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Erst Handeln, dann Denken, meint die FDP: „Digital first, Bedenken second“. Die Vorteile der Digitalisierung – für Wirtschaft wie Konsumentinnen und Konsumenten – sind so offensichtlich, dass viele die vermuteten oder längst wahrnehmbaren Nachteile hintanstellen: Verlust oder Beeinträchtigungen von Datenschutz und Medienfreiheit, Privatsphäre und demokratischer Öffentlichkeit, informationeller Selbstbestimmung oder Konzentrations- und Wahrnehmungsfähigkeiten. Die Digitalisierung verändere unsere Welt so grundlegend wie die industrielle Revolution vor 150 Jahren, heißt es. Aber die war, wir erinnern uns (z.B. eher kapitalfreundlich: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/oekonomie-seiten-die-die-welt-veraenderten-1.3664756), auch kein reines Zuckerschlecken. Deshalb müssen wir auf Folgen, Begleiterscheinungen und Rahmenbedingungen des digitalen Ausbaus mindestens so viel Wert legen wie auf dessen Geschwindigkeit. Dabei zeigt sich schnell, dass wir so manche Grundsatzfrage nicht geklärt und noch keine geeigneten Konzepte haben, um elementare Grundrechte und andere unerlässlichen Bestandteile einer funktionierenden Demokratie zu gewährleisten.

Freiheiten in Sicherheit genießen

Wir Grünen wollen ja, „dass Bayern das digitalste Bundesland wird, in dem Menschen die Chancen der Digitalisierung sicher nutzen können“ – https://katharina-schulze.de/digital-aber-richtig/. Davon sind wir in jeder Hinsicht weit entfernt, was Ausbau wie Sicherheit angeht. Unsere Reise nach Tallinn und Helsinki – http://www.sepp-duerr.de/3057 – hat uns nicht nur Chancen, sondern Grenzen und Gefahren des digitalen Versprechens gezeigt. So haben sich die estnischen Erwartungen auf mehr Partizipation und höhere Beteiligung dank Online-Wahlmöglichkeiten nicht erfüllt. Dagegen hat uns die weitgehende Sorglosigkeit in Hinblick auf Missbrauch der digitalen Möglichkeiten beunruhigt. Die immer schnellere Sammlung und Zentralisierung von Daten, etwa durch bargeldloses Zahlen, z.B. in Läden, Kneipen, Verkehrsmitteln und beim Parken, durch ID-Card und E-Government, führen zu großem Komfort, aber auch zu riesigen Risiken. Das hat sich eben noch mal bestätigt: http://www.sueddeutsche.de/politik/treffen-in-tallinn-leise-unsichtbar-und-massiv-1.3657046; https://www.heise.de/newsticker/meldung/Estland-Sicherheitsluecke-in-fast-750-000-ID-Cards-3822597.html. Das dort herrschende große Vertrauen in „unseren Staat“ und die Sicherheit des staatlich-privaten Systems teilen wir aus guten Gründen und u.a. unseligen Erfahrungen mit Überwachungsstaaten nicht.

Kinder in der digitalen Welt

Mindestens so fragwürdig sind die großen finanziellen Anstrengungen von Bundes- und bayerischer Regierung, Computer und Tablet im Unterricht durchzusetzen. Daher fordern manche eine Denkpause: „Es ist Zeit, dem reflexhaften Ruf nach der digitalen Schule eine pädagogische Reflexion entgegenzusetzen“ – http://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitales-geraeteturnen-1.3668070. Denn „die Schülertests Iglu und Timss belegen, dass Grundschüler, die mindestens einmal pro Woche Computer im Unterricht nutzen, in einigen Fächern niedrigere Kompetenzen zeigen als Grundschulkinder, die seltener vorm PC sitzen.“ Auch das „Bündnis für humane Bildung“ kritisiert den Milliarden-schweren „Digitalpakt#D“ der Bundesregierung als „Irrweg der Bildungspolitik“. Der Medientheoretiker Ralf Lankau beruft sich dabei auf Studien und OECD (Andreas Schleicher: „Wir müssen es als Realität betrachten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt“) und folgert: „Wer Bildungsprozesse ermöglichen will, verzichtet möglichst lange und vor allem in der Grundschule auf Bildschirmmedien“ https://www.heise.de/tp/features/Technologie-in-unseren-Schulen-schadet-mehr-als-sie-nuetzt-3766725.html. Aber die „digitalen Medien sind immer früher Teil der Lebensrealität unserer Kinder“. Deshalb müssen Bildungseinrichtungen trotzdem adäquat auf die Digitalisierung antworten können. Dafür brauchen sie vor allem Zeit und geschultes Personal.

