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Bayerische Gepflogenheiten stecken voller feudaler Hinterlassenschaften. Wir unterhalten und besuchen Schlösser, Opern, Schatzkammern, Ritterturniere, Bauern- und Bürgerfeste, als wären wir in der „guten alten Zeit“ alle privilegiert gewesen. Die schönsten Blüten finden sich, wo sonst, ganz oben. So ist – Demokratie hin oder her – der funktionelle Körper des Königs, äh, Ministerpräsidenten immer noch weitaus gewaltiger als der leibliche. Wie früher die Königin wird deshalb auch die Ehefrau des Ministerpräsidenten auf alle möglichen Staatsakte geschleift oder stellvertretend zu Repräsentationsterminen geschickt, auch ganz ohne Bestallung oder gar Wahl. Dynastische Ausmaße nahm der Körper unter Stoiber an, als neben der Stoiberin auch noch seine Kinder, vor allem seine Töchter, mit auf sämtliche Bühnen gestellt und ausgestellt wurden.

Ein-, Zwei-, Dreifaltigkeit

Folgerichtig wurden „die Stoibers“ auch explizit im Wahlkampf vor weniger als 20 Jahren präsentiert und plakatiert. Wie heute Söder sollte auch Stoiber vermenschlicht werden, indem sozusagen seine weibliche Seite demonstriert wird. Gleichzeitig macht bei bestimmten Staatsempfängen die zeremonielle und alleinige Präsenz seiner Ehefrau deutlich, dass die Funktion, die er ausübt, größer ist als die anderer Ämter und ihr Träger deshalb nicht bloß in die Breite, sondern auch in die genealogische Zukunft verlängert werden will. Aber eine echte Erbfolge hat es in Bayern bisher nicht gegeben – trotz vielversprechender Ansätze bei Goppel, Strauß und Streibl. Dennoch hab ich manchmal meine Zweifel, dass die Monarchie in Bayern wirklich abgeschafft ist. Während meiner Zeit als Abgeordneter und vor allem jüngst im Rahmen der 100-Jahr-Feiern ist mir immer wieder aufgestoßen, wie sehr Regierung und staatliche Institutionen den Wittelsbachern immer noch Reverenz erweisen. Da heißt es dann „Königliche Hoheit“ hier, und „Königliche Hoheit“ da, und der Bückling kann gar nicht tief genug sein.

Königliche Hoheit lässt sich grüßen

Die staatliche Kulturförderung gibt ohnehin die große Masse der Mittel für feudale Errungenschaften aus, für Oper, Gärtnerplatztheater, Königsschlösser, Kirchen und Klöster. Natürlich sind diese auch wesentlicher Teil unserer kulturellen Tradition, aber das bedeutet doch nicht, dass man auch die alten Hierarchien konservieren muss. Vor allem aber ist diese Förderpolitik nicht nur zentralstaatlich, sondern altbayerisch geprägt. Denn wenigstens in Franken und Schwaben haben in früheren Jahrhunderten auch Städte und das Bürgertum eine große historische und kulturelle Rolle gespielt. Die Kulturpolitik ist auch für die Wittelsbacher das Mittel der Wahl, weiter Einfluss zu nehmen. Denn über die Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft und den Ausgleichsfonds haben sie immer noch direkten Zugriff auf Bayerns Kulturschätze. Und der Fonds wirft mit einer Bilanzsumme von rund 338 Millionen Euro jährlich rund 14 Millionen Euro Erträge für die Familie aus. Neben dem Privatvermögen, wohlgemerkt, also den Schlössern Tegernsee, Wildenwart, Leutstetten und Kaltenberg, Immobilien und Industrieanteile sowie Land- und Forstwirtschaft mit einer Fläche von 12.500 ha.

Reserviert für den Adel

Selbst für ein Medium wie die Süddeutsche „spielen die Wittelsbacher nach wie vor eine tragende gesellschaftliche Rolle und genießen weitgehend ein hohes Ansehen“. Letzten Monat hat sie sich gar dahingehend verstiegen, „Franz Herzog von Bayern“ habe „mit seinem Engagement“ erst den Bau der Pinakothek der Moderne „möglich gemacht“. Und der Münchner Merkur musste uns letzte Woche in Kenntnis setzen, dass der „Ur-Urenkel des letzten bayerischen Königs“ karitativ tätig ist: „Prinz marschiert 100 Kilometer für Afrika“. Offenbar gibt es ein unausrottbares, starkes Bedürfnis, dem Adel Reverenz zu erweisen. Und das reicht weit über die Wittelsbacher hinaus. Man denke nur an den Hype um das Phänomen Guttenberg. Und bei allem Klamauk um die selbsternannte „Fürstin“ geht immer unter, dass das Haus Thurn und Taxis laut SZ der größte private Grundbesitzer Deutschlands ist, mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde Euro.

