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Strategie

Wir werden ja immer ermahnt, „sachlich zu bleiben“. Aber im Leben und in der Politik sind Gefühle so unvermeidlich wie unverzichtbar. Beides macht oft Ärger, soll aber auch Freude machen. Ob Gefühle in der Politik eine Chance oder eine Gefahr darstellen, hängt genauso wie im richtigen Leben davon ab, wie man mit ihnen umgeht. Am wichtigsten aber ist, wie man mit anderen Menschen umgeht. Basis jeden demokratischen Zusammenlebens und jeder vernünftigen Diskussion ist die grundsätzliche Akzeptanz des Existenzrechts des Anderen. Und das heißt vor allem: dessen Anderssein. So wie man den Anderen ernst nehmen muss, seine Interessen, Perspektiven und Argumente, so muss man auch seine Gefühle ernst nehmen. Und es hilft, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen.

Gefühle geben Fingerzeige

Gefühle sind Hinweise. Sie können genau wie Argumente Tatbestände erhellen oder verdunkeln. Sie sind deshalb genauso kritisierbar und diskutierbar. Meist müssen wir uns erst um Gefühle und Interessen kümmern, um unsere eigenen wie die der anderen, bevor wir erfolgversprechend über Argumente reden können. Nur wenn wir herausbekommen wollen, worum es anderen geht, gibt es – beiderseits – eine produktive Öffnung: es kommt zu einer ernsthaften Auseinandersetzung, bei der man anderen zuhört, ihre Argumente versucht zu verstehen und miteinander zu einem Ergebnis zu kommen. Wer politisch handeln will, muss Antworten geben auf die jeweiligen Emotionen. Statt vorhandene Ängste zu schüren, kann man Zuversicht geben und Hoffnung machen, vor allem aber: konkrete Wege aus der Krise aufzeigen.

Gefühle erst nehmen

Das bedeutet aber nicht, dass wir alle noch so absurden Folgen und Antworten akzeptieren. Gefühle ernst nehmen heißt nicht, die darauf folgenden Reaktionen zu rechtfertigen. Rassismus, Hass und Hetze sind nicht zu rechtfertigen. Da müssen wir klar sagen: So geht’s nicht. Aber im gleichen Moment müssen wir immer auch sagen, wie’s geht. Bestes Beispiel dafür ist für mich das Thema Heimat. Ich habe früh gemerkt, dass ich diese Gefühle teile, aber nicht alle möglichen Versuche, sie zu befriedigen. Ausgrenzung oder Überlegenheitspropaganda sind für mich nicht akzeptabel. Aber ich hab das Thema Heimat früh politisch auch deshalb aufgegriffen, weil ich gemerkt habe: technische Lösungen allein versprechen politisch keinen Erfolg. Wir müssen emotionale Antworten auf Probleme und Fragen der Menschen geben. Nicht nur Argumente, sondern auch Gefühle entscheiden darüber, ob wir beispielsweise die Welt retten und wenigstens gerechter machen können.

Veränderungen brauchen Gefühle

Wer sich Politik ohne Gefühle vorstellt, verkennt den existentiellen Charakter von Politik. Gefühle spielen eine zentrale Rolle dabei, ob unsere Demokratie funktioniert, sich Menschen ernstgenommen und in diesem Land daheim fühlen. Emotionen führen zu Handlungsimpulsen. Rational sehe ich vieles, was man machen könnte. Aber dank meiner Emotionen handle ich. Emotionen sind psychische Zustände, mit denen wir auf äußere Zustände reagieren. Sie sind Orientierungshilfen für uns und andere. Sie führen zu Handlungsimpulsen, aktivierend oder lähmend. Wer politisch etwas verändern will, muss sich außer um inhaltliche Fragen auch um politische Botschaften und um das Lebensgefühl der Menschen kümmern.

Salon Zukunft Heimat 12. Mai 11 Uhr

Am Sonntag, den 12. Mai, diskutiere ich mit der Philosophin Roberta Astolfi und dem Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin unter der Moderation von Norbert Göttler, Historiker und Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, über „Gefühle in der Politik. Chance oder Gefahr?“

https://www.bezirk-oberbayern.de/Footernavigation/Termine/Veranstaltungen/Salon-Zukunft-Heimat-Gef%C3%BChle-in-der-Politik-Chance-oder-Gefahr-.php?object=tx,2378.32.1&ModID=11&FID=2966.49.1&NavID=2378.15&La=1

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Jemanden lächerlich zu machen, ist ein gängiges Mittel der Politik, seit es Politik gibt. Schon aus der griechischen Polis und der römischen Republik sind uns viele Beispiele überliefert. Aber weil eine Methode schon relativ alt und viel erprobt ist, heißt das nicht in jedem Falle, dass sie auch erfolgversprechend ist. Charlie Chaplin hat Hitler auf ewig der Lächerlichkeit preisgegeben –https://de.wikipedia.org/wiki/Der_gro%C3%9Fe_Diktator://de.wikipedia.org/wiki/Der_gro%C3%9Fe_Diktator, aber er hat ihm damit kein bisschen Gefolgschaft geraubt. Vermutlich nicht hat er nicht mal da, wo man den Film sehen konnte, Nazis die Augen geöffnet. Dagegen haben im Vorfeld der Französischen Revolution geistreiche Aufklärer systematisch und höchst wirksam die Lächerlichkeit des Ancien Regime sichtbar gemacht und so breite Teile eines vorher eingeschüchterten und demoralisierten Volkes mobilisieren helfen. Denn da gab es keinen Widerspruch zwischen der Perspektive der Spötter und der großen Mehrheit ihres Publikums.

Hochmut der Städter

Wenn es schon bei solchen Extrembeispielen eine so große Bandbreite von Lächerlichkeitsempfindungen gibt, wird das im Kleinen nicht anders sein: z.B. bei Trump, seiner Theatralik, seiner grimassierenden Mimik und seinen ausholenden Gesten. Erst recht gilt das natürlich für die bayerische Provinz und den auserkorenen Liebling der deutschen Feuilletonisten sowie anderer Niveaubewahrer: Hubert Aiwanger. Der „ewige Hochmut der Städter über einen wie ihn“ ist auch Aiwanger selber nicht verborgen geblieben: „Das ist eigentlich Rassismus.“ https://www.sueddeutsche.de/bayern/hubert-aiwanger-freie-waehler-bayern-csu-1.4195280?reduced=true. Wie halt so häufig bei der Verspottung von Dialektsprechern ist immer eine Spur Überhebung dabei über die „Dorfdeppen“. Dabei wusste schon F. W. Bernstein: „Die schärfsten Kritiker der Elche // waren früher selber welche“. Seit dem Mittelalter haben Städter viel Arbeit damit, sich von ihrer bäuerlichen Herkunft abzusetzen und zum vermeintlich höheren Adel aufzuschließen.

Macht und Mobbing

Lächerlich machen, ist der Versuch, sich über jemand oder über etwas zu erheben: vorzugsweise über erdrückende Verhältnisse oder übermächtige Personen. Es ist ein Mittel – bisher – Ohnmächtiger, also eine Bewegung von unten nach oben, mit dem Bestreben, die Verhältnisse wenigstens gedanklich umzukehren. Wenn es in die umgekehrte Richtung geht, von oben nach unten, aus der Machtposition gegen Untergebene, Unterlegene, Abhängige, dann nennt man das Mobbing. Ein Mittel, zu dem Halbstarke wie Seehofer gerne greifen: https://seppsblog.net/2012/12/12/seehofer-schickaniert-gern-schwachere/. Einen wirklich oder nur eingebildet Mächtigen verbal oder nonverbal zu erniedrigen, ist mehr als legitim. Selbst wenn es unverdient geschähe, können sich die Potentaten doch leicht behaupten. Aber heute gibt es immer mehr Fälle, in denen der Esel gemeint ist, aber der Sack geschlagen wird: Wenn genau die politischen Rollen und Posen als lächerlich aufs Korn genommen werden, die den Potentaten ihre Anhängerschaft sichern, dann fühlt sich die getroffen. Den Esel schmerzt das nicht.

