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Politikerleben

Toiletten haben immer mal wieder eine Rolle in der Politik gespielt. Man denke nur an den römischen Kaiser Vespasian, der sogar eine Latrinensteuer einführte, um den Staatshaushalt zu sanieren, nach dem Motto: „Pecunia non olet“, also „Geld stinkt nicht“. Aber wenn Klos schon mal eine Rolle spielen, kann sie auch gerne unfreiwillig komisch sein. So war in Köln, als ich dort mal durfte, das WC des Oberbürgermeisteramtes mit einem Nummern-Code gesichert: „E 4711“ – Eau de toilettes. Doch es gibt auch noch andere kulturpolitische Aspekte: Jede bedeutende amerikanische Kulturinstitution ist auf private Geldgeber, Spenden und Stiftungen angewiesen. An allen Ecken und Enden muss Sponsoren gedankt, kein Stein könnte verbaut, kein Stück gespielt werden, wenn nicht ein großzügiger Geber dafür zahlte. Im Katharine Hepburn Cultural Art Center an der Ostküste beispielsweise kommt nicht mal das Klo ohne Sponsorentafel aus, allerdings stinkt scheinbar dann doch irgendwas. Denn die Tafel besagt: „Men’s Room donated by Anonymus Donor”. Wenn man mal damit anfängt, findet man viele solcher Klogeschichten.

Noch mehr Klogeschichten

So hat die Frankfurter Commerzbank mal mit einem Hochglanzfoto ihrer Herrentoilette geprahlt: vier Urinale, direkt vor der Glasfassade, hoch über der Stadt. Was sollte uns das sagen? Diese Banker pissen auf die Welt? Natürlich muss ich da sofort an den Landesbank-Untersuchungsausschuss von 2008 denken. Als ich Erwin Huber nach dreieinhalb Stunden für ihn nicht sehr erquicklicher Befragung auf der Toilette treffe, hat er offenbar seinen angriffslustigen Humor wiedergefunden. Ich hatte in der Früh ein Radio-Interview zur baldigen Landtagswahl gegeben. Darauf er: „Wenn Ihr nicht mit uns koalieren wollt, kommt Ihr ja nie in die Regierung.“ Das Klo ist halt eine Kommunikationsstätte. Das gilt nicht nur in der „großen“ Politik. Unser früherer Bürgermeister Rudi Bay hat oft und gern erzählt, wie es zur Stadterhebung Germering kam. Zufällig sei er mal auf dem Nockherberg-Klo neben dem damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef gestanden. Und geistesgegenwärtig habe er diese Gelegenheit für einen informellen Antrag genutzt. Der formelle Vorgang hat sich trotzdem hingezogen. Zur Überreichung der Stadturkunde kam dann Innenminister Stoiber; Strauß war da schon etliche Jahre tot.

Klogespräche

Zu so einer spontanen Audienz hätte es im Berliner Reichstag nicht leicht kommen können. Denn hier müssen die Männer zum Pinkeln einzeln in verschließbare Kabinen gehen. Männertoiletten sind ja als Brutstätten von Intrigen und Seilschaften verschrien. Manchmal allerdings kommt ein solcher Verdacht zu Unrecht auf. So habe ich mich mal in der Pause einer Fraktionssitzung auf der Landtagstoilette mit einem Kollegen unterhalten, ein paar Tage vor dem schließlichen Rücktritt unserer damaligen Vorsitzenden. Ich hatte ihr eben offen erklärt, dass sie mein Vertrauen nicht mehr habe; und dann musste ich mir auf dem Klo vorhalten lassen, dass ich nicht einen Schritt weiter gegangen sei. Dabei hatte er in der Sitzung seine Solidarität und Unterstützung erklärt. Dieses Gespräch machte dann als Gerücht die Runde, er und ich hätten auf der Toilette ein Komplott geschmiedet. Aber wo soll das Komplott sein, wenn ich mich ihr gegenüber doch offen erklärt hatte? Anscheinend hatte jemand still mitgehört und danach seine eigene Geschichte erzählt. Seitdem schau ich immer vorsichtshalber, ob die Kabinen alle leer sind.

Im Waschraum

Wenig Scheu vor Mithörerinnen dagegen hatte vor zweieinhalb Wochen unser ehemaliges Fraktionsmitglied Claudia Stamm. Das war noch weit vor ihrem Austritt letzte Woche, bei einem grünen Kongress im Landtag. Eine mittelfränkische Parteifreundin hatte sie im Waschraum der Toilette für ihre Landratskandidatur vor fünf Jahren gelobt. Darauf fing sie an, sich lautstark zu beklagen: Die Grünen hätten ihr diesen Erfolg so geneidet. Und in der Fraktion werde sie bis heute gemobbt. Schon als sie damals nachgerückt sei, also vor gut acht Jahren, habe man es ihr schwer gemacht. Darüber habe sie auch schon mit ihrer Mutter gesprochen. In diesem intimen Gespräch ließ sie sich auch nicht stören, als andere Frauen die Toilette nutzten oder sich in Unschuld die Hände wuschen. Eine von denen hat‘s mir dann brühwarm weitererzählt. Öffentliche Toiletten sind halt nur vermeintlich „stille Örtchen“.

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Wir gehen ein paar Tage auf „Klausur“, wie jeden Januar, und wie alle anderen Fraktionen auch. Mit klösterlicher Abgeschiedenheit hat eine politische Klausur ungefähr so viel gemein wie die Fernsehshow Big Brother. Aber wie oft bei politischen Begriffen führt auch das Wort „Klausur“ nur halb in die Irre. Denn wir ziehen uns ja tatsächlich zu Besinnung und Arbeit an einen Ort abseits des gewohnten Betriebes zurück. Jedoch schließen wir uns dabei nicht, wie das die Ursprungsbedeutung meint, automatisch von der Welt ab. Wir gehen nicht „in Klausur“, sondern „auf Klausur“, und haben dabei zwar weniger Rollenzwang und mehr Bewegungsfreiheit, aber nicht so viel mediale Aufmerksamkeit wie die Insassen des TV-Containers. Immerhin kann auch bei uns gelegentlich mal jemand rausgewählt werden. Denn so eine zusammengewürfelte, in einer Art lockerer Kasernierung zusammengeschlossene Gruppe kann eine eigene, alle überraschende Dynamik entwickeln.

Wie eine Selbsterfahrungsgruppe

In diesen paar gemeinsam verbrachten Tagen kann man eine ganze Menge erfahren über sich als Gruppe – und nicht immer sind diese Erfahrungen nur angenehm. Wie in jeder anderen Selbsterfahrungsgruppe auch. Bei meiner ersten Klausur habe ich mich, das weiß ich noch genau, wie ein Fremdkörper gefühlt: ungewollt, ausgeschlossen, als Störfaktor. Die anderen hätten offenbar alle gut ohne mich Neuen auskommen können. Auf der zweiten Klausur war ich begeistert über die Vielfalt, die ich in unserer Fraktion vorfand und aus allen Ecken unseres Sitzungszimmers hören konnte: die unterschiedlichsten Typen und Dialekte waren vertreten, ein richtiges Multikulti, vom unterfränkischen Hessisch bis zum tiefsten Allgäuerisch, von Pfälzisch bis Nürnbergerisch. Bei meiner dritten Klausur war ich platt, wie viel Zündstoff sich in der von mir für so harmonisch gehaltenen Fraktion tatsächlich aufgestaut hatte. Auch das passend zur Selbsterfahrungsgruppe. Nur dass auf Klausur halt kein Moderator dabei ist, kein herausgehobener Kursleiter, so dass die Leitung selber leicht zum Problem werden kann.

