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Neonazis

Rechte und Rechtsextreme aus allen Winkeln Deutschlands regen sich auf über unsere Aktion gegen staatliche Geschichtsfälschung – http://www.sepp-duerr.de/front_content.php?client=1&lang=1&idcat=32&idart=1711&m=&s=. Aber es empören sich auch etliche, die sich selber für „gutbürgerlich“ halten und meinen, sie müssten ihre Mutter oder Großmutter verteidigen. Auch wenn die niemand angegriffen hat. Und sogar einzelne Grüne kritisieren lieber den „Stil“ unserer Aktion als den Versuch staatlicher Geschichtsfälschung. Die Emotionen kochen hoch, denn es ist ein klassischer Kulturkampf: Es geht um die Frage, wie wir sein wollen und wer dafür unsere Vorbilder sein könnten.

Weder kollektive Schuldzuweisung noch kollektive Ehrung
Die Demokraten in allen Parteien einschließlich Kultusminister Spaenle sind sich einig, dass Nazis sowie Kollaborateure und Profiteure des Nazi-Regimes wie etwa Wernher von Braun dafür nicht als Vorbilder in Frage kommen – http://gruenlink.de/oc3. Alle sind sich auch einig, dass es keine Kollektivschuld an den Naziverbrechen gibt, sondern dass wir, wenn wir uns das überhaupt anmaßen wollen, individuell beurteilen müssen, ob sich jemand richtig oder falsch verhalten hat. In den meisten Fällen wird es ohnehin beides sein. Aber ein „Schlussstrich“ und genereller Freispruch für eine ganze Generation ist ebenfalls völlig unverantwortlich. Deshalb fordern wir in unserer Aktion „den Richtigen ein Denkmal“ zu setzen, also nicht pauschal einer ganzen „Aufbaugeneration“. Der demokratische Aufbau hat in unserem Land ohnehin viele Jahrzehnte gedauert – und er ist noch nicht zu Ende.

Es gab in München kaum Trümmerfrauen
Erst recht wollen wir kein Denkmal für Nazis sozusagen in Trümmerfrauen-Verkleidung. Es geht bei unserem Protest, und das kann jeder, der will, leicht erkennen, eben nicht um die Frage, was Trümmerfrauen in Berlin oder anderswo tatsächlich geleistet haben. Es geht um München. Und in München, darüber sind sich die Historiker einig und das räumt auch Spaenle in seiner Antwort ein, gab das, was man unter Trümmerfrauen versteht, nicht. Denn hier wurden die Trümmer hauptsächlich von Unternehmen, also Männern, weggeräumt. Bei den Aktionen, bei denen kein Arbeitslohn gezahlt wurde, waren von 1500 Eingesetzten nur 200 Frauen – und selbst unter diesen waren kaum Freiwillige. Denn 90 Prozent wurden zwangsverpflichtet, weil sie früher in Nazi-Organisationen waren. Wer in München Trümmerfrauen ehrt, ignoriert bewusst die Fakten.

Missbrauchte Trümmerfrauen
Das Perfide ist also, dass es bei diesem Denkmal überhaupt nicht um Trümmerfrauen gehen kann, weil die in München – anders als in anderen Städten – keine öffentlich organisierte Rolle spielten. Spaenle und sein Verein missbrauchen die Frauen, um der „Aufbaugeneration“ zu danken, und das ist eben genau die Generation, in der viele mitverantwortlich sind dafür, dass es überhaupt was aufzubauen gab. Es gibt keine Kollektivschuld, aber es darf eben genauso weder kollektiven Freispruch noch generationenübergreifende Ehrung geben. So wenig die „68er“ pauschal ihre Väter beschuldigen durften, dürfen die Enkel heute ihre Großmütter generell freisprechen. Und auch die Leistung einzelner Großmütter rechtfertigt kein Denkmal für die ganze Generation. Wer an das Nachkriegsleid und die Aufbauleistungen erinnert, ohne einen Zusammenhang zur Vorgeschichte herzustellen und zum unsäglichen Leid, das Nazi-Deutschland über Millionen anderer gebracht hat, verzerrt die Verhältnisse auf unerträgliche Art und Weise.

Gegen staatliche Geschichtsfälschung
Die CSU versucht in München schon seit langem und bisher vergeblich, ihre Art der Geschichtsdeutung durchzusetzen. Dabei hilft ihr jetzt der Münchner Abgeordnete Spaenle, der gleichzeitig Kultusminister ist und bedenkenlos staatliche Mittel einsetzt: Es gibt ein staatliches Grundstück für den von CSU-Mitgliedern getragenen Verein, Spaenle war bei der Einweihung des Denkmals mitten im öffentlichen Raum dabei, und jetzt lässt er auch noch die Geschichtsklitterung auf verschwurbelte Art durch sein Ministerium (Antwort vom 22.11.13 auf meine Anfrage vom 10.9.13) und sogar den Pressesprecher des Ministeriums rechtfertigen. Deshalb ist der Kampf um die Geschichtsdeutung so wichtig. Weil ohne unseren Widerstand aus dieser offiziösen bald eine offizielle Erinnerungspolitik wird. Wer sich empören will, soll das doch bitte nicht über den „Stil“ unserer Aktion tun, sondern darüber, dass sie wegen des „Denkmals“ und der versuchten Geschichtsfälschung überhaupt nötig war.