Die Monarchie endet scheinbar nie

Hatten wir nicht mal eine Revolution? Daran haben im letzten Jahr viele Jubiläumsfeiern, Ausstellungen und Vorträge erinnert. Bei den Staatsakten zu 100 Jahre Freistaat wurde allerdings die Revolution kaum und der erste demokratische Ministerpräsident Kurt Eisner gar nicht erinnert. Den Gipfel schoss die Landesausstellung unter dem Motto „Mythos Bayern“ ab: Hundert Jahre Revolution, der König trollt sich, und das staatliche Haus der Bayerischen Geschichte feiert nicht unsere demokratischen Traditionen, sondern inszeniert die Erinnerung an die Abschaffung des Königtums ausgerechnet als „Königstraum“. Darauf muss man erst mal kommen. Bei der Eröffnung wurde wie selbstverständlich von allen offiziellen Rednern „Ihre Königliche Hoheit“ begrüßt. Noch lustiger war, dass eine ganze Sitzreihe reserviert war mit dem Zettel: „Für den Adel“. Hat es die Revolution überhaupt gegeben? Damals, nach dem verheerenden Weltkrieg, hatten Monarchie und Adel abgewirtschaftet. Keine Hand hat sich zu ihrer Verteidigung erhoben. Warum hält sich Neigung, das Knie zu beugen, dennoch so hartnäckig bis heute?

„Nach dem Jubiläum: Was bleibt von der Revolution 1918/19?“ Darüber rede ich am Mittwoch, 17. Juli, um 21 Uhr, im „Landtagsstammtisch“ auf RADIO LORA 92.4 mit dem Direktor des Münchner Stadtarchivs Michael Stephan. Livestream http://lora924.de/?page_id=7853.

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Mann muss sie einfach mögen, die Aigner Ilse: hübsch, mit diesem weichen, so gemütlichen bayerischen Tonfall, so „weiblich“ im öffentlichen Auftreten, so zurückhaltend bescheiden, fast ohne jeden schrillen Klang, so jovial leutselig und gar nicht auftrumpfend. Natürlich fall ich auch jedes Mal drauf rein.

Knallhart, aber leise auf Kurs

Dabei geht sie knallhart ihren Weg. Das hat man schon letztes Jahr kaum gemerkt, dass sie völlig geräuschlos andere CSU-Granden beim Kampf um den Bezirksvorsitz in Oberbayern ausbremste. Der/die oberbayerische Bezirksvorsitzende ist die mächtigste Person, wenn es um die Frage geht, wer bayerischer Ministerpräsident/in wird oder bleibt. Der damalige Finanzminister Fahrenschon und die öffentlich als ehrgeizig gebrandmarkte Sozialministerin Hadertauer zogen ziemlich kleinlaut den Kürzeren. Fahrenschon hat danach überhaupt jede Lust auf Landespolitik verloren und innerlich gekündigt, weil sein Chef Seehofer ihm die Grenzen aufgezeigt hatte.

Lustig ist, wie unterschiedlich die Urteile in den Medien ausgefallen sind. Bei Aigner gilt das stille Hinter-den-Kulissen-Strippen-Ziehen als Bescheidenheit: „Die besten Chancen jedoch hat ausgerechnet jene Frau, die es am wenigsten auf den Vorsitz abgesehen hat: Ilse Aigner“, fabulierte die SZ – http://www.sueddeutsche.de/bayern/csu-oberbayern-suche-nach-neuem-chef-die-variante-aigner-1.1035274 – am 12. Dezember 2010 in schönster Märchen-Manier. „Anders als Aigner werden den beiden (Hadertauer und Fahrenschon, S.D.) Ambitionen nachgesagt, einmal Ministerpräsident werden zu wollen.“ Fahrenschon dagegen wurde aus demselben öffentlichen Nicht-Auftrumpfen ein Strick draus gedreht: „Dass Fahrenschon um diesen Posten nicht energischer und erfolgreicher kämpfte, war der Nachweis für einen begrenzten Machtwillen“, kommentierte die FAZ am 31.Oktober 2011 – http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/seehofer-befoerdert-die-frauenquote-die-csu-wird-weiblicher-11513312.html.