Druck auf dem Kessel

Wenn es interessant wird, und gerade auch, wenn es intern wird, kann mit besonderer medialer Aufmerksamkeit gerechnet werden. Da muss dann der Deckel drauf. Größter diesbezüglicher Erfolg unserer ansonsten gespaltenen Fraktion war, dass es uns vor sechs Jahren von Mitte Dezember bis Mitte Februar gelungen ist, den Rücktritt unseres Fraktionsvorsitzenden geheim zu halten. Damit haben wir dafür gesorgt, dass die Berichterstattung zu Anfang des Jahres und insbesondere von der Klausur mit politischen Inhalten und nicht mit Personalfragen voll war. Meist haben ja die Fraktionen auf ihren Klausuren gerade dann viel öffentliche Aufmerksamkeit, wenn sie die gar nicht brauchen. Das liegt dann nicht zuletzt an buchstäblich „embedded journalists“, also mitgereisten Landtagskorrespondenten oder örtlichen Medienvertretern, die, wenn es sein muss, fast rund um die Uhr mit dabei sind und häufig auch im gleichen Hotel übernachten. Die berichten offenbar nichts lieber als interne Machtkämpfe und Streitereien. Da mag die Macht, um die gestritten wird, auch noch so klein sein. Dass wir in wirklich ruhigem Fahrwasser sind, kann ich spätestens dann erkennen, wenn kein Journalist die ganze Klausur mit uns verbringen will.

Botschafter unserer selbst

Wenn wir nicht gerade mit uns selber beschäftigt sind, bieten Klausuren die beste Plattform, um aktiv die Landespolitik zu bestimmen. Nur auf diesen beiden Terminen im Januar und September können wir auch als Opposition eigene Themen setzen, so wie das sonst nur der CSU mit Regierungserklärungen und Verlautbarungen gelingt: Wir sagen was und die anderen müssen darauf reagieren. Umso wichtiger ist natürlich, dass wir die Gelegenheit gut nutzen. Schon relativ kurz, nachdem ich dabei war, haben wir versucht, bei Klausuren mehr klare Botschaften und Ziele zu setzen und überhaupt auf Außenwirkung zu achten. Denn man hat z.B. auf Bildern von Besuchen, die wir etwa in Tagesstätten machten, nicht immer auf Anhieb erkannt, wer die Kindergärtnerin war und wer die Abgeordnete. Gerade bei den Fernsehbildern geht es ja am wenigsten um Inhalte, sondern um Wirkung. Wer bei Kameraschwenks über die Klausurtagung gelangweilt rumlümmelt oder schwätzt, wird im Gegenschnitt bewusst oder unfreiwillig den stummen Kommentar abgeben zum Text, der vorne gesprochen wird. Wir haben beschlossen, grüne Klischeebilder, also Stricken, Schlabberlook und Birkenstock, zu verweigern und den Kameras gezielt andere Bilder zu liefern. Mit meinem neu erworbenen, demonstrativ aufgeklappten Laptop bin ich dann auch prompt das erste Mal „ins Fernsehen“ gekommen.

Kreuther Geist

Der CSU ist es ja gelungen, mit „Kreuth“ einen eigenen Klausur-Mythos zu schaffen. Der wird dann vorher regelmäßig von den Medien aufgerufen, aber nur ganz selten erscheint der Geist von Kreuth dann wirklich und leibhaftig. Insofern war der Putsch gegen Stoiber eine schöne Überraschung. Dass da was im Busch ist, hatte sich seit Stoibers Kehrtwende 2005 abgezeichnet, als er doch nicht als Superminister nach Berlin gehen und in Bayern das Feld räumen wollte. Schon auf der Kreuther Klausur 2006 waren die CSUler mit Wundenlecken beschäftigt und tief verunsichert. Als damals Stoiber den Bayerischen Filmpreis an Maximilian Schell übergab, kalauerte Spaenle, selber noch kein Kabinettmitglied, unter Anspielung auf den Ex-Minister Lafontaine: „Der eine hat den Oskar, der andere macht ihn.“ Dann setzte der damalige Fraktionsvorsitzende Joachim Herrmann den brodelnden Kessel richtig unter Druck, als er ankündigte, er werde die Fraktion schon auf der Klausur auf Stoiber als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2008 festlegen. Da halt dann mal den Deckel drauf. Alois Glück hat später eingeräumt, dass auch unsere Drohung mit einem Abwahl-Volksbegehren angesichts der miserablen Zustimmungswerte für Stoiber eine Rolle spielte. Gerne erinnere ich mich auch an die Sprachlosigkeit des aus Kreuth übertragenden Bayerischen Fernsehens, ein stammelnder Siegmund Gottlieb und ein stummer, vergeblich in der Kälte wartender Live-Berichterstatter.

Kretschmanns Irrtum

Verschiedentlich war ich auch auf Klausuren anderer zu Gast, so beispielsweise als die Grüne Bundestagsfraktion uns mit ihrer Klausur in Miesbach im Endspurt des Landtagwahlkampfs 2003 unterstützte. Zusammen mit dem großen Joschka Fischer haben wir unser kleines Plakat der Presse präsentiert, mit dem wir die Zwei-Drittel-Mehrheit der „Schwarzen Macht“ eher beschworen als behinderten. Und im Januar 2008 hat mich mein früherer Kollege als Fraktionsvorsitzender Winfried Kretschmann nach Baden-Württemberg einladen lassen: „Der eigentliche Anlass für unsere Einladung ist die Wahrnehmung, dass ihr in Bayern gerade gut drauf seid, pfiffige Kampagnen und Aktionen fahrt, insgesamt, so scheint es, eine frische Politik macht. Da wir bisweilen von uns selbst den Eindruck haben, vom Alltagsgeschäft gefressen zu werden und manchmal auch zu viel Routine walten lassen, dachten wir: „von den Bayern lernen, heißt siegen lernen“ :-)“. Ich bin brav hingefahren nach Tübingen und hab von unseren bescheidenen Bemühungen berichtet und damals schon gewusst, dass es besser umgekehrt gelaufen wäre: Wenn wir doch von ihnen hätten siegen lernen können.

Ein Parlamentarier, der im Parlament nicht reden will, ist sein Geld nicht wert. Das traf diese Woche praktisch auf fast die ganze CSU-Fraktion zu. Aber immerhin haben sie sich ihr Sitzungsgeld schwer ersessen müssen. Denn Fraktionsvorsitzender und Ministerpräsident hatten für die Plenarsitzung Anwesenheitspflicht ausgegeben. Da saßen die CSUler dann den größten Teil der Debatte über ihr schäbiges „Integrationsgesetz“ weitgehend stumm dabei, von gelegentlichen eruptiven Ausbrüchen abgesehen: http://www.sueddeutsche.de/bayern/integrationsgesetz-nach-stunden-debatte-landtag-verabschiedet-integrationsgesetz-1.3285664. „Die CSU hat die Marathondebatte provoziert“, kommentiert die SZ, denn sie „hat der Opposition vorgegaukelt, in der wichtigen Frage der Integration eine parteiübergreifende Lösung zu suchen“, aber das Gesetz dann knallhart durchgezogen: http://www.sueddeutsche.de/bayern/kommentar-die-csu-hat-die-marathondebatte-provoziert-1.3287385.