Stellvertreterkrieg mal anders

Politische Identifikation dank populärer Diskurs- oder Verkehrsformen machen sich politische Führer immer wieder zunutze; Beispiels sind etwa die Vulgärsprache bei Trump, das Dem-Volk-nach-dem-Munde-reden bei Aiwanger oder auch der Saumagen und „Provinzielle“ bei Kohl. Wenn gerade das angegriffen wird, werde ich mich kaum vom Angegriffenen distanzieren. Denn warum soll ich jemanden, mit dem ich mich selten gut identifizieren kann und der offenbar „einer von uns“ ist, lächerlich finden, nur weil andere das tun? Da würde ich mich doch selber der Lächerlichkeit aussetzen. Wer ihn angreift, greift mich an. So wird das angestrebte politische Ziel ins Gegenteil verkehrt: Der lächerlich Gemachte hat bei den Seinen an Status gewonnen, statt verloren. Die gescheiterten Spötter aber, die an der politischen Figur gerade die von ihr demonstrativ eingesetzten populären Verkehrsformen verspottenswert finden, setzen sich in den Augen derer, die über keine anderen Umgangsformen verfügen, ins Unrecht. Sie entlarven sich als „die da oben“.

Erniedrigung ist keine Demokratieerziehung

Gegenseitiges lächerlich oder Schlechtmachen kann heute kein Bestandteil demokratischer Auseinandersetzungen sein. „Durch moralisches Urteilen verlassen wir die Welt unserer Werte, um anderen Menschen eine Schuldzuweisung, Beleidigung oder Etikettierung überzustülpen. Wir unterstellen jemandem, ‚nicht richtig’ zu sein, weil er nicht unseren Wünschen entsprechend handelt“, sagte Michael Reder, Professor für Völkerverständigung, der Süddeutschen Zeitung (11.1.15). Es komme zur Frontenbildung: „Konflikte eskalieren, weil die Positionen beider Seiten verhärten.“ Reder fordert einen „gemeinschaftsbildenden Dialog“ statt „ausgrenzendes Abkanzeln“. Aber wenn sich Menschen, wie er das beobachtet, „aufgrund ihrer Werte auch in der moralisch wertvolleren Position“ sehen, kann das für sie in ihrer vermeintlichen Überlegenheit und für diejenigen in der minderwertigen Position nicht ohne Folgen bleiben. Schon Brecht musste schmerzhaft erfahren: „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit / Verzerrt die Züge.“ https://www.lyrikline.org/de/gedichte/die-nachgeborenen-740. Wir wenden uns zu Recht gegen jede Art von Ungleichwertigkeitsvorstellungen – https://de.wikipedia.org/wiki/Mitte-Studien_der_Universit%C3%A4t_Leipzig. Es wäre gar nicht lustig, wenn wir sie durch die Hintertür wieder hereinließen.

Es wird derzeit viel geklagt über den aktuellen Zustand unserer Demokratie, und wie sehr er sich angeblich verschlechtert. Natürlich lösen auch bei mir nicht alle neueren gesellschaftlichen oder politischen Entwicklungen Begeisterung aus. Aber ich sehe absolut keinen Grund, die alte, erkennbar implodierende Variante von Demokratie zu idealisieren. Besondere Blüten treibt diese merkwürdige Nostalgie jetzt kurz vor Torschluss, wenn beispielsweise die Süddeutsche Zeitung dem Zerfall der CSU ein wehklagendes Dossier widmet. Sebastian Beck versteigt sich gar zu solch gewagten Windungen: „Die Gesellschaften spalten sich in Special-Interest-Gruppen auf … In der politischen Mitte aber, wo einst die Kompromisse geschlossen wurden, dort ist es plötzlich leer.“ Das ist aus meiner Sicht ein arg verkürztes Demokratieverständnis. Aber dazu später.

Leben lassen

Denn Beck setzt zum Schluss noch eins drauf, da wird es dann richtig dramatisch: „Leben und leben lassen – damit ist es erst einmal vorbei.“ Vielleicht bin ich da eine Spur überempfindlich. Denn mit mir hat in diesen zum Glück untergehenden guten alten Zeiten niemand „Kompromisse geschlossen“. Und „Leben und leben lassen“ ist seit Jahrzehnten mein persönliches politisches Motto, auch jetzt wieder auf meinem Wahlkampf-Flyer, aber es war immer gegen den Monopolanspruch der CSU gerichtet. Ich wollte halt auch leben. Ich wollte in Bayern leben, und zwar so, wie ich wollte. Und da bin ich halt nicht allein in diesem Land. Wir sind immer mehr geworden, die nicht nach anderer Leute Pfeife tanzen – oder Tanzen verboten bekommen wollen. Deshalb ist auch die Erklärung Becks für den Niedergang der CSU viel zu kurz gesprungen: „Auch weil die Kluft zwischen Stadt und Land immer größer wird“. Meiner Erfahrung nach ist das Gegenteil richtig: die Landbevölkerung kommt heute rum in der Welt; sie lebt halt auch nicht mehr hinter dem Mond oder brav nach den Vorgaben von Altvorderen und Tonangebern.

Bayern ist auch unsere Heimat

Deshalb habe ich beispielsweise im Dezember 2011, auf unserem Heimatkongress in Regensburg – http://www.sepp-duerr.de/heimat-eine-politische-aufgabe/, versucht, den „Heimatbegriff, mit dem die CSU lange erfolgreich gearbeitet hat“ zu zerlegen: „Die CSU hat eine Mehrheit gebildet, indem sie Minderheiten der bayerischen Bevölkerung ausgegrenzt hat. Erst durch die Ausgrenzung von angeblichen Ausländern, Grünen, oder sonst wie Abweichenden hat sich diese „Mia san mia“-Mehrheit, die frühere Mehrheit der CSU, gebildet. Und genau deshalb funktioniert Mehrheitsbildung durch Ausgrenzung nicht mehr: Weil die Minderheiten, die früher ausgegrenzt oder als Bürger zweiter Klasse behandelt werden konnten, sichtbar die Mehrheit der Bayern ausmachen. Das beste Beispiel dafür ist die Landratswahl in Regen. Warum konnte da ein sehr junger, schwuler, evangelischer Sozialdemokrat triumphieren? Weil Frauen, Eingewanderte, Menschen, deren Eltern eingewandert sind, die nicht heterosexuell verheiratet oder nicht in der CSU sind, heute die mehreren und die schwereren sind.“ Das mag manchem damals noch prophetisch – oder noch merkwürdiger – vorgekommen sein, heute nicht mehr.

Platz für mehr Demokratie

Was nun die scheinbar so konsensuale alte Demokratie angeht: Im Jexhof läuft derzeit eine Sonderausstellung „Zwischen Disco, Minirock und Revolte: die 70er“ https://www.jexhof.de/index.php?id=55. Da sind auch Fotos und „Archivalien“ (z.B. ein Millikübel) von mir ausgestellt. Und im Begleittext schildere ich mein damaliges Lebensgefühl: „Für mich wie viele andere waren die 70er Jahre eine Zeit des Ausbruchs aus der dörflichen Enge, des persönlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs, neuer Erfahrungen und Experimente. Die ersten Jahre wollte ich nur ‚furt‘: raus von zu Haus. … Täglich hör ich: ‚Geh zum Friseur!‘ Eigentlich wollten wir eher unkonventionell, also unpolitisch sein. Aber schon auf die kleinste Kritik kam: ‚Geh doch nach drüben!‘“ Deshalb war die alte „Demokratie“ für mich immer kritikwürdig: Kinder, Jugendliche, Frauen, Andersdenkende und Kleinhäusler hatten nichts zu sagen, nicht am Familientisch, nicht am Stammtisch, schon gar nicht öffentlich. Da ist es mir heute deutlich lieber, wenn jeder Ansprüche anmeldet – und seien sie den meinen auch noch so entgegengesetzt. Und wenn wir dann die Kompromisse nicht klammheimlich in „der politischen Mitte“ schließen, sondern öffentlich und transparent, kommen wir einer echten Demokratie schon deutlich näher.

Zurzeit zieht sich in vielen Staaten ein tiefer politischer Graben durch die Bevölkerung: https://seppsblog.net/2017/02/10/wehret-den-anfaengen-gesellschaftlicher-spaltung/. Wer nach Ursachen sucht, landet meist relativ schnell bei den ökonomischen Verhältnissen. Denn auch da finden wir eine krisenhafte Zuspitzung der Lage: Seit Jahrzehnten wächst die soziale Spaltung bei uns und weltweit. Die ganz Reichen häufen wieder gigantische Vermögen an, wie schon vor dem Ersten Weltkrieg. Das oberste Prozent besitzt in den USA ein Drittel, bei uns ein Viertel des gesamten Vermögens; die Hälfte der Bevölkerung bei uns wie überall hat dagegen praktisch nichts. Seit gut einem Jahrzehnt, seit der Finanzkrise, herrscht global eine große ökonomische Verunsicherung. Dazu kommt die drohende Klimakatastrophe. Alle wissen daher, dass wir so nicht mehr weiter wirtschaften, so sorglos wie bisher konsumieren und aus dem Übervollen schöpfen können. Denn das funktionierte nur zu Lasten unserer Kinder und Kindeskinder und auf Basis großer globaler Ungerechtigkeiten. Aber diese beunruhigende ökonomische und soziale Lage führt nicht automatisch in den Rechtsnationalismus. Trump hat nun wirklich keine ökonomischen Probleme, Spanien dagegen hat keine rechtsnationalistische Partei.