Die virtuelle gehört zur wirklichen Welt

Regelmäßig online sind von „den 3-Jährigen fast jedes 10. Kind, bei den 6-Jährigen fast ein Drittel, bei den 8-Jährigen gut die Hälfte.“ Doch deshalb sind sie alles andere als „Experten“. Stefan Aufenanger hat auf der Jahrestagung 2014 der Deutschen Liga für das Kind (http://liga-kind.de/zeitschrift-fruehe-kindheit/) darauf hingewiesen, dass „genau die ‚digitale natives‘ eben nicht medienkompetent“ sind, sondern „eher unbedarft im Umgang mit Medien, sie klicken irgendwo drauf und es funktioniert etwas“. Und Maren Risch ergänzte, weil „Medien doch Bestandteil der kindlichen Lebenswelt“ seien, „benötigen Kinder Hilfestellungen und Interpretationshilfen von Erwachsenen“. Alleingelassen, meint auch die SZ – http://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitales-geraeteturnen-1.3668070 – seien sie damit überfordert „mündige Mediennutzer zu werden und die Chancen des Digitalen von seinen Gefahren unterscheiden zu können; auch vielen Erwachsenen täte Nachhilfe hier gut“. Denn „Kinder sollen weniger Zeit mit dem Smartphone verbringen, doch viele Eltern können sich selbst kaum davon lösen. Das schlechte Vorbild beeinträchtigt Familienleben und kindliche Entwicklung“ – http://www.sueddeutsche.de/wissen/erziehung-du-machst-es-doch-auch-mama-1.3201947?reduced=true. Wer ganz im Internet ist, kann draußen nicht voll da sein. Das hat Folgen (http://www.sueddeutsche.de/wissen/2.220/kognition-jetzt-pass-halt-auf-1.2971866): „Wenn Eltern mit dem Smartphone spielen, auf die Zeitung schielen oder sonst wie abgelenkt sind, dann leidet auch die Konzentration der Kleinen beim Spielen.“

Drinnen hui, draußen pfui

Die Frage ist, in wie weit nicht längst auch die Konzentrationsfähigkeit der Erwachsenen unterminiert ist – bzw. inwiefern wir der permanenten Anreizstruktur aus Klicks, Likes, Pushup-Meldungen und Benachrichtigungen über Email-, Post- und Posts-Eingänge widerstehen können. Denn die Anbieter setzen auf „so genanntes Nudging, also die fürsorgliche Bevormundung und Entmündigung durch unablässige Gängelung per App und Web“: „Wir haben ein körpereigenes Belohnungssystem, das bei positiven Erlebnissen körpereigene Hormone wie Dopamin ausschüttet. Lernprogramme und Computerspiele sind so programmiert, dass wir auf diese kurzfristige Belohnung hinarbeiten, kleine Rückmeldungen bekommen, Bestätigungen und Feedback. Das freut uns, das bekommen wir in kurzen Abständen. Ziel der Programme und Spiele ist es, uns möglichst lange am Bildschirm zu fesseln und dabei Benutzerdaten aufzuzeichnen“ https://www.heise.de/tp/features/Technologie-in-unseren-Schulen-schadet-mehr-als-sie-nuetzt-3766725.html?view=print. Wer je versucht hat, bei offenem Internetzugang z.B. an einem Text wie diesem zu arbeiten, weiß, wovon ich rede. Es war immer schon schwer, auf unverzügliche kleine Belohnungen (Spatz in der Hand) zu verzichten, nur um auf eine etwaige größere hinzuarbeiten. Da braucht es einige Übung und Einübung. Gerade auch in der Schule.

