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Schlagwort-Archive: Ideologiefrei

Nach den ersten Sitzungen in den Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten kann man sich gelegentlich schon verwundert die Augen reiben. Denn auch wenn in vielen Orten demokratische Gepflogenheiten wie das informelle Vorschlagsrecht der stärksten Fraktionen respektiert oder generell die Weichen auf kollegiale Zusammenarbeit gestellt wurden, gibt es doch eine erstaunliche Anzahl von Räten, in denen sich eine formelle oder heimliche, von der örtlichen CSU angeführte Gestaltungsmehrheit zusammengefunden hat zu dem Zweck, die Grünen klein und außen vor zu halten. So z.B. im „Starnberger Kreistag. Grüne fallen bei Stellvertreter-Wahl drei Mal durch“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/starnberg-landrat-stefan-frey-stellvertreter-1.4908201?source=rss – und werden „nicht nur in Rosenheim ausgebremst“ – https://plus.pnp.de/ueberregional/bayern_oberbayern/3687325_Gruene-nicht-nur-in-Rosenheim-ausgebremst.html. Auch in den Landkreisen heißt es oft: „Grüne gehen leer aus“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/fuerstenfeldbruck/landrats-stellvertreter-gruene-gehen-leer-aus-1.4912524 .

Koalition der Verlierer

Das zieht sich von Oberbayern bis in Unterfranken. In ganz Bayern gibt es kommunale Gremien, in denen die CSU eine Koalition der Wahlverlierer gegen uns Grüne schmiedet: „Grüne gehen bei Wahl der Landrats-Stellvertreter leer aus“ https://www.main-echo.de/regional/stadt-kreis-aschaffenburg/neuer-kreistag-tritt-zusammen-gruene-gehen-bei-wahl-der-landrats-stellvertreter-leer-aus;art3986,7024207. „Wenn Sieger zu Verlierern werden. Die Grünen haben kräftig zugelegt, trotzdem gelingt es ihnen nicht immer, ihre Kandidaten für Stellvertreterposten durchzusetzen“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/landkreis-starnberg-gruene-kommunalwahlen-1.4899247. Gerade weil wir bei den Wahlen so erfolgreich waren, sind wir jetzt für fast alle anderen plötzlich der Hauptgegner. Inhaltlich hat sich unser wechselseitiges Verhältnis ja nicht geändert, weil wir Grünen immer noch an Klimaschutz und der Ökologisierung von Wirtschaft und Konsum als zentrale politische Aufgaben festhalten. Aber machtpolitisch hat sich vieles geändert. Anders als früher sehen sich die anderen Parteien, allen voran die CSU, aber eben auch die „Parteifreien“ plötzlich unter doppeltem Druck, sich mit diesen grünen Zielen auseinander- und sie umzusetzen.

Die anderen spüren unsere Macht

Alle können ökologische Notwendigkeiten nur noch schwer leugnen und sie bekommen entsprechende Forderungen aus den eigenen Reihen, von eigenen Wählergruppen wie von ihnen früher nahen Unternehmen. Darin spüren sie schon heute unsere Macht: sie sehen sich gezwungen, grüne Politik zu machen. Und die Angst sitzt ihnen im Nacken: Denn die heutigen Verlierer werden voraussichtlich auch die von morgen sein. Wir sehen also tatsächlich „eine Demonstration der Macht“ – https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/gauting-gemeinderat-konstituierende-sitzung-gruene-landkreis-starnberg-1.4906556, aber einer, die verzweifelt und mit falschen Konzepten ihren Verfall aufhalten will. Wie wenig souverän diese schwarze Macht noch ist, zeigt sich an den Nebengeräuschen. Nicht nur an einem Ort wie Gauting sollen die Grünen „von Anfang an in die Rolle der Opposition zurückgedrängt“ werden. Da geht es nicht nur darum, „die erstarkten Grünen lieber klein zu halten“, sich nicht „die Konkurrenz für die nächste Wahl heranzuziehen“ und zu verhindern, dass sich Grüne für eine erneute Kandidatur „warmlaufen“ (https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/kommunalwahl-in-taufkirchen-gruene-und-spd-gehen-leer-aus-1.4909526). Vor allem will man uns von Stellen fernhalten, bei denen wir zeigen könnten, wie gut wir Ämter oder offizielle Vertretungen führen und ausfüllen.