Bayerische Spezialitäten

Die CSU war in keiner Phase zu Kompromissen bereit, ja sie hat, anders als angekündigt, noch nicht mal darüber reden wollen. Genau deshalb war der lange Sitzungsmarathon richtig und wichtig, weil er auch offenlegte, wie die CSU in ihrer wiederbelebten Arroganz der Macht in Bayern Politik macht und wie schäbig das jetzt durchgedrückte Gesetz ist. Weder Sitzungsdauer noch Schäbigkeit sind was spezifisch Bayerisches. Aber die Art und Weise, wie und warum das so abgelaufen ist, hat schon was mit unseren besonderen Verhältnissen zu tun. Dass die CSU über bestimmte Themen noch nicht mal reden will, hat es früher schon gegeben. Als wir Grünen 2001 das bundesweit erste Integrationsgesetz vorlegten, haben CSU und leider auch die SPD schon in den Ausschüssen jede Auseinandersetzung darüber verweigert und jeden einzelnen Punkt kommentarlos abgelehnt. Typisch war auch, dass sie die Debatte dann aber außerhalb des Landtags heftig fortsetzten, in den Medien und an den Stammtischen, wenn wir nicht dabei waren und sie ungeniert über uns herziehen konnten.

Die Mehrheit reicht der CSU nicht mehr

Ein Parlamentarier, der beleidigt oder aus Mangel an Argumenten oder warum auch immer die Debatte verweigert, macht sich damit auch lächerlich. Das haben auch in den eigenen Reihen nicht alle verstanden. Die CSU-Hinterbänkler sowieso nicht: Sie haben in den ersten Stunden endlich auch mal reden dürfen und mussten jetzt auf einmal ihre Redebeiträge wegschmeißen, sie hatten sie ganz umsonst schreiben lassen. Aber genauso haben viele Ältere nur den Kopf geschüttelt. Man hätte, um die Redezeit nicht uferlos auszudehnen, zu jedem Punkt nur kurz was sagen und so an der Debatte teilnehmen können. Was er überhaupt nicht versteht, sagte mir ein erfahrener CSUler: „Wenn man die Mehrheit hat, warum muss man dann auch noch brüllen?“ Tja. Das liegt halt auch daran, dass diese Mehrheit wackelt und dass sie schon mal verloren war. Jetzt halten viele in der CSU nicht mal mehr Widerspruch aus, weil sie merken, dass sie die alten Mehrheiten nicht mehr einfach herbeizwingen können. Angst und Wut liegen da ganz eng beieinander.

Trockene Angelegenheit

Ich persönlich, und da hab ich vor meinem eigentlichen Redebeitrag – http://www.sepp-duerr.de/2874 – auch keinen Hehl daraus gemacht, fand es gar nicht so schlimm, dass die CSUler mal zuhören mussten, ohne widersprechen zu dürfen. Aber so ganz ohne Widerspruch, das hab ich ihnen auch gleich zu verstehen gegeben, würde es mir auf Dauer keinen Spaß machen. So wie es heißt: „Allein ist es auch im Himmel nicht schön“, kann ich für mich sagen: „Allein im Landtag zu streiten macht auch keinen Spaß.“ Danach, um ein Uhr in der Nacht, hatte ich sauber Durst und hab ein Weißbier aufmachen lassen. Das war gar nicht so einfach. Denn für die CSU herrschte nicht nur Anwesenheitspflicht und Rede-, sondern auch noch Alkoholverbot. Offiziell jedenfalls. Deshalb hat die Landtagspräsidentin auch den Ausschank auf der Plenarebene verbieten und die alkoholischen Getränke wieder in die Gaststätte zurückbringen lassen. Aber, sagte man mir, dort sei schon jemand, auch wenn es geschlossen aussehe, ich müsse nur reingehen.

Speakeasy oder Sog-gor-nix

Speakeasy, so hießen in der Zeit des landesweiten Alkoholverbotes in den USA die sogenannten „Flüsterkneipen“, in denen es unter der Hand und halboffiziell doch was zu Trinken gab: https://de.wikipedia.org/wiki/Speakeasy. Ob das bei den CSUlern funktioniert, dass sie nach dem Genuss von Alkohol leichter sprechen oder doch etwas schwerer, ließ sich ja in der Nacht von Donnerstag auf Freitag nicht mehr feststellen. Aber die „Heldin der Woche“ – http://www.sueddeutsche.de/bayern/integrationsgesetz-nach-stunden-debatte-landtag-verabschiedet-integrationsgesetz-1.3285664 – ließ nicht nur niemanden verhungern, sondern auch nicht auf dem Trockenen sitzen. Mit meinem Weißbierglas in der Hand habe ich dem Plenum gegenüber einen dezenten Hinweis gegeben. Da bin ich nicht lange allein geblieben. Allen habe ich gerne über die Quelle Auskunft gegeben – und in dem Falle haben sich viele CSUler bis hinauf zur Ministerin meinem Rat nicht verschlossen. Wenn es nur immer so einfach wäre im bayerischen Parlament, und die CSU öfter auf mich hören würde.

Autorität und Rebellion, Parieren und Derblecken: Das gehört für viele Bayern offenbar zusammen. Ohne Gegenpol hielten sie es hierzulande sonst nicht aus. Oder sie müssten grundsätzlich was ändern. Auch bei einer überaus erfolgreichen, so bayernkritischen wie unverwechselbar bayrischen Band wie der Biermösl Blosn hatte ich immer schon den Verdacht, dass das funktioniert wie Ablasshandel oder Ablassventil: Das ganze Jahr Kuschen und Jasagen, aber bei der ersten Gelegenheit Druck ab- bzw. die Sau rauslassen.

Man kann das auch weniger machtpolitisch, mehr demokratietheoretisch betrachten. Dann ergänzen die Starkbierfeste mit ihren Krügelreden, Bußpredigten, Sketchen oder Singspielen die besonderen Bausteine direkter Demokratie in Bayern: Sie sind eine der seltenen kollektiven Gelegenheiten zwischen Wahlen, Bilanz zu ziehen und die Volksvertreter auf den Prüfstand zu stellen. Deshalb war für mich schon als Gemeinderat klar, dass ich mich als Gewählter dem Spott auf dem Starkbierfest der Bauernbühne Unterpfaffenhofen stelle. Derblecken muss sein, wie lustig es nun auch immer ist. Erst recht galt das für den Nockherberg.

Ober sticht Unter

Dort werden ja sowieso nur die Wichtigen eingeladen. Ob sie sich selber dafür halten oder nicht, Hauptsache sie haben ein Amt. So was wie Fraktionsvorsitzender sollte man schon sein, wenigstens, mindestens. Mag die Fraktion auch noch so klein sein.

Wir Grünen hatten am Nockherberg 2001 nichts zu erwarten. Das hat uns der Verfasser der Bußpredigt schon vorher mitteilen lassen: „Die bayerischen Grünen kennt ja keiner. Die sollten sich wenigstens neben einen Prominenten setzen.“ Wir Grünen regieren zwar mit, aber halt nur in Berlin. Und von den dortigen Wichtigen kommt keiner freiwillig nach München, um sich hier in der Provinz aufziehen zu lassen. Dafür müssen wir büßen.

Predigt und anschließendes Singspiel werden zum höchst amüsanten, aber gnadenlosen Lehrstück. Hinterher ist klar, wo der Bartel den Most holt und wo die Macht ist. In Bayern ist sie jedenfalls nicht. Selbst Stoiber spielt zwar einen wichtigen Part, aber eben nur den des Provinzmatadors. Von uns Grünen wie angekündigt kein Wort. Aber nicht nur wir Grüne, sondern wir Bayern spielen bundespolitisch keine Rolle, sind im Machtspiel allenfalls lästig. Die wirkliche Musik, sagt das Singspiel, spielt in Berlin.

A dabei

Ich bin nahezu inkognito hier. Mich kennt nur die Politprominenz. Wenigstens wuselt die hier überall rum. Vor allem sind Fernsehkameras und allerhand Journalisten allgegenwärtig. Alle warten auf Wirkungstreffer. Du sitzt da auf dem Präsentierteller, nimmst gelegentlich einen Schluck vom süffigen Starkbier, musst dich aber zur Vorsicht mahnen und zwischendrin aus dem Krug mit Wasser trinken. Denn du willst ja nicht auffällig werden. Und arbeiten musst du danach auch noch was.

