht Bemerkenswerteste an unserem grandiosen grünen Erfolg in Stadt und Land, also praktisch in allen bayerischen Kommunen, in denen wir zur Wahl angetreten sind, ist nicht, dass wir so viele Sitze erobert haben und zuweilen sogar stärkste Partei wurden. Auch nicht, dass die CSU in vielen Orten fast pulverisiert wurde. Das Bemerkenswerte ist das systematische, nicht bloß gelegentliche Auseinanderfallen von Partei- und Persönlichkeitswahl.

Das Ende des Besenstiels

Wer heutzutage mit Begeisterung für eine Partei stimmt, schaut sich trotzdem häufig genau an, wen er oder sie an die Spitze der Verwaltung setzen soll. Deshalb waren wiederum meine Befürchtungen nach der Landtagswahl übertrieben, dass jetzt nicht mehr nur bei der CSU, sondern auch bei uns in erster Linie nach Parteibuch bzw. Parteipräferenz gewählt wird:  https://seppsblog.net/2018/10/28/besenstiel-und-demokratie/. Bewährte AmtsinhaberInnen wurden gewählt, egal welcher Partei sie angehörten, andere müssen mindestens zittern. Auch das ist nur scheinbar eine Selbstverständlichkeit. Aber wirklich besonders diesmal ist, dass selbst die mit Zwei-Drittel-Mehrheit Bestätigten meist kaum auf ihre Partei abfärben und ihr keinen Extraschub verpassen konnten. Deshalb müssen etliche, die mit einem grandiosen Erfolg ins Amt gesetzt wurden, jetzt mit fremden, wenn nicht gar feindlichen Mehrheiten regieren.

Grüne Politik braucht grüne Akteure

Woran liegt das? Dafür kann man sich das Beispiel Söder wieder vornehmen. Auch er hat ja schon vor seiner Blüte als Krisenmanager schon hohe Zustimmungswerte erreicht, die ihm niemand, am wenigsten die eigenen Leute zugetraut hätten. Aber die CSU konnte bisher davon nicht oder nur wenig profitieren. Denn die Mehrheit der Menschen sieht, dass er das Nötige gut umzusetzen in der Lage ist. Sie sieht aber genauso deutlich, dass weder er noch die CSU fähig sind, das Nötige auf die Tagesordnung zu setzen. Dafür, auch das ist ein klarer Auftrag der Kommunalwahl, werden wir Grünen gebraucht. Umgekehrt haben wir Grünen jetzt die Aufgabe, Personen zu fördern, auszubilden und nicht zuletzt ins Rampenlicht zu  stellen, denen die Wählerinnen und Wähler ebenfalls zutrauen, notwendige, also grüne Politik effizient und unfallfrei umzusetzen. Dann bringen wir Partei- und Persönlichkeitswahl wieder in Übereinstimmung.

Zum Jahresausklang bekommen wir regelmäßig und meist unverlangt eine gehörige Portion politischer Moralisiererei. In jüngster Zeit ist die vermeintliche ökologische Scheinheiligkeit der Menschen eines der Lieblingsthemen nicht nur der Predigten des Feuilletons, sondern auch in den Wirtschaftsseiten. „Trotz mieser Öko-Bilanz wurden 2019 so viele SUVs verkauft wie nie“, macht die SZ ihre Titelseite auf – https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zipse-bmw-suv-umwelt-klima-1.4737399 („Auf großer Fahrt“, 28.12.2019): „Das Jahr 2019 war geprägt vom Klimaschutz, vom Nachdenken über Ressourcen und der Debatte um nachhaltigeres Vorankommen per Bahn, Flugzeug und Auto. Im täglichen Handeln war davon aber nichts mehr zu spüren, wie sich nicht nur bei weitgehend gleichbleibenden Passagierzahlen im Flugverkehr zeigt: 1,08 Millionen SUVs und Geländewagen, so viele wie noch nie, wurden bis November hierzulande verkauft“. Die SZ beginnt dann gleich mit der Suche, warum diese beiden Entwicklungen, also mehr ökologisches Bewusstsein und zunehmende Klimazerstörung, sich zwar jeweils beschleunigen, aber so gar nicht zusammenpassen.