It’s not only the economy, stupid

Wenn es allein um die Lösung ökonomischer Probleme ginge, also etwa um die Frage, wie wir künftig wirtschaften müssen, um nicht weiter auf die ökonomische wie die Klimakatastrophe hinzuarbeiten, wäre es ja nur logisch, wenn sich all die aufgeregten Debatten ihr widmen würden. Es muss also mehr dazukommen, damit Menschen die rechtsnationalistische Antwort wählen. Dazu muss man die Frage nach den ökonomischen Problemen bereits perspektivisch verengt stellen. Dass der Wohlstand ungerecht verteilt ist, bei uns wie global, ist nichts Neues. Aber die Krisen entfachen die Verteilungskämpfe neu. Und neu ist auch, dass die Erklärungen und Begründungen dafür, warum das bisher so extrem ungerecht sein musste, nicht mehr überzeugen – uns schon nicht, aber erst recht nicht die nicht Privilegierten. Es geht also nicht bloß um gefährdeten Wohlstand, sondern um Verlustabwehr und um die Suche nach neuen, überzeugenden Legitimationen. Vor allem aber weiß scheinbar niemand einen vernünftigen Ausweg, also brauchbare Alternativen. Den bisherigen Wohlstand zu sichern, scheint vielen nur möglich, wenn sie die eigenen, in Frage gestellten Privilegien bedingungslos verteidigen. Dafür scheint es ihnen auch erforderlich, andere moralisch abzuwerten, um die eigene ökonomische und soziale Privilegierung vor sich selber rechtfertigen zu können.

Gerechtigkeit ist überschätzt

Deshalb können die schwierigen grundlegenden ökonomischen und sozialen Fragen von Rechtsnationalisten in simple ethnische und kulturelle Schwarz-Weiß-Raster „übersetzt“ werden. Im vermeintlichen Überlebens- und deshalb gnadenlosen Abwehrkampf zählen keine hehren Prinzipien, keine Menschenrechte, keine Gerechtigkeitsfragen. Auf viele oder gar alle Menschen anwendbare, verallgemeinerbare Prinzipien, Kriterien und Regeln dürfen nicht zählen, wenn „Bayern first“ (so der CSU-Stratege Wilfried Scharnagl 2012: http://www.stern.de/politik/deutschland/buchvorstellung–bayern-kann-es-auch-allein–mit-scharnagl-ins-gelobte-land-3590160.html), „America first“ oder schlicht und einfach „Ich, ich, ich!“ gelten soll. Dazu hat der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller neulich –http://www.sueddeutsche.de/politik/essay-koennen-populisten-ueberhaupt-regieren-1.3375266?reduced=true – erklärt: „Populisten behaupten stets, sie und nur sie verträten das Volk … Alle Mitwettbewerber um die Macht gelten für Populisten als illegitim. Hier geht es nie um Streit in Sachfragen, was in der Demokratie bekanntlich völlig normal ist. Stattdessen zögern Populisten nicht, sofort zu moralisieren und zu personalisieren“. Denn eine sachliche Diskussion würde eigene egozentrische Sache schwächen.

Meine Wahrheit gehört mir

Das Kabarettduo Maschek formuliert das lustiger: „Meine Wahrheit ist richtiger als eure. Selbst ganz ohne Beweise.“ Da wird nicht nur die Existenz anderer Perspektiven negiert, sondern auch deren Berechtigung. Durch bloßes Behaupten behauptet man sich. Deshalb müssen Dialog und Diskurs glatt verweigert werden: vor allem denen gegenüber, die unter Berufung auf Aufklärung und Menschenrechte auf Gleichberechtigung und dem Abbau von Privilegien bestehen. „Alternative Fakten“ sind nicht einfach Lügen. Sie leugnen keine Wahrheit, sondern ignorieren die Frage von wahr oder falsch, begründet oder unbegründet. Die heutigen Rechtsnationalisten lassen kritisches Hinterfragen und Begründungsforderungen der Aufklärung ins Leere laufen: Sie verweigern sich dem demokratischen Diskurs, weil sie die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Interessen und Perspektiven nicht anerkennen, sondern für sich und die Ihren eine Art uneingeschränktem, unhinterfragbarem Geburtsrecht in Anspruch nehmen. Sie und ihre Interessen sind sakrosankt von Gottes oder Volkes Gnaden. Deshalb ist umgekehrt die Bereitschaft und Fähigkeit zur Debatte die Nagelprobe einer demokratischen Kultur.

Im Gespräch bleiben

Es geht also darum, mit allen, die das selber wollen oder wenigstens zulassen, im Gespräch zu bleiben, sich der Debatte zu stellen, den Austausch und das Abwägen von Argumenten einzufordern. Das darf uns aber gleichzeitig nicht davon abhalten, rechtsnationalistische Ungleichwertigkeitsvorstellungen als so absurd zu brandmarken, wie sie das sind – gegebenenfalls auch, indem wir sie der Lächerlichkeit Preis geben. Rücksichtslose Versuche, die eigenen egoistischen Interessen durchzusetzen, gilt es, in Schranken zu weisen, indem wir auf der Einhaltung demokratischer Regeln, auf Rechtsstaat und – nicht zuletzt – auf Unversehrtheit bestehen. Gerade auf uns Grüne aber wartet die uns sozusagen auf den Leib geschriebene Aufgabe: neue, für alle Menschen gleichermaßen erreichbare, attraktive Wohlstandsmodelle zu entwickeln und zu erproben. „Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht“: Nicht zuletzt dank dieser Devise ist Sascha Van der Bellen österreichischer Bundespräsident geworden. Auch wir müssen für Zusammengehörigkeit statt Spaltung eintreten und allen zeigen: wir gehören zusammen, wir kümmern uns umeinander und stehen füreinander ein.

Tief gespaltene Länder wie die USA, Polen oder Ungarn sind Warnung genug. Außerdem sind Rechtsnationalisten wie Trump, Bannon und seine europäischen Konsorten ja nicht die ersten, die mit der Dynamik gesellschaftlicher Spaltungen ihren eigenen Karrieren Schwung verleihen. Deshalb wissen wir alle nur zu gut, dass sich solche Bewegungen spiralförmig beschleunigen und ganz schnell blutig und in der Katastrophe enden können. Mehr denn je gilt folglich: „Wehret den Anfängen!“ Aber anders als früher, als es noch klare Fronten zu geben schien, genügt es nicht, nur das vermeintlich „Böse“ zu markieren, zu benennen und so quasi magisch zu bannen und auszugrenzen. Heute kommt es darauf an, sich frühzeitig ins Getriebe der gesellschaftlichen Abwärtsspirale einzuspreizen und alles zu vermeiden, woraus sie ihren Antrieb ziehen könnte. Das bedeutet, dass nicht nur „die anderen“, also unsere Gegner, aufgefordert sind, „abzurüsten“, sondern auch wir selber alles unterlassen müssen, was gesellschaftliche Spaltungen verhärtet und den öffentlichen Raum mit wechselseitigem Hass auflädt.

„Alternativlosigkeit“ gebiert „Alternativen“

Politik heißt, man muss leider immer wieder daran erinnern: Es gibt Alternativen. Wir haben die Wahl. Wir können was ändern. Das ist für mich der besondere Reiz an Politik. Bis heute aber glauben viele, oder sie tun wenigstens so, als gäbe es „keine Alternative“. Die unsägliche Margaret Thatcher hat schon in den 80er Jahren die Parole ausgegeben: „There is no alternative“. Und auch Schröder und Merkel haben immer wieder behauptet, ihre Politik sei „alternativlos“, egal ob es um Finanzkrise, Bankenrettung, Sozialabbau oder Niedriglöhne ging. Damit wollten sie nicht nur jede Diskussion darüber abwürgen, ob etwas getan werden musste, sondern mehr noch: wie es getan werden konnte. Früher hab ich immer kritisiert, dass das Leugnen möglicher Alternativen den Abschied von der Politik bedeutet. Heute, in Zeiten von Brexit, Trump und AfD, zeigt sich, dass die angebliche Alternativlosigkeit nur zum Ende vernünftiger Politik führt. Denn wer keine echten Wahlmöglichkeiten bietet und erörtert, bereitet für so abwegigen Pseudoalternativen wie die „Alternative“ für Deutschland, „altright“ oder „alternative Fakten“ den Boden. Diese rechtsnationalen „Alternativen“ glauben ihrerseits ebenfalls, dass es nur eine echte Alternative gibt.