Begnadete Strippenzieherin

Da war der Münchner Merkur am 1. November 11 schon näher an der Wahrheit dran –http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/georg-fahrenschon-nachfolger-mm-1471647.html. Diesmal ging es um den nächsten Coup von Ilse Aigner, nämlich Fahrenschons Nachfolge als Finanzminister. Der Merkur arbeitete den alten Handstreich nochmals auf und verwies darauf, „dass der eher korrekte als machtgeile Minister es nicht leicht hatte in den letzten Monaten. Bei der Entscheidung über den CSU-Bezirksvorsitz Oberbayern war er es, der überrumpelt wurde. Als Fahrenschon gerade im Flugzeug saß, griff Bundesministerin Ilse Aigner nach dem Posten.“ Nun, bei der Frage, wer wird Finanzminister/in, wiederholte sich das Spiel. Hadertauer sei Seehofers erste Wahl gewesen, hieß es, vermutlich auch von ihr selbst kolportiert. Dann hat Ilse Aigner interveniert, Hadertauer blieb beschädigt zurück. Nachdem auch Fahrenschon weg ist, bleibt nur noch Söder. Warten wir’s ab.

Vor einem Jahr hat sie gleich noch den populären Gauweiler ausgebremst: „auf dem Nürnberger Parteitag vor wenigen Wochen hat sie nicht nur das beste Stimmenergebnis unter allen Bezirksvorsitzenden erzielt, sondern mit ihrem Einsatz für ihren Berliner Kabinettskollegen Ramsauer und gegen den Münchner Tausendsassa Gauweiler ihr Talent beim Schmieden von ursprünglich unwahrscheinlichen Mehrheiten“ bewiesen, sprach ihr die FAZ ihre Anerkennung aus. Die SZ lobte ihr „geschicktes Taktieren“. Sie hat Solidarität demonstriert, die Demontage eines Ministerkollegen abgewendet und allen gezeigt, wo der Bartl den Most holt.

Das nette Gesicht einer knallharten Lobby

Als Verbraucherministerin war sie scheinbar weniger erfolgreich. Sie sei nur eine „Ankündigungsministerin“, heißt es. Renate Künast, die ja mal eine echte Verbraucherschutzministerin war, hat jetzt Bilanz gezogen: „Als Agrar- und Verbraucherministerin ist sie auf ganzer Linie gescheitert. Ihre Politik war im Wesentlichen an den Interessen der Agrarindustrie ausgerichtet. Für die Bauernfamilien ist dabei nichts herausgesprungen – auch nicht in Bayern.“ Aber gerade damit war sie für eine CSU-Landwirtschaftsministerin höchst erfolgreich: Als pragmatische Lobbyistin für die Agrarindustrie agieren und trotzdem bei den Bauern in Bayern beliebt zu sein, das macht ihr so schnell keiner so elegant nach. Und auch die Verbraucherinnen und Verbraucher haben das kaum gemerkt: denn Aigner war z.B. als Verbraucherministerin theoretisch gegen Gentechnik und nur als Landwirtschaftsministerin pragmatisch dafür.

Schlusspunkt einer Strategie der Vorentscheidung

Dass Aigner jetzt wieder in Bayern Politik machen will, ist nur bei Seehofer aus „blanker Not geboren“, wie die SZ schreibt – http://www.sueddeutsche.de/politik/csu-ministerin-aigner-wechselt-nach-muenchen-seehofers-groesster-trumpf-1.1469503. Bei ihr ist das der nächste logische Schritt. Denn schon bei der Eroberung des Bezirksvorsitzes und dann bei Fahrenschon-Nachfolge hat sie die entscheidenden Weichen gestellt. Die Nürnberger Nachrichten kommentierten damals (4. November 2011)– http://www.nordbayern.de/nuernberger-nachrichten/region-bayern/haderthauer-opfer-eines-machtkampfs-1.1631788 –: „Es drängt sich aber der Eindruck auf – und der wird von CSU-Landtagsabgeordneten bestätigt – dass da hinter den Kulissen eine Art Machtkampf getobt hat. Ein Machtkampf, bei dem es zwar auch um das Amt des Finanzministers als solches ging – aber auch darum, wer eine bessere Ausgangsposition bekommt, wenn es darum geht, dereinst einen Nachfolger für Ministerpräsident Horst Seehofer zu finden.“ Jetzt geht es darum, vor Ort zu sein, wenn das Hauen und Stechen um die Seehofer-Nachfolge beginnt: entweder sofort, wenn die CSU wieder verliert, oder spätestens vor der nächsten Wahl. Wer in Berlin ist, ist weit ab vom Schuss, das musste damals der Parteivorsitzende Weigl schmerzlich erfahren, als der bayerische Innenminister Stoiber locker an ihm vorbeizog.

Für Seehofers dagegen ist dieser Rückgriff auf die so beliebte Berliner Ministerin vor der für die CSU möglicherweise alles entscheidenden Landtagswahl 2013 die Mobilisierung der letzten Reserven: ein Körper im Schockzustand konzentriert sich nur noch auf den Notkreislauf, die äußeren Gliedmaßen im fernen Berlin müssen sich einstweilen irgendwie behelfen.