Fetisch „kognitive Dissonanz“

Schuld waren natürlich die Verbraucherinnen und Verbrauchern: „80 Prozent der Deutschen befürworten Klimaschutz und wollten weniger Ressourcen verbrauchen“. „Wieso aber liegt dann die durchschnittliche PS-Zahl bei 170?“, fragt der Soziologe Stephan Rammler, gibt aber keine Antwort. Dafür kommentiert er überlegen: „Das ist verlogen, eine kognitive Dissonanz.“ Immerhin hat er ein paar Hinweise, woher diese Dissonanz kommen könnte. Zum einen verweist er darauf, dass diese Fahrzeuge „funktional nicht mehr angemessen sind“, es muss also andere Gründe geben, warum sie „größer werden“. Zum anderen führe die wachsende Größe „nachweislich zu aggressiverem Fahren und dadurch bei den anderen zu mehr Unsicherheitsgefühl“ und zu einer „Spirale der Aufrüstung“ und einer zunehmenden Gefährdung der „ohnehin schwächsten Verkehrsteilnehmer“ wie Radfahrer*innen. Nun haben es Soziolog*innen nicht so gern, dass wir Sterblichen mit der Analyse allein nicht zufrieden sind, sondern handlungsorientiert Politik machen wollen und nach Vorschlägen fragen. Aber auf einen Missstand lediglich hinzuweisen und dann gar noch zu moralisieren, führt zu Zynismus und Stagnation, weil es den Weg zu Alternativen verschließt.

Moral ersetzt keine Analyse

Ein moralisches Urteil, das einer Entscheidung und damit denen, die entscheiden, lautere Grundlagen abspricht, öffnet die Kluft zwischen Kritik und Handeln weiter, statt diese verringernde Brücken zu bauen. Wenigstens verweist der Artikel selber direkt und indirekt auf nachvollziehbare Ursachen für den Boom der SUVs. Denn die Entwicklung ist „gut für die Autohersteller: Viele Kunden finden Größe attraktiv, das treibt die Preise nach oben“. „High-End-SUVs liefern wichtige Gewinne, die in einer Zeit der Transformation hin zur E-Mobilität dringend gebraucht werden“, sagt der „Autoforscher“ Ferdinand Dudenhöffer. Nun werden Gewinne im Kapitalismus ja immer „dringend gebraucht“, aber das Stichwort „Transformation“ hilft schon mal gegen das von Dudenhöffer ebenfalls benannte „Dilemma“: Denn „gleichzeitig baut sich ein soziales Akzeptanzproblem auf“. Selbst der Opel-Chef ist „kein Freund von ganz großen SUVs, sie kommen kaum in die Parkhäuser, das ist gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar“.  Und Dudenhöffer ergänzt: „Für das Platzproblem in den Großstädten fehlt die Lösung“. Aber SUVs sind ja gerade eine Lösung für das Problem, dass viele heute um den Platz, der ihnen ihrer Meinung nach zusteht, kämpfen müssen: Ein SUV verschafft sich und seinem Fahrer oder seiner Fahrerin ordentlich Platz.

Diagnose Verbraucherdilemma verdeckt politisches Versagen

Tim Jackson hat sich in „Wohlstand ohne Wachstum“ mit Geltungskonsum auseinandergesetzt, also damit, wie sehr unsere Konsumbedürfnisse vor allem statusgetrieben sind: https://seppsblog.net/2014/02/11/zwischen-zwangen-und-zielen/. Dass diese Karren was hermachen und ordentlich was verbrauchen an Sprit und Platz, ist in der Konkurrenz um Anerkennung und öffentlichem Raum für diejenigen, die sich mit ihnen sehen lassen, ein Vorteil. Es ist ja nicht der einzige gesellschaftliche Konflikt, bei dem „kognitive Dissonanz“ entsteht, bei dem also das, was einzelne politisch für richtig finden, diametral von dem abweicht, was für sie persönlich Sinn macht. Beispielsweise ist ja schon seit vielen Jahrzehnten klar, dass in der Agrarpolitik das Prinzip „Wachsen oder Weichen“ zwar dem einzelnen Bauern hilft, vorübergehend in der Konkurrenz zu bestehen, aber mittelfristig dazu führt, die Konkurrenz weiter zu verschärfen. Deshalb fordert die staatliche einzelbetriebliche Förderung noch immer Wachstum, obwohl Staat und EU schon längst nicht mehr mit den Überschüssen zurechtkommen. Die vermeintliche „kognitive Dissonanz“ ist lediglich eine Reproduktion einer politischen Schizophrenie. Frei nach Rosa von Praunheim ist nicht die Verbraucher*in pervers, sondern die Gesellschaft, in der sie lebt. Solange es also für die einzelnen rational ist, das gesellschaftlich Falsche zu tun, werden moralische Appelle gar nix bewirken.