„Alternative“ hält sich für alternativlos

Sie hängen der absurden Vorstellung an, es gebe so was wie den einen „wahren Volkswillen“, den man nur entdecken müsse. Alle Populisten, von Trump bis Seehofer, arbeiten mit dieser Fiktion. Da wird unter den Tisch gekehrt, wie unterschiedlich wir sind und wie schwierig es ist, zu einem Gemeinwohl zu finden, das allen gerecht wird. Der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, der vor den Nazis nach Amerika fliehen musste, hat später immer wieder für eine demokratische Streitkultur geworben. Er hat die Illusion von einem einheitlichen Volkswillen als Überbleibsel aus der Nazizeit kritisiert. Eine pluralistische Demokratie wie die unsere zeichne nämlich aus, dass es „einen Bereich des Gemeinschaftslebens gibt, in dem ein Konsens aller nicht besteht, ja nicht einmal bestehen soll: der Bereich der Politik.“ Politischer Streit ist also was Notwendiges und Positives, wenn er nach demokratischen Regeln geführt wird und auf Gemeinsamkeit zielt: https://seppsblog.net/2016/07/07/einigkeit-und-recht-und-streitlust/. Denn unsere gesellschaftliche Entwicklung wird von zwei Trends bestimmt, die wir nur bewältigen können, wenn wir uns nicht vom leeren Versprechen einfacher Lösungen verführen lassen.

Unübersichtlichkeit, Vielfalt und der Hang zur Vereinfachung

Da ist zum einen die Vielfalt, also der gesellschaftliche Pluralismus. Zum anderen aber werden die Aufgaben, vor denen wir in Politik und Gesellschaft stehen, immer komplexer. Auch deshalb können wir sie nicht mehr allein bewältigen. Das gilt für Nationalstaaten, aber es gilt auch für uns einzelne: Selbstbestimmung schafft man heute nicht mehr allein. Der Soziologe Hartmut Rosa formuliert das so: „Die sozioökonomischen Makrobedingungen unseres Handelns und Lebens können nicht von den Individuen als jeweils einzelnen kontrolliert werden. Wenn diese mehr als das zufällige Ergebnis unkontrollierter Kräfte sein sollen, müssen sie durch einen kollektiven politischen Willensbildungsprozess gesteuert werden.“ Das heißt, wenn wir was erreichen wollen, müssen wir uns miteinander auseinandersetzen und uns sozusagen zusammenraufen. Denn, so der Politologe Andreas Dörner, „Pluralismus bedeutet eine Interessenvielfalt, die sich nicht ‚ausdiskutieren’ und in einer gemeinsamen Einsicht aufgrund vernünftiger Argumente aufheben, sondern nur verhandeln lässt.“ Dafür haben wir noch viel zu wenig demokratische Verfahren, aber auch zu wenig Erfahrung damit, unterschiedliche Interessen zu akzeptieren und in einem fairen Ausgleich unter einen Hut zu bringen.

Reden hilft, wenn es um Verstehen geht

Nazi ist ein Nazi ist ein Nazi. Aber wer (noch) kein Nazi ist, aber als Rassist beschimpft wird oder als Depp, wird sich kaum überzeugen lassen. Auch der unter Grünen beliebte Verweis auf fehlende Bildung führt sicher nicht zu Gesprächsbereitschaft bei den Unterklassifizierten. Schimpf- und Schlagwörter, Etiketten und Labels zielen auf Verurteilung, nicht auf Verstehen. Wie es nicht funktioniert, hat Lara Fritzsche in ihrem Erfahrungsbericht im SZ-Magazin sehr plastisch dargestellt: https://blendle.com/i/suddeutsche-zeitung-magazin/kulturschock/bnl-szmagazin-20170120-123280?source=blendle-editorial&medium=twitter&campaign=DE-socialpicks-20170121. Bei ihren Versuchen, mit Ressentiment-Behafteten ins Gespräch zu kommen, wird schnell deutlich, dass es nichts hilft, andere zu verurteilen und einzusortieren. Nur wenn wir herausbekommen wollen, worum es anderen geht, gibt es – beiderseits – eine produktive Öffnung: es kommt zu einer ernsthaften Auseinandersetzung, bei der man anderen zuhört, ihre Argumente versucht zu verstehen und miteinander zu einem Ergebnis zu kommen. Uns helfen kein Schlagabtausch und keine Belehrung von oben runter, wir müssen auf Augenhöhe miteinander reden und einander zuhören.

Dass selbst scheinbar selbstbewusste CSUler, wenn sie sich in die Ecke gedrängt sehen, zum Angstbeißen neigen und wild um sich schlagen, haben wir schon oft erfahren müssen. Neu – zumindest für mich – ist, wie kaltblütig, brutal und infam Seehofer und sein damaliger Generalsekretär Dobrindt im Bundestags- und Landtags-Wahlkampf 2013 die Diffamierung von uns Grünen durchgezogen haben. Das beschreibt der Spiegel-Journalist Peter Müller in seinem Buch „Der Machtkampf. Seehofer und die Zukunft der CSU“ (München 2016). Dabei bestätigt er drei lange gehegte – https://seppsblog.net/2013/06/16/schwaches-bundnis-grose-chance-bayern-vor-der-landtagswahl/ – Vermutungen: Erstens hat die CSU nach wie vor riesige Angst, ihre absolute Mehrheit zu verlieren. Zweitens ist sie im Bemühen, sie zu behalten, bereit, ziemlich weit zu gehen. Und schließlich nimmt sie drittens uns Grüne dabei zum Hauptgegner, weil wir ökologisch und gesellschaftspolitisch in vielem der inhaltliche Gegenpol sind und sie mit dem grünen Schreckgespenst in Konkurrenz zur AfD Wähler mobilisieren will.

Amerikanisierte Wahlkampagne der CSU

Wie früher die SPD-Kampagneros haben auch die CSUler sich in den USA inspirieren lassen: „In den Kampagnenbüros der Republikaner ließ sich Dobrindt zeigen, wie Wahlkämpfer zielgenau vor allem jene Wähler ansprechen, bei denen sie eine gewisse Empfänglichkeit für die eigene Botschaft vermuten“, schreibt Müller. Bei Bernie Sanders haben sie sich den Umgang mit den neuen Medien abgeschaut. Und dann haben sie sich noch vom ehemaligen Generalsekretär Tandler sagen lassen, wie er vor Jahrzehnten „der Partei schon einmal eine Verjüngungskur verpasst“ hat: „Wahlplakate und Marketing verloren den alten Bayern-Mief“. Um den alten Mief zu übertünchen, hat die CSU auch diesmal die konservative Stoßrichtung gut verpackt: „Modern anmutende Veranstaltungsformen wie der Aperol-Spritz-Treff ‚Lounge in the City‘ verdeckten, dass Dobrindt und seine Leute inhaltlich in erster Linie auf das alte Kernklientel der CSU zielten.“ So ist es der CSU so wieder gelungen, die alte bei früheren Wahlen verlorene Stammwählerschaft zurückzugewinnen. Eine wichtige Funktion wurde dabei unfreiwillig uns Grünen zuteil: „‘Wir werden den Gegner sichtbar machen‘, sagte Dobrindt. Die Stammwähler mussten aus dem Tiefschlafgeholt werden.“

„Schlammschlacht gegen die Grünen“

Die CSU hatte Angst vor dem „Einbruch der Grünen in das bürgerliche Lager“ und deshalb, das beschreibt Müller detailliert, Negative-Campaigning betrieben. Basis der Schmutzkampagne war die Behauptung Dobrindts, „Volker Beck sei ‚Vorsitzender der Pädophilen-AG bei den Grünen‘ gewesen. … Er rückte die Grünen in die Nähe von Kinderschändern.“ Es ist ihm dabei egal, dass es natürlich nie eine solche AG gab und Beck auch nichts mit Pädophilen zu tun hat. „Er hat nichts gegen Beck, überhaupt nicht. Er diffamiert, weil es in sein politisches Konzept passt.“ Wenn Dobrindt dazu lügen, die Wahrheit verdrehen und unter jede Gürtellinie schlagen muss, dann tut er das eben: „Der Generalsekretär … ist kühl bis in die Knochen. Seine Empörung hat er sich am Reißbrett erarbeitet, sie ist demoskopiegetestet. Dobrindt wirft mit Unrat, aber er macht das ohne Emotionen. … Dobrindt will nicht die Köpfe der Menschen erreichen, er zielt auf den Bauch. In seinen Attacken hält er deshalb die Erinnerung an die Jahre wach, in denen einige Grüne forderten, Sex mit Kindern zu entkriminalisieren. … Er will die Grünen wieder zu dem machen, was sie in ihren Anfangsjahren mal waren – zum Bürgerschreck. Damit sie für die Mitte der Gesellschaft unwählbar sind.“ Es geht halt wieder einmal um alles für die CSU: um den Machterhalt in Bayern.