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Nichts ist stärker als einmal verfestigte Mythen. Glaube, Liebe und Hoffnung waren aber 1972 auch extrem groß, dass diese Olympischen Spiele in Deutschland so ganz anders werden als die Nazi-Propagandafeiern 1936 in Berlin. Diesen Mythos hat man sich auch von einem der blutigsten Attentate auf bundesrepublikanischem Boden nicht kaputt machen lassen. Von Brundage stammt der berühmt-berüchtigte Spruch: „The games must go on“. Das galt und gilt auch für die kollektive Autosuggestion: Der Mythos lebt weiter.

Die große Mehrheit der medialen Rückblicke dieser Tage strickt noch an der Legende von den „heiteren Spielen“. Dagegen können gelegentliche Geschichten von Pfuschen und Vertuschen, Terror und Tod nichts ausrichten. Vor allem der Spiegel – http://www.spiegel.de/politik/deutschland/olympia-1972-behoerden-vertuschten-ausmass-ihres-versagens-a-845721.html – und in seinem Gefolge gelegentlich auch die Süddeutsche Zeitung – http://www.sueddeutsche.de/politik/deutsche-behoerden-beim-olympia-attentat-muenchen-erst-versagt-dann-vertuscht-1.1419360 – haben versucht, die beiden Erzählstränge miteinander zu koppeln: „Es war den deutschen Behörden bekannt, dass Gefahr von Terroristen drohte. Doch die Verantwortlichen wollten sich ihre Idee von einem Olympia ohne Stacheldraht und Maschinenpistolen wohl um keinen Preis zerstören lassen“ („Tod und Spiele“, SZ 25.8.12).

Statt die Fehler der Vergangenheit die von heute korrigieren

Wir müssen jetzt nicht darüber reden, was man damals alles falsch gemacht und wie man es hätte richtig machen müssen. Das ist wirklich Schnee von gestern. Die Frage ist: Was läuft heute falsch? Die Neigung, die Vergangenheit der noch relativ jungen Demokratie in mildem Licht erscheinen zu lassen, ist nur allzu verständlich. Hat man doch wegen des „Tausendjährigen Reichs“ und seiner blutigen Spuren, die es in Deutschland und der ganzen Welt hinterlassen hat, genug Leichen im Keller. Schon in den 70er und 80er Jahren wollten gerade bayerische Regierungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, wie massiv rechtsextremer Terror wieder präsent war. Das Oktoberfest-Attentat –http://www.gruene-fraktion-bayern.de/themen/oktoberfestanschlag-gruene-fordern-wiederaufnahme-der-ermittlungen – und eine Reihe von Morden in den 80er Jahren, bei denen die Mörder jeweils aus dem Umfeld der sogenannten „Wehrsport-Gruppe Hoffmann“ kamen, hat man damals wie heute lieber „Einzeltätern“ zugeschrieben.

Verhängnisvoll: Rechter Terror bis heute unterschätzt

Nun hat der Spiegel – http://www.spiegel.de/panorama/justiz/muenchen-1972-deutsche-neonazis-halfen-olympia-attentaetern-a-839309.html – einmal mehr darauf hingewiesen, dass deutsche Neonazis beim Olympia-Attentat kräftig Hilfe leisteten. Auf unsere Anfrage – http://gruenlink.de/bcvreagiert die Regierung merkwürdig defensiv, nur darauf bedacht, Fragen und Kritik abzuwehren. Sie will es lieber nicht so genau wissen.

Eine gefestigte, selbstbewusste Demokratie hätte damals weniger verbissen an der Illusion der „heiteren Spiele“ festgehalten und mehr in Gefahrenabwehr investiert. Aber sie muss wenigstens heute aufklären, welche Rolle dabei Bürger aus ihrer eigenen Mitte dabei gespielt haben. Denn mit der Beteiligung von deutschen Neonazis war das Attentat kein außerirdisches oder wenigstens außereuropäisches Ereignis mehr. Verhängnisvoll ist, dass die Regierung immer noch so tut, als sei rechter Terror nichts, was mit Bayern zu tun hat. Da haben offenbar auch die fünf Morde des rechtsextremen „NSU“ in Nürnberg und München nichts geändert.