Zum Glück zündet ein guter Witz auch, wenn man selber dessen Zielscheibe ist. Da fällt einem die vom strengen Protokoll geforderte Heiterkeit nicht schwer. Schwierig wird es allerdings, wenn du gute Miene zum schlechten Spiel machen sollst. Wie soll man zeigen, dass man Spaß verträgt, wenn das überhaupt nicht spaßig ist? Das ist schon schlimm genug, wen man aus Gefälligkeit lachen muss oder damit der andere nicht gar so gut da steht. Dann lach mal, weil es sich einfach gehört. Und lass dich von der Kamera dabei beobachten. Da schmeckt das Bier doppelt süß.

Austarierte Hackordnung

So geht das all die Jahre, die ich a dabei bin. Stets spiegelt der Nockherberg die Rang- und Hackordnung in Bayern und Berlin aufs Ausgefeilteste bis in die feinsten Verästelungen wieder: schon im geladenen Publikum, in der Sitzordnung, wie im Sonnenstaat zentrifugal nach außen, und erst recht oben auf der Bühne. Verdoppelt wird das noch mal durch die Medien, das übertragende Fernsehen und die kommentierenden und zitierenden Zeitungen, in denen die Wichtigen natürlich ebenfalls mehr Raum bekommen.

So wirkt der Nockherberg immer auch ein bisschen entwürdigend. Vor allem dann, wenn man im Ranking keine Rolle spielt. Schlimmer ist vielleicht nur, wenn man nicht mal zum Zuschauen eingeladen wird.

Wie immer nehme ich mir vor, mich dem nicht mehr auszusetzen, mich nicht jedes Mal wieder auf und neben der Bühne vorführen zu lassen. Und wie jedes Jahr lasse ich mich vom Theater auf der Bühne mitreißen. Es ist halt auch mein Theater, das da gespielt wird, meine eigene bayerische Provinzposse. Vor allem aber: es ist einfach lustig, und immer wieder sogar geistreich. Und eine kleine Übung in Demut kann nicht schaden, sage ich mir, als ich mich mit der Straßenbahn zurück in den Landtag fahre.

Wie in jeder ordentlichen bürgerlichen Familie ist die Zeit der Weihnachtsfeiern auch bei uns in der Landtagsfraktion schon oft die Zeit von Krach und Ärger gewesen. In den letzten Sitzungswochen vor den Feiertagen haben wir so manchen Abgeordneten und manche Fraktionsvorsitzende im Streit verloren. Die Voraussetzungen für solche Zerwürfnisse sind in diesen Tagen immer besonders günstig: Wenn sich so viele Menschen regelmäßig so häufig treffen und so hohe Erwartungen aneinander haben, die ebenso regelmäßig enttäuscht werden, und man so lang und eng beieinander ist wie sonst selten, kann man sich nötigenfalls gehörig auf die Nerven gehen. Besonders professionell ist das vielleicht nicht, dass Kolleginnen und Kollegen beispielsweise Kritik an ihren Initiativen oder Argumenten persönlich nehmen, statt als Chance, diese zu verbessern. Aber es kommt halt leicht mal vor. Umso leichter, je enger und öfter man aufeinandersitzt.

Lauter Streit statt stader Zeit

Der Weihnachtskrach ist ein Phänomen, das deshalb nicht nur uns Grüne, sondern gerne mal das ganze Parlament befällt. Wie vor der Sommerpause wollen auch vor den Weihnachtsferien die meisten Abgeordneten in einer Art Torschlusspanik auf die Schnelle Feuerwerke zünden, Weltruhm erringen oder sonst allzu lang Versäumtes doch noch nachholen. Der Druck vor den sitzungsfreien Wochen ist deshalb enorm. Und dann hocken eben noch alle ungewöhnlich lang und eng aufeinander: An drei aufeinanderfolgenden Plenartagen ist Vollversammlung. Kein Wunder, dass dann bei den Debatten im Plenum die Nerven bei vielen blank liegen. Jeder Streit sollte allerdings möglichst angezettelt, durchgefochten und wieder beigelegt sein, bevor am Ende der Sitzungsperiode salbungsvolle Worte der Präsidentin, eines SPD-Vorstandsmitglieds als Vertretung der Opposition und des Ministerpräsidenten alle in die Parlamentsferien verabschieden. Krach, Krisen und Intrigen häufen sich in dieser Zeit. Direkt besinnlich ist die parlamentarische Vorweihnachtszeit selten.

Ja, ist denn heut schon Weihnachten?

Weihnachten, Zeit der Krisen. Nie war das wahrer als im Dezember 2000, als auch in Bayern BSE-Fälle gefunden wurden. Wo sich die CSU und ihre verantwortlichen Minister bis hinauf zum Chef selber doch so sicher waren, im Land der Seligen und der garantierten „Qualität aus Bayern“ zu leben. Ich war kurz zuvor Fraktionsvorsitzender geworden. Da hat mich Stoibers damalige rechte Hand, der Staatsminister Erwin Huber, angerufen. Damals war Huber noch nicht verbittert und frustriert ob der eigenen Unzulänglichkeit, sondern noch voll launigem Selbstbewusstsein: Ob das denn für mich nicht wie Weihnachten wäre, wenn er persönlich bei mir zu Hause anrufe? Ob ich erfreut sei, wollte er wissen. Weniger erfreut, als überrascht. Der Ministerpräsident wolle vor einem Sonderplenum des Landtags eine Regierungserklärung zu BSE abgeben. Davon wolle er mich unterrichten, bevor sie an die Presse gingen. Ob sich der Ministerpräsident sich überhaupt aus der Deckung hervorwage? gab ich zurück. Und ob denn die Gesundheitsministerin Stamm damit gerettet sei, wenn er sich so deutlich vor seine Minister stelle? Am 9. Januar werde nicht über Personalien gesprochen, sondern über Sachpolitik. „So wie immer bei uns“. Da war der Befreiungsschlag auf Kosten der bald Ex-Ministerin wohl schon vorbereitet.

Landtags-Weihnachtsfeier: Gemeinsam Leut ausrichten

Kein Weihnachten ohne eine anschwellende Flut von Feiern. Wenn man halbwegs wichtig sein will, muss man da dabei sein. Eine der wichtigsten, weil aktuellste Infobörse und wertvoller politischer Pegelstandsmesser, ist das alljährliche Weihnachtsessen des Landtags mit den Pressevertretern. Da kann man erleben, wie sehr amtierende und gewesene CSU-Minister ihre Kabinettskollegen als Konkurrenz betrachten und sich kaltlächelnd über deren Fehler und Eigenheiten auslassen. Gerne und genüsslich in Gegenwart des politischen Gegners. So erfährt man, wer machtpolitisch noch dazu gehört, obwohl er schon zurückgetreten ist oder wurde: wie Sauter, der auch nach seiner Entlassung wie selbstverständlich neben den Mächtigen an den reservierten Tischen Platz nahm. Und man erfährt, wer schon weg ist, obwohl er oder sie offiziell noch da sind, wie Noch-Ministerin Hohlmeier im Dezember 2004. Wie immer, wenn solche Stürze erwartet werden, war der Plenarsaal voller fremder Fotografen, gekommen, um ihren Absturz abzulichten. Am Abend bei der Landtagsweihnachtsfeier kamen die CSU-Jungtürken später an unseren Tisch, um sich gleichsam nach vollbrachter Tat Applaus und Bestärkung in ihrem Kampf gegen die bis dahin stärkste Hoffnung der CSU zu holen: Drei künftige Kabinettsmitglieder: sie („wir 94er“) hatten sich zwecks Karrierehilfe zusammengetan, hatten schon Ausschussvorsitze besetzt und wollten nun weiter nach oben. Zwei Meter weiter stand die gerade auch von ihnen angeschossene Hohlmeier, von Journalisten belagert. Warum brauchten diese Buben meine Anerkennung?