„Rufschädigung durch die Google-Methode“

Dass die CSU dafür die Grünen attackieren muss, ist für Dobrindt klar: „Genau hat er analysiert, aus welcher Ecke der CSU die größten Gefahren drohen. Zumindest in Bayern zeichne sich ‚eine Wachablösung im linken Lager‘ ab, sagt er. Spätestens bei der Landtagswahl 2018 könnten die Grünen erstmals stärker sein als die SPD. … Die größten Zuwächse verzeichnen die Grünen ausgerechnet dort, wo sich die CSU zuhause wähnte – im bürgerlichen Lager.“ Wenn es um den Machterhalt geht, schreckt auch die CSU unter Seehofer vor nichts zurück. Die Methode selber ist kalkuliert und erprobt: „Wer an ‚Grüne denkt, soll den Begriff ‚Pädophilie‘ assoziieren oder ‚Päderast‘. Dobrindt hat kein Problem damit, seine Strategie zu erklären. Selbst im oft zynischen Berliner Politikbetrieb ist das ein seltenes Eingeständnis.“ Dafür, „den Vormarsch der Grünen in die Bastionen des Bürgertums zu stoppen“ hat Dobrindt „zwei Wege identifiziert. Zum einen kann man die Angst der Bürger vor den grünen Steuerplänen wecken. Die Grünen als Steuerschreck darzustellen – das ist die konventionelle Methode der politischen Auseinandersetzung, und Dobrindt lässt dabei nichts anbrennen. Doch das reicht ihm nicht. Er sucht zum anderen nach unkonventionelleren Möglichkeiten, den grünen Gegner zu diskreditieren. Die Grünen und ihre Pädophilie-Vergangenheit – dieser Vorwurf soll sich im Hinterkopf der Wähler festhaken und immer dann aufblitzen, wenn das Gespräch auf die Partei kommt. So hat er die Google-Falle aufgestellt.“

Schwarz-Grün: Schrecken der CSU

Es spricht alles dafür, dass die CSU wieder ein solches Negative-Campaigning versuchen wird. Sie hat uns Grüne weiter für die Rolle des Watschnmanns vorgesehen: „Nachdem die Union keinen eigenen Kandidaten für die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck aufstellen konnte, hatte es für die CSU oberste Priorität, die Unterstützung eines Grünen-Kandidaten zu verhindern“ (dpa 14.11.16). Und es spricht viel dafür, dass wir Grünen ihr wieder bereitwillig dafür Material liefern: „Superreichen-Steuer, Ende des Ehegattensplittings, Abschaffung von Hartz-IV-Sanktionen – das sind einige der Kernforderungen, die auf dem Bundesparteitag beschlossen wurden. … mit diesem Programm machen sich die Grünen für viele Menschen in der Mitte der Gesellschaft unwählbar“, notiert am 12.11.2016 FOCUS-Online. Prompt folgte der aktuelle ZDF-Politbaromenter, bei dem wir binnen 14 Tagen 4 Prozentpunkte bei der politischen Stimmung einbüßten. Wenn wir es der CSU diesmal schwerer machen wollen, uns als Bürgerschreck zurechtzumachen, müssen wir gezielt dagegen halten. „Größtes Hindernis für einen Erfolg der CSU bei der bayerischen Landtagswahl 2018“ wäre, so beschreibt Müller die Befürchtungen der CSU-Strategen, „wenn die Union nach der Bundestagswahl im Jahr zuvor in Berlin eine Koalition mit den Grünen einginge“. Gut zu wissen.

Die CSU-Regierung hat sich gerade wieder dafür feiern lassen wollen, dass sie die Verluste für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wegen des Debakels der Landesbank um eine Milliarde verringert habe. Da könnte man leicht vergessen, dass spätestens seit Stoiber alle CSU-Regierungen zu diesen Verlusten in zweistelliger Milliarden-Höhe beigetragen haben.

Landesbanken wie die unsere waren ja nicht lediglich Opfer der Finanzmarktkrise, sondern aktive Mittäter. Die BayernLB hat nicht nur eine Skandal- und Pleitebank wie die HGAA gekauft, sondern sie war bei allen Krisenherden dabei. Sie hat mit ABS-Papieren, also faulen Immobilienkrediten in den USA und anderswo spekuliert, mit amerikanischen Autokrediten und Studentendarlehen, bei der HypoRealEstate und Lehman, in Island, Irland, Griechenland: Überall hat sie jahrelang an der Schuldenkrise verdient und mitgeholfen, die Blase zum Platzen zu treiben.

Voraussetzung dieses globalen Spekulantentums unter CSU-Führung waren zwei Faktoren: Die Landesbank hatte zu viel überflüssiges Geld und eine Regierung – Stoiber – mit globalen Ansprüchen, sprich: Größenwahn. Woher kam das viele, überflüssige Geld? Zum einen von den Sparkassen, denen die Bank ja zur Hälfte gehörte, bis sie sich, als es ums Zahlen ging und darum, für die Fehler geradezustehen, aus dem Staub machten. Sparkassen haben viele fleißige Sparer, also viel Geld, das angelegt und verzinst werden will. Noch verheerender aber wirkte die sogenannte Gewährträgerhaftung, d.h. die Absicherung nicht allein durch die Bank, sondern durch öffentliche Eigentümer. Weil der Staat vermutlich als letzter bankrottgeht, galt er bislang als sicherer Schuldner: Geld, das er aufnimmt oder für das er gerade steht, ist deshalb besonders günstig zu leihen. Damit konnten die Landesbanken lange konkurrenzlos an Geld kommen.

Der ehemalige Finanzminister Faltlhauser hat im Untersuchungsausschuss zum Kauf der HGAA erklärt, es habe eine weltweite Nachfrage nach billigem Geld gegeben, und damit eine „Einladung zu weltweiter Präsenz“ – http://www.sepp-duerr.de/?p=1801. Nur eine größenwahnsinnige Regierung wie die Stoibers konnte eine solche Einladung gerne annehmen. Nur durch das billige Geld aufgrund der Gewährträgerhaftung war die Entwicklung der Landesbank zu einer Bank, die nicht gebraucht wird, und in diesem Umfang möglich. Richtig brisant wurde diese Mischung aus Größenwahn und billigem Geld aber ironischer Weise erst in dem Moment, als die EU auf Druck der privaten Banken die Möglichkeit der Gewährträgerhaftung abschaffte. Denn die Übergangsbestimmungen, nach denen eine staatlich gestützte Bank noch auf Jahre hinaus besonders günstig Geld aufnehmen durfte, haben in Bayern wie Brandbeschleuniger gewirkt: Die bayerischen Banker und Weltstaatsmänner haben wie irre Liquidität gebunkert: „load the boat“ hieß die Strategie. Sie haben das Boot vollgeladen – bis es zu schwer wurde.

Ein Kühlschrank voller Gammelfleisch

Schon vor dem Kauf der HGAA hat, wie gesagt, die BayernLB unter CSU-Führung die abenteuerlichsten Geschäfte betrieben: So stieg man ins „Kreditersatzgeschäft“ ein und spekulierte mit ABS-Papieren – sogenannten „Asset Backed Securities“ – https://www.bayern.landtag.de/fileadmin/www/ElanTextAblage_WP15/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000006000/0000006078.pdf. In der Spitze hatte man 38 Milliarden investiert, mit dem Ziel, bis zu 58 Milliarden hoch zu gehen. Der ehemalige Sparkassen-Präsident und Verwaltungsratsstellvertreter Naser hat das mal so erklärt: Man habe diese Investitionen ausgeweitet, um nach Auslaufen Gewährträgerhaftung eine sichere Geldanlage zu haben. Damit sollte dann ab 2006, wenn der billige Geldfluss mit der Gewährträgerhaftung abgeschafft war, die BayernLB refinanziert werden. Die ABS-Papiere sollten praktisch wie eine Art Wurstvorrat im Kühlhaus eingelagert werden: So wollten die Weltökonomen jetzt noch überflüssiges Geld parken für die Zeit, wenn man es mal braucht.