Aktiv und so selbstbestimmt wie möglich

Mindestens so wichtig aber sind externe Anreize, also positive Erfahrungen offline. Jedoch, auch darauf hat Stefan Aufenanger hingewiesen, „findet heutzutage meist eine Einengung der physischen Welt von Kindern statt“: durch „Helikopter-Eltern“, die jeden Schritt überwachen, „Schneepflugeltern, die alle Probleme vor ihren Kindern wegräumen, damit diese wirklich nichts erleben, also auch keine Grenzen selbst erfahren“ oder „selbständig etwas erleben können“. Deshalb warnt Aufenanger die Eltern, den Internetzugang und damit „den Kindern ein Stück Selbständigkeit nehmen. Sie sollten eher eine gewisse Neugierde ihrer Kinder für digitale Medien respektieren, zugleich aber auch ihre Dialogbereitschaft zeigen, bei Problemen immer für sie da zu sein.“ Und Maren Risch meinte zur „Medienbildung in der Kita“: „Der bewusste Einsatz von Tablets kann einen Gegenpol zu der möglicherweise bereits bestehenden Fehlentwicklung in der Mediennutzung darstellen … Während Eltern in der häuslichen Mediennutzung die vorhandenen mobilen Geräte beispielsweise zu Einschlafritualen nutzen oder Spiele-Apps zum Überwinden von Wartezeiten einsetzen, so können Fachkräfte hier mit Kindergartenkindern kollaborierend arbeiten, indem sie Tablets zum Fotografieren einsetzen oder ein eBook mit der App Book Creator gestalten.“ Selbstbestimmter, produktiver Umgang statt passivem Konsumieren: das wäre dann Handeln und Denken in einem. Könnte funktionieren.

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Werde ich dünnheutiger, je länger der Wahlkampf dauert oder je näher der Wahltag rückt? Jedenfalls kann ich mich immer wieder und offenbar immer leichter fürchterlich aufregen. Und erst hab ich schon gedacht, jetzt ist es so weit, akrat vor dem Wahltag: Ich muss Medien und Wähler beschimpfen. Weil sie über belanglose Stilfragen und Bagatellen diskutieren, statt die großen Themen ins Visier zu nehmen. Weil sie sich in Aufgeregtheiten über den Stinkefinger Steinbrücks und über offensichtlichen Quatsch wie die PKW-Maut ergehen. Dann hab ich diese Diskussionen ernst genommen.

Sensibelchen in eigener Sache
Dass sich die Medien über Steinbrück echauffieren ist verständlich, schließlich hat er allen, die ihn in den Zeitungen und Fernsehsendern mit Spottnamen bedacht haben, gesagt, was er von ihnen hält: nichts. Er hat kräftig zurückgekeilt. Das darf er doch nicht! Das ist doch gegen alle journalistischen Regeln: Medien dürfen ihn neckisch beschimpfen als „Problem-Peer“ oder „Peerlusconi“, da soll er sich mal nicht so haben. Aber wenn es um sie selber geht, sind Journalistinnen und Journalisten bekanntlich empfindlich. Da kenne ich auch ein paar. Die Wählerinnen und Wähler allerdings, das deuten heutige Befragungen schon an, fühlen sich in ihrer Entscheidung für oder gegen Steinbrück durch den Anblick seines Mittelfingers nur bestätigt.