Immunisieren statt Diskutieren

Nach der Devise „Wenn schon verbohrt, dann richtig“ haben sich offenbar die Autoideologen die Immunisierung gegen jede Kritik („Das wird man ja noch sagen dürfen“, „Meinungsdiktatur“) von AfD und anderen Rechtspopulisten abgeschaut. Die „Premiumhersteller“, schreibt die SZ (mit Kotau vor dem Geltungskonsum), „gehen in die Vorwärtsverteidigung. ‚Die hämische SUV-Debatte ist Panikmache, die nichts mit der Realität zu tun hat“, sagt der BMW-Chef: „In solchen Wagen säßen ‚ganz normale Leute‘ die damit zum Beispiel ihre Kinder sicher zum Sport bringen wollten. Und die wolle er auch nicht umerziehen: ‚Wahlfreiheit ist das Grundprinzip einer Marktwirtschaft‘.“ Kritik am klimaschädlichen Verkaufsprinzip wäre demnach also per se ideologisch und ein Angriff gegen die „Wahlfreiheit“. An solchen Beispielen sieht man, dass der Kampf gegen den Klima- und für einen Kulturwandel erst begonnen hat, aber bereits mit härtesten Bandagen geführt wird. Eine der üblen Maschen, mit denen eine offene, eine politische Debatte verhindert werden soll, ist die Entpolitisierung: Individualisieren von gesellschaftlichen Konflikten, Moralisieren und Immunisieren.

Söder hat seine Lektion gelernt. „Es ist eine Kampfansage der neuen Art: Nachdem die CSU die Grünen lange Zeit bekämpft hat, indem sie ihre Ideen für unrealistisch erklärte, setzt Parteichef Markus Söder nun eher darauf, diese Ideen zu übernehmen“, schrieb die taz im Juli – https://taz.de/Klimaschutz-bei-der-CSU/!5609851/. Und der österreichische Standard notierte wenig später: „Bei der CSU ist jetzt das grüne Mäntelchen en vogue. Bayerns Ministerpräsident Söder hat den Klimaschutz entdeckt – Innenminister Seehofer irritiert mit Milde in der Asylpolitik“ – https://www.derstandard.de/story/2000109604815/bei-der-csu-ist-jetzt-das-gruene-maentelchen-en-vogue. Selbst unsere alten Losungen wie die von „Ökonomie und Ökologie“, die „man zusammendenken“ müsse, kann „die grün angepinselte CSU“ jetzt brauchen – https://www.sueddeutsche.de/bayern/csu-klima-soeder-konzept-beschlossen-1.4590179. Denn „Grün kommt gut an beim Wähler“: https://www.deutschlandfunk.de/sinneswandel-der-csu-gruen-kommt-gut.

Alle paar Jahre wieder: Die CSU ergrünt

Die Strategie, mit der die CSU uns Grünen das Wasser abgraben und in ihre Kanäle leiten will, ist ja nichts Neues. „Die CSU soll grüner werden“ – https://www.sueddeutsche.de/bayern/soeder-csu-kurskorrektur-1.4334725: Solche Schlagzeilen gab es schon unter Stoiber. Söder selber sagte 2004 dem Magazin Focus, mit Blick auf jüngste Wahlerfolge der Grünen, falls die Union Umweltpolitik, Klima- und Artenschutz den Grünen überlasse, sehe er die Gefahr, dass die Öko-Partei auch „von wertkonservativen Menschen gewählt“ werde https://www.focus.de/politik/deutschland/deutschland-da-sind-wir-schlecht-aufgestellt_aid_200328.html. Passiert ist danach nix. Eher das Gegenteil. Deshalb sah sich die CSU 2007 wieder gezwungen, unsere grünen Ideen und Begriffe aufzugreifen. Sie genierte sich kein bisschen und nannte beispielsweise eine „Aktuelle Stunde“ im Landtag „Global denken, lokal handeln“ und kopierte sogar die Farben unserer Plakate. Aber all das hat wenig geholfen. Denn bisher stand hinter der neuen Verpackung nie eine neue, eine grüne Politik.

Söders neue „Achtsamkeit“

Jetzt hat auch Söder grüne Kreide gefressen und geriert sich als überparteilicher Staatsmann. Weil er spürt, woher der Wind weht, übernimmt auch er einmal mehr den grünen Duktus bis in die Wortwahl und ruft „zu mehr Mut und Optimismus“ auf sowie „zu einem gemeinsamen Kampf für die Werte der Demokratie“. Der „frühere Politrambo Markus Söder“, hat die SZ jüngst notiert – https://www.sueddeutsche.de/leben/trauma-verdraengung-psychologie-1.4720283?reduced=true –, „wirkt immer häufiger so, als habe er ein Achtsamkeitsseminar mit dem Dalai Lama besucht. Aber was ist schlimm daran, sich neu zu erfinden?“ Es bringt halt oft gar nix. Bei Achtsamkeitsmeditation gebe „es keine Belege für eine toleranzförderliche Wirkung“, schreibt dieselbe SZ ein paar Tage später – https://www.sueddeutsche.de/politik/psychologie-einatmen-ausatmen-abstimmen-1.4727146. Aber, das ist beruhigend, sie „schadet auch nicht“.

