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Schlagwort-Archive: Ausländer-Maut

Die politische Lage, das haben die jüngsten Wahlen überdeutlich gezeigt, wird in Deutschland durch zwei zusammenhängende Trends bestimmt: Zum einen durch Verlust- und Abstiegsängste, die trotz vergleichsweise guter wirtschaftlicher Rahmendaten von der Mittelschicht ausgehend unsere Gesellschaft bestimmen. Zum anderen durch den Hang wirtschaftlich, sozial oder politisch Stärkerer, ihre Interessen rücksichtslos durchzusetzen. Ausdruck und Verstärker dieser Trends ist nach Ralf Tils und Joachim Raschke („Strategie zählt. Die Bundestagswahl 2013“ APuZ 25.11.13) ein „sicherheitsorientiertes ‚Keine-Experimente-Gefühl‘ in der Bevölkerung, gegen das die Opposition kein Mittel fand“.

Euro- und sonstiger Egoismus
„Merkels stärkstes Pfund im Wahlkampf“, erklären Tils und Raschke, „wenn auch nur als den Bürgern jederzeit präsentes Hintergrundthema – blieb ihre Politik des deutschen Euro-Egoismus, weil die Deutschen in dieser Frage mehrheitlich im Wesentlichen drei Dinge denken: Erstens, Merkel hält unser Geld zusammen. Zweitens, wir haben bereits genug europäische Solidarität gezeigt. Drittens, weil wir das Geld geben, dürfen wir auch sagen, was die Südländer tun sollen. Die Mehrheit der Deutschen sieht sich als eigentlich wohlmeinendes Volk, das leider von raffgierigen europäischen Nachbarn umgeben ist. Diese Haltung stützte die Kanzlerin mit ihrer Euro-Politik.“ Und die beiden fassen zusammen: „2013 sicherten das ökonomische Sicherheitsbedürfnis der Deutschen und die Allianz der Kanzlerin mit der Bevölkerung im Euro-Egoismus ihre strategische Mehrheitsfähigkeit.“ Von einer „Koalition mit dem Volk“ spricht ja gelegentlich auch der bayerische Ministerpräsident – http://www.sueddeutsche.de/bayern/parteitag-der-csu-seehofer-der-ueber-bayer-1.1824454.

Arbeitsteilung: Der „populistische“ Seehofer und die „sachliche“ Merkel
Dass nur sie die wahren Interessen des Volkes verstehen und den Willen des Volkes erkennen können, ist übrigens ein klassischer Topos von Rechtspopulisten. Sein spezifisches Know How konnte „Franz Josef Merkel“ (Ulrich Berls: „Wie Strauß agieren, wie Merkel handeln“) auch in die beiden parallelen Wahlkämpfe auf Bundes- und Landesebene einbringen und damit seinen eigenen Beitrag zu Merkels Strategie leisten. Denn, so Tils/Raschke, „die angestrebte Doppelmobilisierung mit einer populistischen CSU in Bayern, die eigenen Spielregeln folgt, und einer staatstragenden CDU im Bund, die verspricht, den ‚wilden‘ Seehofer im Zaum zu halten, funktionierte“. Mit der populistischen Verstärkung der egoistischen „Keine-Experimente“-Politik hat Seehofer zum Bundeserfolg beigetragen und gleichzeitig in besondere Weise dominante bayerische Bedürfnisse bedient.

Die Theorie von den drei Mehrheiten: in Bayern simplifiziert
Vermutlich hat Raschke Recht mit seiner bewährten Theorie, „dass in Deutschland drei unterschiedliche Mehrheiten existieren, die über zugerechnete Parteikompetenzen gewonnen werden“. Für Bayern bin ich mir da allerdings nicht mehr so sicher. Tils und Raschke behaupten: „Die ökonomische Mehrheit dominieren die bürgerlichen Parteien, Rot-Grün liegt weit vorn bei der sozialen und kulturellen Mehrheit (selbst ohne Linkspartei). Die Demobilisierungsstrategie setzt darauf, die ökonomische Mehrheit zu sichern und das linke Lager bei der sozialen und kulturellen Mehrheit durch eigene inhaltliche Anpassung zu schwächen.“ Der erfolgreichen Umsetzung dieser Strategie verdanke Merkel ihren Wahlerfolg. Zumindest was die bei Wahlen entscheidenden Mehrheiten angeht, ist die Lage in Bayern, fürchte ich, deutlich schlimmer: Einer Partei gelingt es bei fast allen Wahlen, alle drei Mehrheiten für sich zu gewinnen. Ausnahmen waren in jüngster Zeit die Landtags- und Kommunalwahlen 2008.