Gerechtigkeit á la Dick und Doof
In Sachen PKW-Maut lohnt es sich ebenfalls, genauer hinzuschauen. Da geht es um des Deutschen Heiligstes, die „freie Fahrt für freie Bürger“. Die aufzugeben sind viele bereit, wenn‘s nur auch die Ausländer richtig erwischt. Das ist wie bei Dick und Doof: Die halten auch gern die eigene Wange hin, wenn sie nur dem andern vorher ordentlich in die Fresse hauen durften. Das geht doch nicht, dass die auf unsere Kosten umsonst durch Deutschland fahren und wir müssen im Ausland zahlen. Dafür nehmen Ausländerfeinde locker Nachteile in Kauf. Abgesehen von der Diskussion, ob eine „Maut für Ausländer“ EU-verträglich ist oder durch Tricksereien möglich würde, geht es nur um fünf Prozent des Verkehrsaufkommens. Geld einbringen wird uns das sicher nicht, angesichts des enormen bürokratischen Aufwands. Freiheit kosten wird es auch. Aber das gesunde Volksempfinden kommt zu seinem Recht.

Bayern ist reif. Ich auch
Da zählen Sachargumente nicht, denn um die geht es nicht. Höchste Zeit deshalb, dass dieser Wahlkampf zu Ende geht. Ich kann auch nur ein gewisses Maß geduldig einstecken und ertragen. Und schon bei Schiller heißt es: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Und der Frömmste bin ich, zugegeben, schon lange nicht mehr.

Wie soll ich mit meiner schweren Erkrankung umgehen? Für mich war sofort klar, dass ich nicht einfach weitermachen kann, als wäre nichts gewesen. Ich will die Krankheit nicht leugnen und nicht bagatellisieren, sondern so ernst nehmen, wie sie ist. Sie stellt einen massiven Einschnitt dar, auf den ich genauso deutlich antworten muss. Ich wollte also etwas spürbar ändern und mich auf die Wiederherstellung meiner Gesundheit konzentrieren. Als dann letzte Woche die Bewerbung für die Direktkandidatur in meinem Stimmkreis anstand, war für mich die Entscheidung klar: so lange ich nicht weiß, wie es um mich steht, kann ich da nicht antreten. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich „aus der Politik zurückziehe“, wie manche schreiben. Ich mache, wenn möglich, weiter meine Arbeit.

Auf offener Bühne

Eine für uns nicht immer erträgliche Eigenheit unseres Politikerberufs ist, dass alles, was wir so tun, mehr oder weniger vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet. Es bekommt dadurch nicht nur ein anderes Gewicht, sondern häufig auch eine völlig andere Bedeutung. So ist die Häufung von Intrigen, Machtkämpfen oder Quertreibereien in der Politik vermutlich kein bisschen größer als anderswo in Betrieben, Verbänden oder Vereinen. Aber hier bekommen alle mit, was in Partei oder Regierung läuft, und die Berichterstattung gibt einer internen oder zunächst harmlosen Äußerung einen ganz anderen Sinn. Das ist einer der Preise, die demokratische Politik zahlen muss.

Das Private ist privat

„Transparenz“ ist unverzichtbar, wenn es um politische Interessen, Prozesse und Vorgänge geht, aber bloß Privates ansonsten öffentlicher Personen geht niemanden etwas an. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, zu erfahren, wenn ich meine Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr uneingeschränkt machen kann. Aber niemand hat ein Recht darauf zu wissen, an was ich leide oder wie sehr ich leide. Es gibt keine Politiker-Pflicht, öffentlich zu leiden. Ich verstehe alle, die sich aus Mitgefühl sorgen, sich gerne beruhigen oder gar trösten lassen würden oder sich über die schlechte Nachricht einfach aussprechen wollen. Aber aus Mitgefühl sollten sie das am wenigsten mit mir tun.