Das Problem war nur, dass dann der Strom und damit die Kühlfunktion ausgefallen sind, als der Markt zusammenbrach. Denn da zeigte sich, und darüber, sagte der Sachverständige Prof. Wenger im Ausschuss, „hätte man sich im Klaren sein müssen, dass das Verpacken von vielen kleinen Risiken zu einem großen Klumpen nichts mit Risikoausgleich zu tun hat, wenn diese Risiken im Ernstfall alle miteinander korreliert sind. Der Niedergang eines Immobilienmarktes in einem Land ist nun einmal ein Klumpenrisiko“. Wenn man bei der BayernLB etwas von diesem Geschäft verstanden hätte, darauf verwies der andere Sachverständige, Prof. Rudolph, hätte man gesehen, dass „sich zwischen 2002 und 2006 der Markt dramatisch geändert hat … Wenn man vor Ort gewesen wäre, hätte man noch mehr sehen müssen, als wir gesehen haben von hier aus“, nämlich dass längst Bruchbuden für viel Geld gehandelt wurden. Bei Zusammenbruch des Marktes stellte sich dann raus, dass die vermeintlich sicheren ABS-Papiere eine Art mehrfach verpacktes, umetikettiertes Gammelfleisch waren.

Macht allein

Das grundsätzliche Problem der Landesbank aber war: Sie war eigentlich überflüssig. Deshalb suchten die CSU-Weltökonomen wie Faltlhauser, Huber und Konsorten verzweifelt nach einer „zweiten Strategie“ neben der „Liquiditätsbevorratung“, sprich: Bank sucht Markt. Wenn das Geschäft, billig Geld aufnehmen und konkurrenzlos weiterverleihen, nicht mehr funktioniert: Wo soll eine solche Bank künftig Geld verdienen? Zu Hause ging das sicher nicht, denn hier gab es für die Bank kein aussichtsreiches „Geschäftsmodell“: Bayern bzw. Deutschland waren „overbanked“. Die normale Alternative wäre gewesen: Schrumpfung auf das, was gebraucht wird, und Zusammenlegen mit anderen Landesbanken. Das hat man jahrelang diskutiert, vor allem die Sparkassenvertreter und auch im Vorstand waren Befürworter. Aber die Politik – sprich Stoiber und CSU – waren vehement dagegen.

Denn basierend auf der Staatshaftung hat man mit der BayernLB stets auch politische Ziele verfolgt, von den unsinnigen Krediten für Kirch, um den „Medienstandort Bayern“ und den Bundestagswahlkampf von Stoiber zu sichern, über Industriepolitik mit dubiosen Krediten für EADS bis hin zum fragwürdigen Luxushotel am Obersalzberg. Bei einer Fusion etwa mit der Landesbank von Baden-Württemberg wären die Führungsrolle der CSU und der „Bankenstandort Bayern“ weggewesen, hätte also Stoiber und der CSU ein massiver Bedeutungsverlust gedroht.

Deshalb hat man stets entschieden: „Stand alone“. Also Wachsen statt Weichen: Eine Bank, die keiner braucht, wurde noch weiter aufgebläht. Naturgemäß fiel der Blick der großen Strategen auf Osteuropa, da gab es noch einen rasch wachsenden Markt. Der CSU-Politiker und Verwaltungsrat Schaidinger hat mal erklärt, dass die Banken auf dem Balkan nach dem Motto agierten „Fehler durch Wachstum ausgleichen“. Genau das versuchte jetzt auch die Landesbank mit dem Kauf der HGAA.

Arroganz und Ignoranz

Die HGAA war damals die einzige, noch zu kaufende Bank mit Blick auf den Balkan. Sie war sozusagen die letzte Chance, deshalb war der politische Druck hoch. Nachdem Faltlhauser den Vorstand schon mal kritisierte, als es um die österreichische BaWAG ging, der sei „zu dumm, eine Bank zu kaufen“, forderte er jetzt: „Gas geben“. Dabei gab es ja gute Gründe, warum die HGAA noch zu haben war. Aber statt besonderer Vorsicht und Sorgfalt handelte man nach dem Motto „Augen zu und durch“: Wir denken im großen Stil, mit strategischen Maßstäben, und kriegen das, im Unterschied zu anderen, schon hin; Hauptsache wir haben einen Fuß auf dem Balkan.

So hat man die Katze im Sack gekauft, zu einem überhöhten Kaufpreis, ohne Abzüge, ohne Absicherung, ohne jegliche Gewährleistungsklauseln. Der politisch besetzte Verwaltungsrat hat den Vertrag vorzeitig gebilligt, auf Basis gesicherten Nichtwissens; er hat den Vertrag nie angeschaut, nie nach Inhalten oder den Verhandlungen gefragt. Nicht einmal der Vorstand die Bedingungen genau geprüft; erst im September kommt dort die Frage auf: Was haben wir eigentlich unterschrieben?

Der HGAA-Kauf war kein Betriebsunfall oder einmaliger Ausrutscher, sondern das Ergebnis einer von Grund auf verfehlten CSU-Politik unter Stoiber: von den Verlusten der LWS bei Immobiliengeschäften in Ostdeutschland, den Milliarden-Krediten für Kirch, den Milliarden-Verlusten in der Asienkrise über Milliarden-Verluste bei ABS-Geschäften bis zur HGAA. Allein, dass die Landesbank eine Bilanz von 400 Milliarden aufwies, während unser Landeshaushalt nicht einmal ein Zehntel davon betrug, zeigt, wie größenwahnsinnig diese Politik war. Insofern können wir wirklich froh sein über die kleineren Brötchen, die die Regierung Seehofer jetzt bäckt. Da werden dann hoffentlich auch die Verluste kleiner bleiben.

Wir leben in einem grünen Jahrhundert: Mit den Frage- und Problemstellungen, die wir Grünen in den letzten Jahrzehnten aufgeworfen haben, müssen sich heute alle auseinandersetzen und wenigstens so tun, als suchten sie nach Antworten. Aber konkret, vor allem verglichen mit der Größe unserer Aufgaben, geht viel zu wenig voran. Deshalb suchen heute viele Grüne nach neuen Wegen, so z.B. http://www.gbw.at/neuespurenlegen/. Sie gehen einen Schritt zurück, holen weiter aus, greifen auf älteste und neueste Erkenntnisse zurück, bis hin zur Hirn-, Verhaltens- oder Glücksforschung. Die Modalitäten des (verhinderten) Wandels geraten in den Blick. Die grüne Bewegung steckt in einer Phase der Neuorientierung, vermutlich gerade deshalb weil wir jetzt in einem grünen Jahrhundert leben.

Das „gute“ Leben oder das „richtige“?

Während manche nach einem alternativem BIP, einem neuen und besseren Maßstab fürs Wohlergehen suchen, halten andere die Orientierung am „pursuit of happiness“ für eine Sackgasse. So strittig wie die Frage, ob es um das „gute Leben“ gehen kann, ist die Frage, ob es um das „richtige Leben“ gehen darf. „Seit Kant gilt als ausgemacht, dass sich Glück oder das gute Leben im Gegensatz zum moralisch Richtigen philosophisch nicht bestimmen lassen“, schreibt die Philosophin Rahel Jaeggi in ihrer „Kritik von Lebensformen“: „Die Philosophie zieht sich damit von der sokratischen Frage, ‚wie zu leben sei‘, zurück und beschränkt sich auf das Problem, wie angesichts der Vielzahl miteinander inkommensurabler Vorstellungen des guten Lebens ein gerechtes Zusammenleben als Nebeneinander verschiedener Lebensformen gesichert werden kann.“ Jaeggi greift diese Frage neu auf, nämlich nicht als Frage von Gut und Böse, sondern von Gelingen und Scheitern, und damit – von Richtig und Falsch.