Raus aus der Oppositionsecke

Wir könnten ja zeigen, dass die notwendige grüne Politik am besten von Grünen umgesetzt werden kann (https://seppsblog.net/2020/03/18/die-kurze-stunde-des-machers/). Deshalb sollen wir Grünen wieder in die ideologische Ecke zurückgestellt werden, in der man uns so lange hat halten können. Mehr noch: man will die grüne Politik insgesamt in die ideologische Ecke stellen, um sie zu „entschärfen“. Es bedürfe „sachlicher Debatten und Entscheidungen und nicht ideologisch motivierter“ (https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/gemeinderat-gerbrunns-gruene-gehen-bei-stellvertreterwahl-leer-aus;art736,10442356). „Die Beteiligung der Grünen sei aus inhaltlicher Sicht nicht sinnvoll“, im Kreistag „treffe man Verwaltungsentscheidungen, es gehe weniger um politische Ideen“ (https://www.kreisbote.de/lokales/landsberg/landsberger-landrat-sein-buntes-quartett-13761416.html). Es sind also zwei Aspekte, unter denen wir antworten müssen: Gegen die Versuche von Ideologisierung und „Versachlichung“, also Entpolitisierung, müssen wir unsere inhaltlichen Forderungen klar und pragmatsich umsetzbar dagegenstellen. Und auch an Orten und Gremien mit verhärteten, konfrontativen Verhältnissen dürfen wir uns weder in die Schmollecke noch in die ideologische Nische von Rechthaberei und Moral abdrängen lassen, sondern wir müssen das Gespräch und die Zusammenarbeit mit allen suchen, die sich in der Tat auf mehr Klimaschutz und ökologischeres Wirtschaften einlassen.

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Ich weiß nicht, ob es schon ein Trend ist oder die CSU eine neue Strategie ausprobiert, aber es gibt eine auffällige Häufung von Versuchen der Entpolitisierung: Anfang letzter Woche hat die von der CSU gestellte Präsidentin die konfrontative Debattenkultur im Landtag kritisiert, dann haben im Plenum zu später Stunde sie und Seehofer der Opposition vorgeworfen, sie würden „gesellschaftliche Gruppen auseinanderdividieren“, und heute ruft der brave CSU-OB-Kandidat Seppi Schmid in der SZ nach „Sachpolitik“. Es sieht so aus, als habe die CSU Kreide gefressen, um zu verbergen, dass sie für ganz bestimmte Interessen Politik macht.

Wer nach „Sachpolitik“ ruft, verschleiert seine Interessen

Schmid fordert, man müsse „Entscheidungen entlang von Sachfragen treffen“. Auch der Ruf nach dem „Fachmann“ wird wieder laut. Das ist die alte, aber seit zweitausend Jahren, spätestens seit Plato nicht tot zu kriegende Illusion, politische Fragen könnten „sachgerecht“ entschieden werden. Dabei wird was verwechselt: Denn natürlich muss die Umsetzung von politischen Entscheidungen möglichst professionell und mit Sachverstand erfolgen, aber die Entscheidungen selbst fallen immer entlang von Werte- und Interessenkonflikten. Wer so tut, als ginge es nur um Fachfragen, verschleiert diese Konflikte. Das kann aber sinnvollerweise nur jemand tun, der davon profitiert, dass diese Konflikte nicht offen thematisiert und ausgetragen werden. Wer seine Interessen bereits durchsetzten konnte, für den macht es Sinn, sich gegen „Streit“ auszusprechen. Wer dominiert, kann leicht nach „Konsens“ rufen.

„Ideologiefrei“ zur absoluten Mehrheit?

Für die Münchner CSU-Opposition trifft das nun nicht gerade zu. Sie ist das fünfte Rad am Wagen, Udes Ersatzreifen, den er immer mal wieder aus dem Kofferraum holt, wenn die Grünen nicht recht spuren. Kein Wunder, dass er „dieses Koalitionsgeklüngel satt hat“. Aber ob das wirklich auch für die Münchnerinnen und Münchner insgesamt gilt? Der Angriff auf Koalitionspolitik ist umso lustiger, als es ja wirklich zwei Koalitionen gibt, nämlich die schwarz-gelben im Bund und in Bayern, von denen wir aus Umfragen wissen, dass sie die Bürgerinnen und Bürger satt haben. Und die letzte Bayern-Umfrage, die die CSU selber in Auftrag gegeben und die ihr so schöne Resultate gebracht hat, besagt, dass selbst mögliche CSU-Wählerinnen und -Wähler alles wollen, aber ja keine absolute CSU-Mehrheit mehr. Wenn die CSU jetzt mal so tut, als mache sie keine „ideologische“ Politik mehr, könnte das der Versuch sein, einer möglichen absoluten Mehrheit den Schrecken zu nehmen.