Schäbiger Enthüllungsjournalismus

Mit Enthüllungen über Politskandale haben sich manche Zeitungen früher große Verdienste erworben. Aber das ist bei einigen schon eine Zeitlang her. Was ihnen aber geblieben ist, ist dieser Skandalisierungsgestus und das Aufdeckungspathos. Diese Soße gießen sie heute wahllos auf alle Themen, auch auf die Berichterstattung über meinen Gesundheitszustand. Aber was soll das Politische daran sein? Wo ist die Legitimation für die Missachtung meiner Privatsphäre? Wie will man journalistisch rechtfertigen, dass man private Äußerungen aus internen Sitzungen berichtet und öffentliche, auf nichts begründete Vermutungen über Krankheitsdiagnosen anstellt? Ich verlange ja nicht, dass alle Journalistinnen Mitgefühl zeigen oder wissen, was Anstand ist, aber ich verlange, dass sie die professionellen Regeln ihres Berufsstandes beachten.

Politik ist mein Beruf

Es wird offenbar nicht leicht, alle meine Ziele unter einen Hut zu bringen: also die Krankheit nicht zu ignorieren, kein öffentliches Schauspiel zu bieten und trotzdem noch als politische und damit öffentliche Person zu agieren. Das betrifft schon so banale Fragen wie: Was twitter ich über meine Krankheit oder meinen Aufenthalt im Krankenhaus? Inzwischen tendiere ich dazu, gar nichts mehr zu sagen. Denn ich will es mir und meinen Angehörigen ersparen, meine Leidensgeschichte in der Zeitung zu lesen und immer wieder von allzu vielen darauf angesprochen zu werden. Und ich bestehe weiter darauf, nicht als Kranker, sondern als Politiker in den Medien aufzutauchen.

Herbert Rosendorfer ist tot. Er schien in den letzten Jahren schon etwas aus der Zeit gefallen: einer der letzten bürgerlichen Schriftsteller. Ich weiß nicht, wie oft wir noch vom Ende des bürgerlichen Schriftstellers reden werden, aber seine Art, neben dem „Brotberuf“ zu schreiben, die Themen und die altväterliche Art zu erzählen, also stets mit Hang zum Auktorialen, zum Erzähler, der drübersteht, der ganze Stil des Schreibers und Schreibens war erkennbar nicht mehr von heute. Er hätte nie getwittert oder gebloggt – und facebook wäre ihm vermutlich ein Graus gewesen, hätte er es denn zur Kenntnis genommen. Aber er hat ein paar schöne Bücher geschrieben, vielleicht werden sogar ein, zwei davon bleiben. In „Das Messingherz oder Die kurzen Beine der Wahrheit “ verspottet er das Wirken deutscher Geheimdienste (hier: den BND). Rosendorfer hat 1979 schon alles zu dem Gemenge aus Pfusch, Inkompetenz, Präpotenz und Imponiergehabe gesagt, das jetzt bei Verfassungsschutz und MAD so fürchterliche Nicht-Konsequenzen hatte.

„Der Blechtrommler“

Die Süddeutsche Zeitung schreibt in ihrem heutigen Nachruf – http://www.sueddeutsche.de/bayern/efolgsautor-herbert-rosendorfer-gestorben-spaete-rueckkehr-in-die-heimat-1.1474012 –, er „verfasste Romane und Erzählungen – witzige, feine Stücke Literatur, deren Qualität von der Kritik häufig unterschätzt wurde“. Zu diesen Unterschätzern zählte immer mal wieder auch die SZ. 1999 ging der „Jean-Paul-Preis“, also der bayerische Literaturpreis, an Rosendorfer. Ich war damals neu im Landtag und im Amt als Kulturpolitiker und mit der Wahl sehr einverstanden. Umso mehr habe ich mich am nächsten Tag geärgert über die abfällige Besprechung in der SZ. Sogar der provinzielle Charakter der Verleihung wurde ihm persönlich zugerechnet. Auch mir war aufgefallen, dass die Agierenden nur Männer waren und die Frauen, „vier junge Damen mit bloßen Schultern“, nur Dekoration. Immerhin war damals noch Zehetmair Kulturminister und neben mir saß ein CSU-Abgeordneter, der die bloßen Schultern nicht ohne anzügliche Bemerkungen ansehen konnte. Aber von da auf das Format Rosendorfers schließen konnte man nur, wenn man ihn als Dilettanten („Dichten & Richten“ – „und was noch alles“) verächtlich machen wollte. Hätte man nicht eine Kritikerin schicken können, die wenigstens eine Zeile von ihm selbst gelesen und sich nicht ausschließlich darauf hätte beschränken müssen, die Reden des Abends zu verreißen? Nicht nur aus gerechter Empörung, sondern natürlich auch, um mich als Kulturpolitiker bemerkbar zu machen, habe ich prompt einen Leserbrief an die SZ geschickt. Verständlich und anregend zu schreiben, sei offenbar bei einem deutschen Schriftsteller immer noch eine intellektuelle Todsünde.