Keine Selbstverständlichkeiten

Dazu setzt Jaeggi die kritische Philosophie wieder in Kraft: Kritik bedeutet Freiheit. Zumindest für die, die an den derzeitigen Verhältnissen kein alles dominierendes Interesse haben. Die vorgefundenen gesellschaftlichen Verhältnisse geben sich – so ein in der europäischen Aufklärungstradition tief verwurzelter revolutionärer Verdacht – einen quasi naturalisierten, „naturwüchsigen“ Anschein, um Veränderungen des Status quo zu Ungunsten der derzeit von ihnen Profitierenden zu erschweren. Noch früher wollte man uns glauben machen, diese Verhältnisse seien gar gottgewollt. Dagegen bleibt jemandem wie uns, die wir Veränderungen umsetzen wollen, gar nichts anderes übrig, als diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten zu historisieren, also darzulegen, dass sie sich unter bestimmten Voraussetzungen durchgesetzt haben, bestimmten Interessen mehr dienen als anderen, aber dass das nicht so bleiben muss bzw. in unserem Fall keinesfalls so bleiben kann. Wir müssen also die „hergebrachten“ Selbstverständlichkeiten in Frage stellen. Aber mindestens so wichtig ist es, gleichzeitig neue Selbstverständlichkeiten zu schaffen.

Umwertung alter Werte

Denn eine solche Umwertung alter Werte kann, das weiß, wer es schon mal krisenhaft erlebt hat, eine so aufregende wie entnervende Erfahrung sein. Es ist auch schrecklich, wenn alles in Frage gestellt wird, noch schrecklicher sind die, die einem das aufzwingen. Damit, Sicherheiten zu rauben in einer Zeit, in der sie so sehnlich verlangt werden, gewinnt man keine Menschen. Die tägliche Erfahrung stellt für viele ja ohnehin schon allzu häufig Verlässliches in Frage: Wissen und Fähigkeiten werden in enormer Geschwindigkeit entwertet, Aufgaben wie Stellen fallen ersatzlos weg, selbst die Körper müssen beständig retuschiert und operativ korrigiert werden. Weil wir Grünen bei der Bundestagswahl nur dazu beitrugen, die vorherrschende Orientierungslosigkeit zu verstärken – ohne gleichzeitig neue (oder alte) Orientierung anzubieten wie der erfolgreiche Ministerpräsident Kretschmann –, sind wir weit hinter Erwartungen und Möglichkeiten geblieben.

Rückversicherung und Rückfälle

Wenn alle Selbstverständlichkeiten und entlastende Routinen in Frage stehen, wird der Alltag für uns unerträglich. Deshalb müssen wir uns in unserer Kritik auf das Nötigste konzentrieren, Rückversicherungsangebote und einfache Handlungsoptionen bieten. „Nicht alles anders, aber vieles besser zu machen“, hieß mal ein damals erfolgreiches Versprechen. Aber auch so wird es schon schwer genug, denn jede Infragestellung oder Umdeutung steht sofort unter Manipulationsverdacht und unter dem Vorwurf „politischer Paternalismus“. Das gilt umso mehr, als jetzt selbst Regierungen Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung einsetzen, wie etwa „Anstubsen“ (nudges), also Lenkungstricks aus der Werbewirtschaft. Aus dieser Falle hilft nur Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung: Während bisher stillschweigend eine falsche Praxis bevorzugt wurde, soll jetzt die richtige begünstigt werden – und zwar explizit und in aller Offenheit. Welche Praxis aber richtig oder falsch ist, darüber kann und muss gesprochen werden.

Mit Pegida ist es ja bald vorbei, heißt es. Aber selbst wenn es zutrifft, können wir schon jetzt mit dem nächsten rechtspopulistischen Versuch rechnen. In ganz Europa mobilisieren Populisten Bürger, sie zu wählen oder mit ihnen zu demonstrieren. Was Initiatoren und Anhänger jeweils wollen, ist oft nicht leicht zu verstehen. Rassistische, islamfeindliche und antieuropäische Stimmungsmache mischt sich mit Forderungen nach Transparenz, Demokratie und Marktkontrolle. Dazu kommt noch ein tiefsitzendes Misstrauen gegen das sogenannte „System“. HoGeSa, Pegida und AfD zeigen, dass dieses Phänomen auch in Deutschland weit verbreitet ist und sich dauerhaft institutionalisieren könnte. Das wäre sozusagen eine Normalisierung, wenn auch der schlechteren Sorte. Denn wenn Rechtspopulisten die politische Tagesordnung bestimmen, verschlechtert sich das gesellschaftliche Klima rasch und dramatisch. Deshalb wäre es höchst fahrlässig, abzuwarten und darauf zu hoffen, dass diese unbequemen Phänomene von allein wieder verschwinden.

Symptome gesellschaftlicher Spaltung

Sich radikalisierenden Bewegungen sind Symptome einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung, global, in ganz Europa und immer sichtbarer auch bei uns – einer der paradoxen Folgen der Globalisierung. Denn diese hat dafür gesorgt, dass einerseits wir alle diese Welt als unsere allen gemeinsame Welt wahrnehmen, andererseits die Brüche in dieser Einheit immer schmerzlicher wahrgenommen, aber gleichzeitig zu Gräben vertieft werden. So etwa ist der global produzierte Reichtum enorm gewachsen, genauso wie seine Folgeschäden und die Kluft zwischen Arm und Reich. 1% der Menschheit verfügt über 48 % des globalen Reichtums, aber 80 % haben 5,5 %, lauteten neulich die Schlagzeilen. Das empört uns alle. Mindestens so wichtig, aber nicht dramatisiert ist, dass 19 % immerhin noch über 46 % verfügen können, also von der globalen Ungerechtigkeit ebenfalls profitieren. Das betrifft uns alle. Wenn sich daran etwas ändern soll, müssen wir als knappes Fünftel der Menschheit natürlich besorgt sein um unsere Zukunft und die unserer Kinder.

Globalisierung dramatisiert auf klassische Weise

Globalisierung verschärft die gesellschaftlichen Gegensätze und macht diese zugleich schmerzhaft spürbar und sichtbar, weil sie vorher nicht vorhandene globale Öffentlichkeiten schafft, aber keine globalen Handlungsebenen: Sie schafft und zeigt die Probleme, aber vernebelt und erschwert gleichzeitig global ansetzende Lösungen. Globalisierung dramatisiert sozusagen gemäß den Bedingungen der klassischen Tragödie: nämlich durch die Einheit von Zeit und Raum: Am selben Ort und im selben Moment stehen Unvereinbares, schwer Verträgliches, Ungleichzeitigkeiten, widersprüchliche Wahrnehmungs- und Handlungsmuster nebeneinander – und zwar unter den Bedingungen verschärfter globaler Verteilungskämpfe. Denn offenbar stehen die bisherigen globalen, europäischen oder deutschen Macht- und Eigentumsverhältnisse zur Disposition. U.a. entwickelt sich so ein Klima der Angst, und zwar vor Minderheiten und für Minderheiten. Ohne Gegenkräfte wird das politische Klima noch weniger offen, noch weniger diskussions- und veränderungsfreudig. Das wird vor allem für uns Grüne, unsere Ziele und unsere Art zu argumentieren ein Problem.

Vielfalt fordert Antworten

Globalisierung stellt uns auch die Frage: Wie auf die zunehmend wahrgenommene Vielfalt reagieren – eine Vielfalt von Perspektiven, Interessen, Ansprüchen. Darauf gibt es eine Palette von möglichen Antwortversuchen, nämlich z.B. die Vielfalt ausradieren, was die sogenannten NSU und IS wollen; die Vielfalt ausweisen oder andere wenigstens deklassieren, worauf Rechtspopulisten aller Art und auch Pegida zielen, durch den Anspruch, „das Volk“ zu sein oder „seinen Willen“ zu exekutieren, und die Behauptung von Ungleichwertigkeiten, und schließlich, als offene Variante: Modalitäten für das neue Leben mit Vielfalt auszuprobieren. Nur als Beispiel: Wie weit sollen (nicht: dürfen) Karikaturen gehen, also muss man z.B. ausreizen, wie weit man andere ungestraft beleidigen kann? Satire darf alles, muss aber nicht: Wenn jemand sagt, es kränkt mich, was du tust, kann ich mir in einer freiheitlichen Demokratie überlegen, ob ich Rücksicht nehme oder mich mit eigenen Gründen darüber hinwegsetze. Sind Rücksichtnahem und Selbstzensur denn wirklich das gleiche? Ich meine, auch bei unsere eigenen Antwort stehen wir erst am Anfang.