Drei Mehrheiten – eine Partei?
Mit ihrer „Sozialdemokratisierung“, die Tils/Raschke jetzt für Merkels Union konstatieren, hat die CSU in Bayern der SPD schon seit Jahrzehnten das Wasser gründlich abgegraben. Wenn der bayerische Gewerkschaftsführer Schösser den Neoliberalisierer Stoiber als „Lichtgestalt“ bezeichnet, ist klar, wo die soziale Mehrheit liegt. Die kulturelle Mehrheit wiederum muss die CSU jedes Mal neu erobern. Sie schafft das zum einen mit der langfristig wirkenden Identifikation (dem „Mythos“) Bayern = CSU, zum anderen mit je aktueller rechtspopulistischer Symbolpolitik: einer neu aufgelegten Abschottungs- und Abwertungsgeste gegen sogenannte oder echte Ausländer. Sich bei solcher Hetz nicht von Autoritäten oder Rechtslagen bremsen zu lassen, ist übrigens ein Kennzeichen einer fürchterlichen „Rebellen“-Tradition. Vor allem aber ist es ein Beleg dafür, dass es bei der „Ausländer-Maut“ oder der Mobilisierung von alten Anti-„Zigeuner“- Reflexen nicht um reale ökonomische Fragen geht. Es geht nur um die kulturelle Mehrheit.

Mia san mia: Aber wer san mia?
Genau das wissen die Bürgerinnen und Bürger laut Umfragen. Wenn sie beispielsweise mehrheitlich für die Maut sind, aber nicht glauben, dass Seehofer sie durchsetzen kann, nehmen sie das billigend in Kauf. Es gibt in Bayern einen dominant rechts-konservativen Resonanzboden. Seehofer macht, darauf hat der ZDF-Journalist Berls hingewiesen, „eine Politik der Entkernung und Entpolitisierung, aber nicht der Demobilisierung“. Die gelingt nur auf Basis eines diffusen, aber starken Subtextes, nämlich: „Bayern den Bayern“. Seehofer verspricht die Verteidigung der Insel der Seligen bzw. Vertreibung der „anderen“ aus unserem Paradies. Die Grenzen dieser egoistischen „Mia-san-mia“-Politik aber bleiben bewusst vage. So vermeidet die CSU einerseits, dass sie auf Ausländerfeindlichkeit festgenagelt werden könnte: Sie zündelt, kann sich aber nach dem Modell Haider jederzeit rausreden. Andererseits kann sich, nach einiger Verrenkung, auch ein vermeintlicher „Ausländer“ oder frisch woher immer auch „Zugewanderter“ zugehörig fühlen – wenn er nur die Grenze zu den „anderen“ hinter sich zieht.

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Werde ich dünnheutiger, je länger der Wahlkampf dauert oder je näher der Wahltag rückt? Jedenfalls kann ich mich immer wieder und offenbar immer leichter fürchterlich aufregen. Und erst hab ich schon gedacht, jetzt ist es so weit, akrat vor dem Wahltag: Ich muss Medien und Wähler beschimpfen. Weil sie über belanglose Stilfragen und Bagatellen diskutieren, statt die großen Themen ins Visier zu nehmen. Weil sie sich in Aufgeregtheiten über den Stinkefinger Steinbrücks und über offensichtlichen Quatsch wie die PKW-Maut ergehen. Dann hab ich diese Diskussionen ernst genommen.

Sensibelchen in eigener Sache
Dass sich die Medien über Steinbrück echauffieren ist verständlich, schließlich hat er allen, die ihn in den Zeitungen und Fernsehsendern mit Spottnamen bedacht haben, gesagt, was er von ihnen hält: nichts. Er hat kräftig zurückgekeilt. Das darf er doch nicht! Das ist doch gegen alle journalistischen Regeln: Medien dürfen ihn neckisch beschimpfen als „Problem-Peer“ oder „Peerlusconi“, da soll er sich mal nicht so haben. Aber wenn es um sie selber geht, sind Journalistinnen und Journalisten bekanntlich empfindlich. Da kenne ich auch ein paar. Die Wählerinnen und Wähler allerdings, das deuten heutige Befragungen schon an, fühlen sich in ihrer Entscheidung für oder gegen Steinbrück durch den Anblick seines Mittelfingers nur bestätigt.

Gerechtigkeit á la Dick und Doof
In Sachen PKW-Maut lohnt es sich ebenfalls, genauer hinzuschauen. Da geht es um des Deutschen Heiligstes, die „freie Fahrt für freie Bürger“. Die aufzugeben sind viele bereit, wenn‘s nur auch die Ausländer richtig erwischt. Das ist wie bei Dick und Doof: Die halten auch gern die eigene Wange hin, wenn sie nur dem andern vorher ordentlich in die Fresse hauen durften. Das geht doch nicht, dass die auf unsere Kosten umsonst durch Deutschland fahren und wir müssen im Ausland zahlen. Dafür nehmen Ausländerfeinde locker Nachteile in Kauf. Abgesehen von der Diskussion, ob eine „Maut für Ausländer“ EU-verträglich ist oder durch Tricksereien möglich würde, geht es nur um fünf Prozent des Verkehrsaufkommens. Geld einbringen wird uns das sicher nicht, angesichts des enormen bürokratischen Aufwands. Freiheit kosten wird es auch. Aber das gesunde Volksempfinden kommt zu seinem Recht.

Bayern ist reif. Ich auch
Da zählen Sachargumente nicht, denn um die geht es nicht. Höchste Zeit deshalb, dass dieser Wahlkampf zu Ende geht. Ich kann auch nur ein gewisses Maß geduldig einstecken und ertragen. Und schon bei Schiller heißt es: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Und der Frömmste bin ich, zugegeben, schon lange nicht mehr.