Advent, Advent, der Christbaum brennt

„CSU stimmt gegen eigenen Antrag“, lauteten die schönen Schlagzeilen, nachdem wir sie im Dezember 2001 über ihren alten Antrag zu Factory-Outlet-Centern hatten abstimmen lassen. Stoiber hatte damals eine seiner Kehrtwenden hingelegt. Deshalb musste die CSU-Fraktion vor der Beratung unseres Antrags extra eine Fraktionssitzung anberaumen. Im Plenum kam es dann zu einer dreistündigen Debatte, in der vor allem der damalige Wirtschaftsminister überschnappte und ausfällig wurde – nachdem ich ihn permanent mit Zwischenrufen gereizt hatte. Die SZ schrieb am Tag drauf unter „Frohe Weihnacht“ in der Rubrik „Aus der Landespolitik“: „Weil Schnappauf, der immer noch so aussieht wie der Klassenstreber kurz vor dem Abitur, für eine derbe Replik zu zartbesaitet ist, musste ihm sein Kollege Otto Wiesheu zeigen, was so ein richtiger bayerischer Bulldozer ist. Wiesheu wurde durch ständige Zwischenrufe des Grünen-Fraktionschefs Sepp Dürr gereizt und erreichte blitzartig seinen Siedepunkt. ‚Mei, da muss ma doch a bissl leer sein im Kopf, wenn ma so a dusseliges Zeug daherredt’, blaffte der Minister. Als Dürr keine Ruhe gab, äffte ihn Wiesheu vom Rednerpult aus nach. ‚Bähbähbäh’, keifte der Minister in Xanthippen-Tonlage.“ Gute Argumente sind schon was wert.

Virtuelles Weihnachtskrächlein

Nicht immer läuft es so unterhaltsam. Obwohl der erfahrene CSU-Kollege Freller damals auf der Weihnachtsfeier am Abend vorher, als die Stimmung noch völlig ungetrübt war, warnte: In den zwanzig Jahren, die er im Landtag sei, habe es siebzehn Weihnachtskräche im Plenum gegeben. Das war, wie gesagt, kurz vor dem 18. Krach. Damals hat sich die Regel noch mal bewahrheitet. Seitdem sind schon etliche Male beste Gelegenheiten für eine zünftige verbale Rauferei ausgelassen worden. Heuer beispielsweise hatte der CSU-Fraktionsvorsitzende scheinbar alles auf Eskalation angelegt, er hat Fakten verdreht, aufgehetzt und uns Grüne kräftig beschimpft und übel beleidigen und bedrohen lassen – aber alles rein virtuell, nur auf der CSU-Facebook-Seite. Da hat man dann doch den Unterschied gemerkt zum richtigen Leben und einer realen Plenardebatte. Wegen solcher Halbstarker ist der Weihnachtskrach grundsätzlich in Gefahr, ein zahnloser Tiger wie der „Mythos Kreuth“ zu werden: Jedes Jahr vorhergesagt, mit allzu großen, aus einer allzu fernen Vergangenheit gespeisten Erwartungen auf Hauen und Stechen, Krach und Streit. Aber am Ende mehr zitiert als passiert.

Gestern hatten wir wieder einen herrlichen Abend. Bei manchen Terminen, die in meinem Abgeordnetenleben so anfallen, war mir von vornherein, gleich beim ersten Mal klar: Das brauche ich nicht wirklich, aber es doch ganz nett, es mal gesehen, mal dabei gewesen zu sein. Sozusagen aus der touristischen Perspektive. Der Sommerempfang in Schleißheim gehört, wie so manch anderes Staatskultur- und Repräsentationsevent, da mit dazu: Das Schloss als abends schattengebende, prächtige Kulisse, viel Grün und kühlende Wasserspiele; praktisch immer regenfrei, aber selten so heiß und sommerlich wie gestern Abend. Vor allem anfangs hatte ich nicht das Gefühl, auf unserem „eigenen Empfang“ zu sein. Dabei war ich beim ersten Mal immerhin zu einem halben Prozent Gastgeber, und fünf Jahre später hatten sich meine Promille-Anteile noch weiter erhöht, dank Landtagsverkleinerung.

Da bin ich nicht daheim

Später betraf mein Fremdheitsgefühl keine Landtagsveranstaltungen mehr, sondern etwa Empfänge, auf denen ich das Volk oder zumindest Teile davon zu vertreten hatte. Nur zu oft war ich in den ersten Jahren brav da, um zu repräsentieren, aber diese meine Repräsentanz wurde von niemand gewürdigt, weil mich niemand kannte. Ganz stimmt das auch nicht, denn fast immer war jemand aus Germering da, der mich aus Germering kannte. Diese arg regional begrenzte Berühmtheit hat mein Gefühl, deplatziert zu sein, eher noch verstärkt. Nach einer Kulturpreisverleihung in der Residenz kam ich mir „wieder einmal ‚außer Raum und Zeit‘ vor. Von den Fenstern im Erdgeschoß aus wirkt der Opernplatz wie ein Vorzimmer. Als ich draußen bin, blicke ich auf die beleuchteten Fenster zurück. Wie geheimnisvoll das wirkt: Was da wohl stattfindet? Ich war drinnen. Ich weiß jetzt, wie es drinnen aussieht. Es hat Atmosphäre, aber so toll ist es nun auch wieder nicht. Ich muss nicht mein Leben lang Abgeordneter sein. Wenn die Ministerialen oder der Minister selbst ‚Herr Abgeordneter‘ sagen, das hat schon was. Aber so viel auch wieder nicht. Ich kann danach auch wieder was völlig anderes oder gar mein altes machen. Vier Jahre werde ich das noch genießen. Lernen. Und wenn es nicht mehr klappt: ich hab’s gesehen. Ich war drin.“

A dabei

Eineinhalb Jahrzehnte später bin ich immer noch „drin“. Für manche ist es offenbar extrem wichtig, auch drin zu sein. Gerade der Run auf den Schleißheimer Landtagsempfang ist enorm. Es ist scheint‘s auch eine Rangfrage, eingeladen zu werden, dabei zu sein. Wer sich noch wichtiger weiß, muss auch platziert werden. Da hat sich mal ein früherer Präsident der Landeszentrale für neue Medien (BLM) beim Landtagsprotokoll ziemlich unbeliebt gemacht hat. Der hat seine Sekretärin anrufen lassen, er wolle endlich auch platziert werden. Er müsse protokollarisch mit dem Intendanten des Bayerischen Rundfunks gleichgestellt werden. Das sei ein leichtes, hat er als Antwort bekommen, weil der Intendant ebenfalls nicht platziert werde. Protokollfragen kann doch nur jemand wichtig nehmen, der nicht wirklich wichtig ist. Wer öfter auf einen Empfang geht, spürt, dass sich da auch ohne Platzierungsfragen eine Art Ranking vollzieht. Für manchen, der meint, etwas sein zu müssen, wirkt dann auch Schleißheim schmerzhaft, wenn man keine Rolle spielt. Dabei muss man nur lange genug dabei sein, um viele Leute zu kennen und erkannt zu werden.