Erst Worte, dann Taten

Es ist ja nicht neu, dass rechtsextreme Einstellungen weit, bis in die sogenannte Mitte hinein, verbreitet sind. Aber Worte und Taten haben reale Folgen. Öffentlich und sichtbar wirksame rechtspopulistische Bewegungen gefährden unsere Demokratie, wenn sie Macht ausüben insofern, als es ihnen gelingt, der repräsentativen Politik ihren Diskurs 1:1 aufzuzwingen, also in der von ihnen geprägten Terminologie und Problemstellung, wenn also Regierungen tun, was sie fordern – ohne die notwendigen vorausgehenden politischen und parlamentarischen Diskussions- und Entscheidungsprozesse. Gefährlich sind sie vor allem auch insofern, als sie rechtsextreme Täter ermutigen. Sie begünstigen nachgewiesenermaßen ein für rechtsextreme Gewalt förderliches Klima. Deshalb sollten wir alles versuchen, um Eskalationen von individueller Einstellung zu öffentlicher Hetze und kollektiver Organisation bis hin zu politischen Taten zu blockieren. Wir müssen die Handlungsfähigkeit des Rechtspopulismus schwächen und dürfen ihm buchstäblich keinen Raum lassen, kein Forum, kein Podium, kein Mikro, jedenfalls nicht ohne Gegenposition.

Nicht „das Volk“, aber auch nicht niemand

Rechtspopulisten sind nicht „das“ Volk, nur ein winziger Teil davon. Aber als solcher haben sie einen legitimen Anspruch auf Mitsprache. Doch weder Angst noch eigene Not rechtfertigen Aggressionen oder Hetze gegen Minderheiten, Rassismus oder rücksichtslosen Egoismus in harten Verteilungskämpfen. Unser Rechtsstaat und unsere demokratischen Werte stehen nicht zur Diskussion oder Disposition. Gleichzeitig müssen wir aber die inhaltliche Debatte suchen und auf Deeskalation und Ausgleich setzen, statt auf Graben- und Verteilungskämpfe. Konflikte eskalieren, wenn die Positionen beider Seiten verhärten. Denn auch wenn die propagierten „Lösungsvorschläge“ indiskutabel sind, die Fragen, die rechtspopulistische Bewegungen aufgreifen, sind ja real. Heinz Bude verweist in seiner Analyse „Gesellschaft der Angst“ auf die Devise des US-Präsidenten Roosevelt. Danach „ist es die erste und vornehmste Aufgabe staatlicher Politik, den Bürgern die Angst zu nehmen.“ Nicht zuletzt denen, die von den Rechtspopulisten bedroht werden. Politik auf Augenhöhe verzichtet auf Bewerten, Beschämen, Belehren. Erst recht, wenn sie selber keine überzeugenden Antworten hat.

Wir Grünen sollen uns doch lieber um „grüne Themen“ kümmern. Diesen wohlmeinenden Rat bekommen wir immer dann, wenn wir mit unserer Gesellschaftspolitik anecken und aus dem Mainstream fallen. Vor allem Konservative, die mit uns sympathisieren, bekunden ihre Sorge, wir könnten Leute verprellen, die für ökologische Politik inzwischen ja so aufgeschlossen seien. Da frag ich mich natürlich zum einen, in wessen Namen diese Kritik vorgetragen wird. Und zum anderen, warum unsere ökologischen Argumente und unsere diesbezügliche Überzeugungskraft auf diejenigen schwächer werden sollen, die mit uns doch angeblich „nur“ in der Gesellschaftspolitik im Clinch liegen. Offenbar gibt es da doch einen substantiellen Zusammenhang etwa zwischen unserer Gesellschafts- und Klimapolitik, der gerade dann sichtbar wird, wenn er geleugnet werden soll.

Zwei Hälften oder zwei Seiten?

Was wir Grünen seit jeher als zwei Seiten einer einzigen Modernisierungspolitik sehen, einer sowohl ökologischen wie gesellschaftspolitischen, wurden früher auch von unseren Gegnern en block betrachtet und pauschal als spinnerte Ideen verworfen. Heute hätten manche gern zwei separierbare Hälften: So als könne man unsere weltoffene, emanzipatorische Gesellschaftspolitik einfach wie eine faule Hälfte wegschneiden und danach die überbleibende, für Konservative scheinbar leichter bekömmliche Kost von der „Bewahrung der Schöpfung“ gustieren. Interessant ist dabei nicht zuletzt, mit welcher Heftigkeit da oft unsere gesellschaftspolitische Hälfte ausradiert werden soll. Früher hat sich eine solche Vehemenz gern an Claudia Roth festgemacht. Wir „guten“ Grünen, gab man uns aus CSU-Kreisen zu verstehen, sollten uns von dieser Art von Politik nur deutlich genug distanzieren, dann würde man uns schon liebhaben. Wo wir doch sonst so wertvolle Ideen und Konzepte hätten.

Grüne Selbstbeschränkung: Bitte kein Gedöns!

In ähnlicher Art richten sich solche Ermahnungen immer mal wieder auch an mich, ich möge doch von bestimmten Fragen die Finger lassen. Die Wohlmeinenderen verbinden sie in der Regel mit Lob für meine übrige Arbeit und der Bitte, ich möge mich doch um die wirklich wichtigen Themen kümmern, statt um echte Nazis oder falsche Trümmerfrauen. Warum sind manchen Leuten angeblich unbedeutende Fragen so wichtig, dass sie mich ermahnen? Da geht es um Gewichtung und damit um die politische Ausrichtung grüner Politik. Etwa in der Art, mit der mal unser gerade ins Amt gepurzelter Miesbacher Landrat zugespitzt und selbstzufrieden behauptet hat, wir bräuchten mehr Kretschmann und weniger Trittin. Das sollte wohl heißen: mehr pragmatisches und weniger ideologisches Handeln und Reden. Aber vielleicht auch: mehr bewahrende Umwelt- und weniger beunruhigende Gesellschaftspolitik. Ich war mir schon damals, als die Flügel noch was bedeuteten, sicher, dass wir beides brauchen, das pragmatische Handeln und das vorausschauende Kritische, dass wir also Realos und Fundis sein müssen, je nachdem, was gerade am vielversprechendsten ist.

Antworten auf Probleme der Globalisierung

Nur auf einem Bein können wir nicht stehen. Wir wären gar nicht mehr wahrnehmbar als Grüne. Mehr noch: das eine wird ohne das andere gar nicht funktionieren, d.h. nur wenn wir beim situativen Handeln einigermaßen Kurs halten und wissen, wohin wir wollen, werden wir auf Dauer erfolgreich sein – und umgekehrt. Sowohl die gesellschaftspolitischen Fragen, mit denen wir angeblich die „Bevölkerung gegen uns aufbringen“, wie unsere ökologischen Interventionen verdanken sich derselben Ausgangslage, nämlich den großen Veränderungen der Globalisierung. Teile der Menschheit sind heute in der Lage und bereits dabei, den Planeten zu Lasten aller zu ruinieren bzw. die Lebensbedingungen auf einem Großteil der Erde sowie für die Künftigen drastisch zu verschlechtern. Darauf müssen wir einerseits zeitgemäße, also die Globalisierung gestaltende Antworten finden – zeitgemäß im Unterschied und sogar gegen die gängige populistische, aber hilflose Politik des Abschottens, Kopf-in-den-Sand-Steckens, Privilegien-Verteidigens, Unrecht-Leugnens, kurz eines globalen, europäischen oder bayerischen insularen Egoismus.

Ökologische Fragen sind Gerechtigkeitsfragen

Damit ist andererseits klar, dass mögliche Antworten zusammenhängen: Hoffen wir darauf, die Privilegien von vergleichsweise Wenigen verteidigen zu können, oder treten wir für die Rechte der Vielen ein? Wie schaffen wir einen Ausgleich? Die großen ökologischen Fragen werden wir nicht lösen, wenn wir uns nicht mit den ungelösten Gerechtigkeitsproblemen sowie den Forderungen nach global geltenden Menschenrechten befassen. Dazu gehört dann die Anerkennung gleichwertiger Ansprüche (Minimumstandards, ökologischer Fußabdruck, Wirtschaften auf Pump etc.). Die wiederum setzt voraus, dass wir uns auch mit dem real existierenden Rassismus und seiner hiesigen Vorgeschichte, der Nazi-Vergangenheit auseinandersetzen. Gleichzeitig bedeutet das, wie schon seit unseren Anfängen als Partei, radikale Gerechtigkeitsfragen zu stellen und uns nicht mit scheinbar bequemen Antworten abspeisen zu lassen. Das ist schwierig und oft unangenehm, weil wir da immer wieder anecken müssen, und dabei haben wir es doch gern auch mal gemütlich. Aber damit die Welt insgesamt ein wirklich gemütlicher Ort wird, müssen wir noch sehr viel streiten, fürchte ich.