Gruß aus dem Yrwental

So schnell hab ich selten eine Reaktion erfahren. Die SZ hat meinen Brief tatsächlich abgedruckt und sofort hat mich Herbert Rosendorfer über Satellit aus Südtirol angerufen. Durch den Satelliten gab es einen Halleffekt, das war damals noch was. Er wollte sich bei mir bedanken für meinen Leserbrief und dafür meine Adresse erfragen. Kurz darauf hat er mir sein Dankesschreiben geschickt, handgeschrieben, auf Briefpapier, wie sich das gehörte.

Wie leicht sind die Menschen zu kränken. Auch die scheinbar Starken. Und wie wohl tut Balsam auch auf die Wunden erfahrener Kämpen. Das hat mich schon erstaunt. Rosendorfer wusste nichts von meinen politischen Ambitionen, die haben ihn auch nicht interessiert. Aber dass irgendein Leser aus Germering ihm, dem bekannten Schriftsteller und Preisträger, beistand, das hat er offenbar gebraucht.

Politiker sind unsensibel – wenn sie überleben wollen

Politiker sind da abgebrühter. Oder sie werden es irgendwann. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig. Mich in eigener Sache über „ungerechte“ Beurteilung durch Journalistinnen und Journalisten zu beschweren, hab ich mir zum Glück nie angewöhnt. Allerdings ist mir auch noch nie jemand öffentlich beigesprungen, wie ich damals Rosendorfer. Auch wenn im Lauf der Jahre manches sogar verletzend oder buchstäblich ehrabschneidend war, das einfachste Rezept hieß: so schnell vergessen, wie es die Leserinnen und Leser tun. Wenn der Name in der Zeitung steht und das Bild im Fernsehen ist, hat man als Politiker schon die größte Hürde überwunden. Alles Weitere ist nebensächlich, weil die meisten sich ohnehin nicht daran erinnern können, was gesagt wurde oder man selber sagte. Aber dass ich im Fernsehen, Radio oder der Zeitung war, daran können sich wenigstens meine Bekannten erinnern. Und das braucht man als Politiker auch – allem Geschwätz über „Eitelkeiten“ zum Trotz. Nur wer sich unter all den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern einen Namen macht, wird wiedergewählt.

„Bayerns Grüne wollen im Wahlkampf auf eigene Inhalte setzen“, schreibt heute die Nachrichtenagentur dapd. Sie berichtet von der Klausur unserer bayrischen SpitzenpolitikerInnen in Würzburg. Ein Vertreter des Meinungsforschungsinstitutes Infratest dimap habe dazu geraten. „Es sei eine Sache des Herangehens, ob man einen «Krawallwahlkampf» führe oder konstruktiv neue Ideen und Werte aufzeige, sagte der Grünen-Landeschef.“ Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube an die Umsetzbarkeit.