Man trifft sich zweimal

Je aktueller die eigenen Auftritte sind, je weiter in den Medien verbreitet, manchmal auch: je deutlicher die Ansage, desto mehr und pointiertere Rückmeldungen gibt es. Lustig auch, dass man immer wieder mal Leuten in den Weg läuft, die man kurz zuvor noch scharf kritisiert hat. Wie ich letztes Jahr in Sachen Schottdorf den Verfassungsgerichtspräsidenten. Der gab daraufhin meiner Fraktionsvorsitzenden den Rat: „Bremsen Sie den Dürr ein.“ Prompt treffe ich ihn praktisch als ersten in Schleißheim und versuche als Rechtfertigung, ich hätte mich halt über die Klage Schottdorfs bzw. Gauweilers geärgert, aber auch über seine Reaktion. Er habe sich auch geärgert, meint er, und er könne noch mehr vertragen. Ich will es lieber nicht ausprobieren. Und weil es noch nicht langt, kommt mir einen Schritt weiter auch noch Gauweiler selber in die Quere: Er habe heute schon was von mir gelesen. Schön dass er meinen Blog lese, sage ich, aber er solle mich doch bitte korrekt zitieren. Wegen solcher verbaler Raufhändel, das gebe ich zu, gehe ich immer noch gerne nach Schleißheim.

Volk mit Stil

Meist ist es aber auch die Atmosphäre, die man heutzutage kaum irgendwo anders findet. Die aber immer wieder auch mal gefährdet ist. Bei ein, zwei Fehlgriffen in der Organisation kann sie leicht kippen. Oft ist das Entertainment das Problem, manchmal das angebotene Essen. Vor ein paar Jahren war es mal so weit. Schon die Tombola war nervig. Dreimal musste ein gesponsertes Kollier ausgelost werden, ohne dass sich ein Gewinner fand. Jedes Mal wieder wurde der Name des Sponsors genannt. Wie beim Anpreisen von Schnäppchen im Supermarkt. Dann verfiel die Musik, ohnehin mehr guter Wille als gutes Spiel, ins Gassenhauerhafte. Etliche Unbeholfene, ein paar Freie Wähler, CSU-Hinterbänkler und windige Staatssekretäre versuchten, auf der Schlosstreppe zu tanzen. Mit zunehmendem Alkoholspiegel ging auch noch das eine oder andere Glas zu Bruch. Wie auf dem Dorffest. Auch das Volk und seine Vertretung sollten einen gewissen Stil haben und wahren. Niemand will an einem schönen Sommerabend in Schleißheim sehen, wie kleinkariert der Landtag sein kann.

Wir Grünen sollen uns doch lieber um „grüne Themen“ kümmern. Diesen wohlmeinenden Rat bekommen wir immer dann, wenn wir mit unserer Gesellschaftspolitik anecken und aus dem Mainstream fallen. Vor allem Konservative, die mit uns sympathisieren, bekunden ihre Sorge, wir könnten Leute verprellen, die für ökologische Politik inzwischen ja so aufgeschlossen seien. Da frag ich mich natürlich zum einen, in wessen Namen diese Kritik vorgetragen wird. Und zum anderen, warum unsere ökologischen Argumente und unsere diesbezügliche Überzeugungskraft auf diejenigen schwächer werden sollen, die mit uns doch angeblich „nur“ in der Gesellschaftspolitik im Clinch liegen. Offenbar gibt es da doch einen substantiellen Zusammenhang etwa zwischen unserer Gesellschafts- und Klimapolitik, der gerade dann sichtbar wird, wenn er geleugnet werden soll.

Zwei Hälften oder zwei Seiten?

Was wir Grünen seit jeher als zwei Seiten einer einzigen Modernisierungspolitik sehen, einer sowohl ökologischen wie gesellschaftspolitischen, wurden früher auch von unseren Gegnern en block betrachtet und pauschal als spinnerte Ideen verworfen. Heute hätten manche gern zwei separierbare Hälften: So als könne man unsere weltoffene, emanzipatorische Gesellschaftspolitik einfach wie eine faule Hälfte wegschneiden und danach die überbleibende, für Konservative scheinbar leichter bekömmliche Kost von der „Bewahrung der Schöpfung“ gustieren. Interessant ist dabei nicht zuletzt, mit welcher Heftigkeit da oft unsere gesellschaftspolitische Hälfte ausradiert werden soll. Früher hat sich eine solche Vehemenz gern an Claudia Roth festgemacht. Wir „guten“ Grünen, gab man uns aus CSU-Kreisen zu verstehen, sollten uns von dieser Art von Politik nur deutlich genug distanzieren, dann würde man uns schon liebhaben. Wo wir doch sonst so wertvolle Ideen und Konzepte hätten.

Grüne Selbstbeschränkung: Bitte kein Gedöns!

In ähnlicher Art richten sich solche Ermahnungen immer mal wieder auch an mich, ich möge doch von bestimmten Fragen die Finger lassen. Die Wohlmeinenderen verbinden sie in der Regel mit Lob für meine übrige Arbeit und der Bitte, ich möge mich doch um die wirklich wichtigen Themen kümmern, statt um echte Nazis oder falsche Trümmerfrauen. Warum sind manchen Leuten angeblich unbedeutende Fragen so wichtig, dass sie mich ermahnen? Da geht es um Gewichtung und damit um die politische Ausrichtung grüner Politik. Etwa in der Art, mit der mal unser gerade ins Amt gepurzelter Miesbacher Landrat zugespitzt und selbstzufrieden behauptet hat, wir bräuchten mehr Kretschmann und weniger Trittin. Das sollte wohl heißen: mehr pragmatisches und weniger ideologisches Handeln und Reden. Aber vielleicht auch: mehr bewahrende Umwelt- und weniger beunruhigende Gesellschaftspolitik. Ich war mir schon damals, als die Flügel noch was bedeuteten, sicher, dass wir beides brauchen, das pragmatische Handeln und das vorausschauende Kritische, dass wir also Realos und Fundis sein müssen, je nachdem, was gerade am vielversprechendsten ist.

Antworten auf Probleme der Globalisierung

Nur auf einem Bein können wir nicht stehen. Wir wären gar nicht mehr wahrnehmbar als Grüne. Mehr noch: das eine wird ohne das andere gar nicht funktionieren, d.h. nur wenn wir beim situativen Handeln einigermaßen Kurs halten und wissen, wohin wir wollen, werden wir auf Dauer erfolgreich sein – und umgekehrt. Sowohl die gesellschaftspolitischen Fragen, mit denen wir angeblich die „Bevölkerung gegen uns aufbringen“, wie unsere ökologischen Interventionen verdanken sich derselben Ausgangslage, nämlich den großen Veränderungen der Globalisierung. Teile der Menschheit sind heute in der Lage und bereits dabei, den Planeten zu Lasten aller zu ruinieren bzw. die Lebensbedingungen auf einem Großteil der Erde sowie für die Künftigen drastisch zu verschlechtern. Darauf müssen wir einerseits zeitgemäße, also die Globalisierung gestaltende Antworten finden – zeitgemäß im Unterschied und sogar gegen die gängige populistische, aber hilflose Politik des Abschottens, Kopf-in-den-Sand-Steckens, Privilegien-Verteidigens, Unrecht-Leugnens, kurz eines globalen, europäischen oder bayerischen insularen Egoismus.

Ökologische Fragen sind Gerechtigkeitsfragen

Damit ist andererseits klar, dass mögliche Antworten zusammenhängen: Hoffen wir darauf, die Privilegien von vergleichsweise Wenigen verteidigen zu können, oder treten wir für die Rechte der Vielen ein? Wie schaffen wir einen Ausgleich? Die großen ökologischen Fragen werden wir nicht lösen, wenn wir uns nicht mit den ungelösten Gerechtigkeitsproblemen sowie den Forderungen nach global geltenden Menschenrechten befassen. Dazu gehört dann die Anerkennung gleichwertiger Ansprüche (Minimumstandards, ökologischer Fußabdruck, Wirtschaften auf Pump etc.). Die wiederum setzt voraus, dass wir uns auch mit dem real existierenden Rassismus und seiner hiesigen Vorgeschichte, der Nazi-Vergangenheit auseinandersetzen. Gleichzeitig bedeutet das, wie schon seit unseren Anfängen als Partei, radikale Gerechtigkeitsfragen zu stellen und uns nicht mit scheinbar bequemen Antworten abspeisen zu lassen. Das ist schwierig und oft unangenehm, weil wir da immer wieder anecken müssen, und dabei haben wir es doch gern auch mal gemütlich. Aber damit die Welt insgesamt ein wirklich gemütlicher Ort wird, müssen wir noch sehr viel streiten, fürchte ich.