Grün: Gegner und Blaupause

Wenn es um uns Grüne geht, hat Söders Großmut ohnehin Grenzen. Denn da geht‘s ums Eingemachte, um die Macht in Bayern: „Der Hauptkonkurrent um Platz eins sind die Grünen“: https://www.tagesschau.de/inland/soeder-gruene-101.html. Und da sind dann alle Mittel recht. Schon den Bundestags- und Landtags-Wahlkampf 2013 hat die CSU gezielt und skrupellos gegen uns Grüne ausgerichtet: https://seppsblog.net/2016/11/27/systematisch-und-skrupellos-csu-wahlkampf-gegen-uns-gruene/. Auch jetzt versucht die CSU wieder, uns Grüne auszugrenzen und in die ideologische Ecke zu stellen. Aber darauf werden nur noch wenige reinfallen. Nicht zuletzt aber kann sich der Versuch der Polarisierung auch als kontraproduktiv erweisen und gegen den Urheber richten. Vor allem weil grün zu scheinen, ohne es zu sein, auch so schon nicht ganz einfach ist. Mimikry, also zu tun als ob, ist ja kein neues Phänomen. Schwebfliegen beispielsweise geben sich, um nicht gefressen zu werden, als Wespen oder Bienen aus, können aber weder stechen noch Honig produzieren. Und es gibt immer Vögel, die genauer hinschauen. „Die Wahrheit einer Absicht ist die Tat“, heißt es bei Hegel.

Je mehr ergrünen, desto besser

Am Ende ist es ist völlig egal, ob Söder es diesmal ernst meint oder nur den nächsten Wahlerfolg im Blick hat. Zum einen ist es ja ein Zeichen unserer Stärke und unser Erfolg, wenn sich die CSU gezwungen sieht, unsere grünen Ideen und Begriffe aufzugreifen. Und das honorieren die Menschen. Zum anderen ist es viel besser für Bayern, wenn die CSU grüne Politik macht oder wenigstens so tut, statt weiter zu hetzten, zu spalten und alle ökologischen Ideen schlecht zu machen. So entsteht ein Klima, in dem Parteien, die bei den bayerischen Wählerinnen und Wählern Erfolg haben wollen, um die besten grünen Ideen wetteifern müssen, und in dem Regierungen an ihren grünen Taten gemessen werden. Noch wichtiger ist: Eine Partei allein wird die überfällige, von der CSU so lange verzögerte Modernisierung Bayerns eh nicht schaffen. Da sind selbst wir Grünen auf Unterstützung angewiesen und darauf, dass möglichst viele daran arbeiten, unser Land demokratischer, ökologischer und vor allem klimafreundlicher zu machen. Wir Grünen sind um jeden froh, der mit uns in diese Richtung geht, auch über eine neu ergrünende CSU.

Es gibt derzeit eine unglaubliche Vielzahl von bayerischen Dörfern, in denen grüne Ortsverbände gegründet und Listen mit herausragenden Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden. Daran ist – auch ohne grüne Parteibrille betrachtet – einiges so bemerkenswert wie aufregend: Es sind kleine und kleinste Orte, in denen man auch als grüner Optimist nicht wirklich erwartet hätte, dass dort so viel grünes Leben, ja dass überhaupt grünes Leben entstehen und aufblühen kann. In Orten wie Mammendorf oder Alling haben wir als Landtagsabgeordnete und Kreispolitikerinnen und -politiker über etliche Jahrzehnte immer wieder in froher Erwartung Anläufe gestartet und Veranstaltungen durchgeführt und wurden mit unschöner Regelmäßigkeit ernüchtert. Andere Orte, die man gar nicht auf dem Schirm hatte, wie Althegnenberg oder Pfaffenhofen an der Glonn, überraschen mit höchst kompetent und paritätisch besetzten Listen.