Das Problem mit den Mediengesetzen

Mit dem Verweis auf die Inhalte haben wir schon in den letzten Wahlkämpfen versucht, aus unseren grünen Nöten eine Tugend zu machen. Damit wollten wir den jeweiligen personellen und machtpolitischen Zuspitzungen etwas entgegensetzen bzw. auch leidigen Koalitionsfragen ausweichen, bei denen wir nur eine unglückliche oder gar keine Rolle spielten. Vor allem aber: Inhalte sind seit jeher sozusagen unser Kerngeschäft. Überzeugende, durchdachte Konzepte, neue Ideen und die Fähigkeit, neue Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen, das hat uns Grüne immer schon ausgezeichnet. Es ist auch mit Abstand der Hauptgrund, warum unsere Wählerinnen und Wähler sich für uns entscheiden. Aber schon damals war es schwierig, mit eigenen Inhalten durchzudringen. Das war es immer schon. Am katastrophalsten gescheitert sind wir damit auf Bundesebene, als wir bei der Wiedervereinigungswahl 1990 lieber vom Klima reden wollten. Denn so sehr unsere eigenen Leute sich für unsere Inhalte interessieren, in die Medien kommen wir damit meistens nicht. Die Medien berichten am liebsten über die Mehreren und die Schwereren, also beispielsweise jede noch so unverbindliche Ankündigung von Regierungen oder Personen, die etwas zu entscheiden haben, und zwar, als sei es schon Fakt. Bekannte Namen, Machtkonflikte, am liebsten interne, möglichst simple Streitszenarien und Ungewöhnliches, das ist der Stoff, der von Mediengesetzen präferiert wird. Der Neuigkeitswert, dass wir Grünen mal wieder eine gute Idee oder einen praktikablen Vorschlag haben, hält sich da in Grenzen.

Je mehr Kompetenz, desto weniger relevant

Bestes Beispiel sind leider meine Themenfelder: Kultur und Forschung. An sich sind das die Politikfelder, neben Bildung, bei denen die Landespolitik tatsächlich etwas zu entscheiden hat. Aber in die Medien komme ich nicht, wenn ich noch so durchdachte Vorschläge habe, wie die Kulturpolitik in Bayern neu zu organisieren oder die Forschungspolitik neu auszurichten wäre, sondern wenn es symbolischen Streit gibt, etwa um ein Dürer-Bild, oder machtpolitische Verteilungskämpfe, z.B. bei Seehofers neuem großartigen „Kulturkonzept“, also mit „Krawallthemen“.

Inhalte mit beschränkter Wirkung

Um nicht alles den Medien zuzuschieben: Auch selber handeln wir Grünen ja momentan nicht gerade stringent, wenn wir sagen, dass es auf die Inhalte ankommt – und dann führen wir monatelang auf Bundesebene Personaldiskussionen. Und dabei ist die Entscheidung über das Spitzenteam allenfalls mit Stilfragen, aber nicht mit inhaltlichem Richtungsstreit verbunden. Der größte Pferdefuß bei den Inhalten aber ist ein struktureller: Wenn es nicht gerade die Themen sind, die ohnehin auf der Tagesordnung stehen, wie etwa Europa und die Finanzierung der Finanzkrise, und die eher emotionelle als Fachdebatten auslösen, dann haben Inhalte auch den Nachteil, dass sie, wenn man sie tatsächlich sachgerecht angeht, nur sehr beschränkte Zielgruppen interessieren. Fachthemen für eine breite Öffentlichkeit aufzubereiten, das ist eine ganz besondere Herausforderung. Kurz: Wenn wir in den kommenden Wahlkämpfen wirklich mit Inhalten durchdringen wollen, werden wir uns sehr anstrengen müssen.

Vermutlich bin ich sozusagen betriebsblind, weil es meinem Naturell und meinem Hauptantrieb, Politik zu machen entspringt, aber ohne ein bisschen „Krawall“, also emotional aufgeladenem Richtungsstreit, schaut es eher mau aus. Und: wo bleibt dann der Spaß?