Wer Fernsehgrößen im richtigen Leben trifft, wundert sich häufig, wie klein sie wirken, wenn sie einem leibhaftig gegenüberstehen (Ich erinnere nur an mein Erlebnis auf dem Freisinger Wochenmarkt: „Sepp Dürr – der Kleine da?“). Das ist das Schöne an Bildern: die rein körperliche Größe ist ihnen egal, daher hätte auch ich eine Chance gehabt, groß rauszukommen. Prinzipiell jedenfalls. Und mehr kann man in unserer gegenwärtigen Demokratie auch nicht erwarten: jede/r hat zumindest theoretisch eine Chance. Praktisch sieht das dann ganz anders aus.

Schneebergers Glanz
Aber ich wollte ja nicht von mir erzählen, sondern von Gisela Schneeberger. Denn Hermann Unterstöger hat in der „SZ am Wochenende“ in seiner Rubrik „Modernes Leben“ an zweierlei erinnert: An die wahre, von ihm selber verschuldete Geschichte „Wie wir die Gisela lange für die Gisela hielten“ und daran, dass Frau Schneeberger 65 geworden ist. Da kann ich doch dann auch mein glorreiches, von mir unvergessenes Schneeberger-Erlebnis berichten (und mich wie Unterstöger kurz im Glanze ihres Namens sonnen).

Well weiß was
Schon vor Jahren, als ich Fraktionsvorsitzender wurde, habe ich Hans Well kennengelernt, von der weiland Biermösl Blosn. Eigentlich kannte ich ihn schon aus dem Fernsehen und von der Schule unserer Kinder. Denn er wohnt bei uns draußen auf dem Lande. Aber dann als Fraktionsvorsitzender kannte ich ihn natürlich noch viel mehr. Allerdings kannte er auch den damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und der kannte ihn natürlich noch viel mehrer. Jedenfalls kennt Hans Well auch die Film- und Fernsehschauspielerin Gisela Schneeberger, und beide machten zusammen mit betroffenen Bauern in Zeiten der BSE-Krise eine Pressekonferenz, in Sachen Sorgen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Da bin ich hin, um zu hören, was sie sagen.

Fernsehstars unter sich
In der Wirtschaft am Platz vor der Oper sollte die Pressekonferenz stattfinden, im ersten Stock. Da ging doch glatt Gisela Schneeberger vor mir die Treppe hoch. „Grüß Gott“, sage ich. „Wir kennen uns“, sagt sie. „Glaub ich nicht“, sag ich und stelle mich vor: „Sepp Dürr, Grüne Landtagsfraktion“. Da sagt sie: „Dann kenn ich Sie aus dem Fernsehen.“ Da muss ich wirklich lachen: „Das hätte ich von Ihnen nie gesagt.“ Ausgerechnet ein Fernsehstar sagt den Spruch „Ich kenn Sie aus dem Fernsehen“, den sie vermutlich nicht mehr hören kann, ausgerechnet zu mir. Das war aber dann schon der Höhepunkt meiner medialen Berühmtheit. Die Karriere Gisela Schneebergers ging zum Glück weiter.

Die FDP im bayerischen Landtag hatte etliche Ausfälle, Angeber, Ahnungslose und andere schwer zu ertragende Charaktere, aber auch ein paar gute Leute wie z.B. den Haushaltspolitiker Karsten Klein. Mit ihm konnte ich im Untersuchungsausschuss zum Kauf der HGAA durch die Landesbank zwar nur indirekt, aber trotzdem gut zusammenarbeiten. Leider hat die FDP dann die Ex-Granden der CSU Huber, Beckstein, Schmid usw. zwar der Pflichtverletzung schuldig befunden, aber aus falscher Rücksicht gegen den Koalitionspartner und gegen besseres Wissen nicht der groben Fahrlässigkeit. Damit sind die Herren Pfuscher ohne Klage davon gekommen. Die FDP aber hat eine weitere Gelegenheit verpasst, sich als Korrektiv der CSU unentbehrlich zu machen.

Für Zeil war die Legislatur zu kurz
Der gerade noch Wirtschaftsminister und ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Martin Zeil war als Redner schwer zu ertragen. U.a. wegen seiner lähmenden Langsamkeit. „Dem kannst du unter dem Gehen die Schuhe aufdoppeln“, diese bayerische Redewendung scheint wie geschaffen für ihn. Er kam nur schwer in die Gänge. Aber Ende Oktober 2008, bei den ersten Plenarsitzungen plusterte er, der sonst so freundlich Unscheinbare, sich in seiner neuen Funktion als Regierung unerträglich auf, schon zu Beginn so von oben herab und arrogant wie Erwin Huber in seinen letzten Tagen. Er führt uns, hab ich damals notiert, „vor Augen, dass für seine Partei nur die Bundespolitik zählt. Ihre Strategie lautet: Wenn sie da erfolgreich sind, sind sie es auch in Bayern, d.h. alle bayerischen Entscheidungen dienen nur dem höheren Zweck.“ Die CSU war mit der umgekehrten Strategie deutlich erfolgreicher.

Zeil konspirativ
Auch wenn er mich als Minister nicht wiedererkannte, hatten wir doch eine kleine Vorgeschichte. Im März des Wahljahres habe ich mich, noch als Fraktionsvorsitzender, mit ihm, dem FDP-Spitzenkandidaten, getroffen. Ich dachte, ich fahr einfach mal schnell von Germering rüber nach Gauting. Aber er wollte sich mit mir nicht dort treffen, sondern in der Stadt im „Mariandl“, in dem er in seiner Studentenzeit oft war – und vermutlich seitdem nicht mehr. „Er spricht (und denkt?) sehr langsam, hört sich gerne zu. Kein Stimmenfänger, sondern eher ein Staubfänger. Hauptsache, die Stimmen, die von der CSU wegwollen, können irgendwo hin“, lautete mein damaliges Urteil. Ich hab ihm dann mein oberstes Anliegen gesagt: dass wir beide unsere Angriffe auf die CSU konzentrieren, da wir doch ein gemeinsames Ziel hätten. Das sah auch er so. Er sei schon „dafür gescholten worden, dass er die Konkurrenz nicht angreift“. Wir vereinbaren, lockeren Kontakt zu halten und uns bei Bedarf anzurufen.

Dilettant Heubisch
Der bald ehemalige Wissenschafts- und Kulturminister, mit dem ich am meisten zu tun hatte, Wolfgang Heubisch ist ein netter Kerl, meist gut gelaunt und zum Vergnügen aufgelegt. So hat er auch Kulturpolitik betrieben, als ob er ein kostenloses Dauerabonnement und einen Anspruch auf Amüsement hätte. Darin war er ein Dilettant auch im besten, klassischen Sinne. Sein größter Erfolg war, im Amt zu sein – und den hat er täglich genossen. Manchmal hat mich das genervt. Im März 2009 notiere ich empört: „Ein altes CSU-Mehrheitsgesetz lebt fort. Heubisch zeigt, dass ein Minister auch heute noch ohne Argumente auskommt. Um den Beifall der Seinen zu gewinnen, muss er keine Ahnung haben, nur die Macht.“ Aber persönlich bin ich, kein Wunder bei seinem Naturell, mit ihm sehr gut ausgekommen. Er als Politiker, das war auch ein Missverständnis.