Weil wir hier leben

Mindestens so überraschend wie erfreulich nicht nur aus grüner Perspektive ist die unglaubliche Politikbegeisterung, die sich in diesen kleinen Dörfern breit macht, und zwar in allen Regionen Bayerns. Nicht nur im weiteren Einzugsgebiet der Hauptstadt, sondern in der Oberpfalz genauso wie in Schwaben oder Franken rührt sich gerade auf dem Land allerhand. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten finden sich viele, die sich gerade jetzt dafür entschieden haben, politisch aktiv zu werden, weil es höchste Zeit zum Handeln ist. Auffällig ist außerdem, wie viele Hochqualifizierte sich in diesen Dörfern finden, und zwar frisch Zugezogene genauso wie wieder Heimgekehrte. Unser Land ändert sich, es urbanisiert sich im positiven Sinne. Die Bevölkerung ist weitgereist, welterfahren und weltoffen und gerade auch deshalb heimatverbunden: „Weil wir hier leben“, aber was von der Welt gesehen haben, wissen wir, was wir schützen und was wir anders machen müssen, damit unser Land und unser Planet lebenswerte Plätze bleiben.

Land der Vielfalt

Besonders bemerkenswert ist schließlich, dass die neuen grünen Listen die bisher dort vorherrschende Gemeindepolitik im eigentlichen Sinne politisieren. Denn sie beenden einen Zustand, in dem es keine parteipolitische Wahl und keine wirkliche politische Alternative gab. Es blieb meist nur die Wahl zwischen Personen, Ortsteil- oder Interessensvertretern wie Grundbesitzern, Bauern oder Handwerkern. Frauen sind ohnehin nur ausnahmsweise vertreten. In vielen dieser Orte hat sich bei den letzten Bürgermeisterwahlen kein Gegenkandidat zum Amtsinhaber gefunden. Deshalb will ein CSU-Bürgermeister jetzt wissen, ob die Grünen auch einen Kandidaten aufstellen. Weil er dann auf der CSU-Liste kandidiert. Sonst lässt er sich „überparteilich“ aufstellen. Und er warnt die Grünen: „Keine Tricksereien“. Denn da kennt er sich aus. Etwa mit der „parteifreien“ Kandidatur eines CSU-Bürgermeisters. „Überparteilich“ heißt halt: innerhalb der innerparteilichen Bandbreite der CSU. Das war bisher breit genug.

Ab jetzt wird’s politisch

In all diesen Orten schauen die amtierenden Bürgermeister oder Kandidaten nun persönlich nach, was da passiert. Als könnten sie’s nicht glauben. In dem Moment, in dem die Gründung eines grünen Ortsverbandes ansteht oder eine Aufstellungsversammlung, bekunden alle, wie sehr sie sich persönlich schon bisher für Klima- und Naturschutz eingesetzt haben. Auf einmal werden grüne Themen wichtig. Damit haben die Grünen in ihrer Kommune schon Wirkung erzielt, bevor sie überhaupt kandidieren. Das gilt erst recht für das politische Klima und die lokale Demokratie. Denn in all diesen Orten fallen die meisten Entscheidungen im Gemeinderat, egal zu welchem Thema, einstimmig und ohne jede öffentliche Diskussion. Mann hat vorher ausgekartet, was nachher als Entscheidung öffentlich und stumm nachvollzogen wird. Wenn politische Entscheidungsprozesse aber nicht transparent und nachvollziehbar ablaufen, ist nicht mal ein Minimum an Beteiligung und Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet.

Zuwachs an demokratischem Reichtum

Wenn es bisher einen Streit gab, wurde er persönlich, nicht politisch. Wenn Grüne als politische Gruppierung mit klarer Botschaft und Zielsetzung in diese Gemeinderäte einziehen, wird es offene politische, also demokratische Auseinandersetzungen geben. Der südamerikanische Schriftsteller und Diktatoren-Freund Louis Borges nannte mal, wie man eben in der SZ lesen konnte, die Demokratie einen „Missbrauch der Statistik“. Da hat er einen wunden Punkt getroffen, denn wenn bloß Stimmen gezählt werden und sonst nichts weiter an Mitbestimmung passiert, ist Demokratie eine leere Hülse. So erklärte ein CSU-Fraktionschef neulich am Stammtisch: „Wenn von Euch wer in den Gemeinderat kommt, gibt es nur Probleme. Dann sind keine Mehrheiten mehr möglich.“ Er möchte da kein Bürgermeister sein. Halb so wild. Dann macht‘s halt eine Grüne oder ein Grüner. Es gibt ja jetzt Alternativen. Reichtum bemisst sich nach den Möglichkeiten, die einem offenstehen, Freiheit danach, ob man die Wahl hat. In Bayern mehrt sich gerade der demokratische Reichtum.