Hamm-Brücher übergibt an Bause
Bereits 2006, zwei Jahre vor der Landtagswahl, hatte ich zu einem meiner „Flurgespräche“ die Grande Dame der FDP Hildegard Hamm-Brücher eingeladen. Diese Veranstaltungsreihe war der Versuch, Bewegung in die politische Landschaft zu bringen und mit möglichst vielen unterschiedlichen Kräften ins Gespräch zu kommen. Sie sprach druckreif, war als Erscheinung beeindruckend. In der Diskussion mit Margarete Bause ging es um die bayerische Bildungspolitik und die großen, seit Jahrzehnten bestehenden Schwierigkeiten, sie zu modernisieren. Am Ende hat sie Margarete ein älteres Büchlein von ihr geschenkt, mit Widmung, also gleichsam den Stab an sie übergeben.

Minister ohne Macht in der Tiefgarage
Am Wahlsonntag um halb sechs habe ich Zeil und Heubisch in der Landtagstiefgarage getroffen. Sie haben dort bei offener Eingangstür gewartet, vielleicht auf die bayerische Parteivorsitzende. Sicherlich hatten sie schon die erste deprimierende Vorausschätzung der Meinungsforschungsinstitute, was mir aber in dem Moment nicht klar war. Ich hab sie halt spontan und in der berüchtigten bayerisch-charmanten Art angespitzt: „Auf was wartet Ihr? Auf bessere Zeiten?“ Das hat mir im Nachhinein sofort leidgetan. Andererseits finde ich es auch schon wieder lustig, wie zielsicher ich da ins Fettnäpfchen getappt bin. Und es kommt ja auch nicht jeden Tag vor, dass man einen derart rapiden Machtverfall aus nächster Nähe mitbekommt.

Günther Beckstein den persönlichen Respekt zu verweigern ist nicht einfach, wenn nicht gar unmöglich. Ich weiß es, denn ich habe es lange mit aller Kraft versucht. Ich wollte ihm den selbstgerechten, gnadenlosen Exekutor und Hetzer gegen die Schwächsten unserer Gesellschaft nie verzeihen. Da kam er mir mit seiner protestantischen Demut, dem demonstrativ auf der Schädeldecke getragenen Hörgerät und seiner folgenlosen Selbstkritik nach seiner Demission oder im Landesbank-Untersuchungsausschuss gerade recht. Aber ich hab es nicht durchgehalten, denn bei Beckstein geht es nicht um Verlogenheit. Bei ihm hat das eine mit dem anderen tatsächlich nichts zu tun.

Scharfmacher ade
Wenn er jetzt geht, nach dieser letzten Sitzungswoche im Landtag, wird die Erinnerung außerhalb Frankens und der protestantischen Gemeinde vielleicht schnell verblassen. Viele wissen ja heute schon nicht mehr, was für ein Scharfmacher er war. Dafür waren die tollpatschigen Auftritte an der Seite seines Tandempartners Erwin Huber einfach zu dominant. Als Innenminister hat Beckstein in preußischer Gnadenlosigkeit den Buchstaben des Gesetzes durchexerzieren lassen. So sehr die Bayern diese Inhumanität im Einzelfall nicht verstanden, so sehr schätzten sie die generelle Abschottungspolitik. Das galt im übrigen auch für Beckstein selber: Er war sozusagen seine eigene Härtefallkommission – deren Einrichtung als Institution er immer verhinderte. Aber wer sich mit einem Einzelfall an ihn wandte, konnte mit offenen Ohren rechnen. Hilfsbereit, ganz ohne Heuchelei.

Kein Unmensch
Als ich noch relativ neu im Landtag war, kam bei Landtagsempfängen Beckstein praktisch regelmäßig am späten Abend an unseren grünen Tisch, bei halb leerem Saal – zum, Protestant verzeih, horribile dictu, Ablassbeten. Er hält es nicht aus, für ein inhumanes Schwein zu gelten, wo er doch allerchristlichst nur das Beste für die Gemeinschaft macht und ausschließlich aus Verantwortungsgefühl die Härte nicht scheut. Er ist doch kein Unmensch. Genau darin hielt ich ihn damals für „gefährlich. So aus der Nähe ist es schwer, ihn so ekelhaft zu finden und zu behandeln, wie er ist und es verdient.“ Vermutlich ist es diese „Ehrlichkeit“, die noch heute Menschen an ihm beeindruckend finden: dass er keinen Widerspruch sah und die Ausweisungspolitik genauso konsequent betrieb wie den Kampf um Einzelschicksale.

Doppelspitze und Tandem
Dieser „Ehrlichkeit“ und „Einfachheit“ kann selbst ich den Respekt kaum verweigern. Meine Frage ist nur: Was, bitte, machte der gute Mann all die Jahre in der Politik? Beckstein ist – zutiefst unpolitisch und darin manchmal entwaffnend naiv. Ich will nicht alles aus meinem Nähkästchen ausplaudern, nur was zum Verständnis notwendig ist: Im Mai vor der letzten Landtagswahl waren wir zwei grüne Fraktionsvorsitzende in die Staatskanzlei geladen, zum Zeichen eines „neuen Stils“ nach Stoiber. Was ihn von Anfang an wirklich interessiert hat und worauf er immer wieder zurückkam, selbst als wir auf andere Themen lenken wollten, war die Frage, wie Doppelspitze bei uns funktioniere. Er sei mit Erwin lange eng befreundet gewesen. Die Konkurrenz in der Nachfolgedebatte sei etwas ganz Normales gewesen. Heute wüssten sie, dass sie nur zusammen Erfolg haben könnten. Aber trotz der großen Harmonie hatte er viele ernst gemeinte Fragen nach den Abstimmungsprozessen, mit denen unsere Doppelspitze offenbar funktionierte.

Ein unbedarfter Plapperer
Es stand noch eine vierte Tasse da. Auf meine Nachfrage, für wen die denn gewesen sei, hat er uns lang und breit erklärt, dass es „im Amt“ regelrechte Besprechungen gab, wer denn nun bei unserem Gespräch dabei sein müsse, sein persönliches Büro oder der Landtagsbeauftragte. Undenkbar war ein Gespräch ohne Amt. Deshalb habe er nochmals nachfragen lassen, ob wir allein kommen, und dann entschieden, uns auch allein entgegenzutreten. Schließlich, habe er entschieden, seien wir ja „nur Grüne, keine Gangster“.
Beckstein wollte geliebt werden, er suchte Aufmerksamkeit und Anerkennung selbst bei uns, der Opposition, und plapperte vielleicht deshalb so viel. Mindestens dreimal in eineinhalb Stunden hat er sich eine integre Persönlichkeit bescheinigt, immer mit dem Verweis darauf, dass wir ihn für einen harten Hund halten mögen, aber … Sozusagen fishing for dementi. Aber damit ist er bei uns an die Falschen gekommen. Von uns kein Ton. Einmal auch ein harter Hund sein …

Leise Servus
Nach der Landtagswahl meinte ich die Erleichterung zu spüren, mit der Beckstein wieder aus der allerersten Reihe zurücktrat. Ein paar Wochen später hab ich ihn in der Landtagsgaststätte (nicht der „Landtagskantine“ – die ist ausschließlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landtagsamtes vorbehalten) getroffen. Als er freundlich grüßte, bin ich auf ihn zugegangen und hab ihm viel Glück gewünscht. Daraufhin konterte er locker aus der Hüfte: „Ich muss jetzt wieder lernen, selber zu essen.“ Ich hab ihm, falls benötigt, Hilfe zugesagt. Dazu stehe ich auch heute noch.