Archiv

Medien

Es wird derzeit viel geklagt über den aktuellen Zustand unserer Demokratie, und wie sehr er sich angeblich verschlechtert. Natürlich lösen auch bei mir nicht alle neueren gesellschaftlichen oder politischen Entwicklungen Begeisterung aus. Aber ich sehe absolut keinen Grund, die alte, erkennbar implodierende Variante von Demokratie zu idealisieren. Besondere Blüten treibt diese merkwürdige Nostalgie jetzt kurz vor Torschluss, wenn beispielsweise die Süddeutsche Zeitung dem Zerfall der CSU ein wehklagendes Dossier widmet. Sebastian Beck versteigt sich gar zu solch gewagten Windungen: „Die Gesellschaften spalten sich in Special-Interest-Gruppen auf … In der politischen Mitte aber, wo einst die Kompromisse geschlossen wurden, dort ist es plötzlich leer.“ Das ist aus meiner Sicht ein arg verkürztes Demokratieverständnis. Aber dazu später.

Leben lassen

Denn Beck setzt zum Schluss noch eins drauf, da wird es dann richtig dramatisch: „Leben und leben lassen – damit ist es erst einmal vorbei.“ Vielleicht bin ich da eine Spur überempfindlich. Denn mit mir hat in diesen zum Glück untergehenden guten alten Zeiten niemand „Kompromisse geschlossen“. Und „Leben und leben lassen“ ist seit Jahrzehnten mein persönliches politisches Motto, auch jetzt wieder auf meinem Wahlkampf-Flyer, aber es war immer gegen den Monopolanspruch der CSU gerichtet. Ich wollte halt auch leben. Ich wollte in Bayern leben, und zwar so, wie ich wollte. Und da bin ich halt nicht allein in diesem Land. Wir sind immer mehr geworden, die nicht nach anderer Leute Pfeife tanzen – oder Tanzen verboten bekommen wollen. Deshalb ist auch die Erklärung Becks für den Niedergang der CSU viel zu kurz gesprungen: „Auch weil die Kluft zwischen Stadt und Land immer größer wird“. Meiner Erfahrung nach ist das Gegenteil richtig: die Landbevölkerung kommt heute rum in der Welt; sie lebt halt auch nicht mehr hinter dem Mond oder brav nach den Vorgaben von Altvorderen und Tonangebern.

Bayern ist auch unsere Heimat

Deshalb habe ich beispielsweise im Dezember 2011, auf unserem Heimatkongress in Regensburg – http://www.sepp-duerr.de/heimat-eine-politische-aufgabe/, versucht, den „Heimatbegriff, mit dem die CSU lange erfolgreich gearbeitet hat“ zu zerlegen: „Die CSU hat eine Mehrheit gebildet, indem sie Minderheiten der bayerischen Bevölkerung ausgegrenzt hat. Erst durch die Ausgrenzung von angeblichen Ausländern, Grünen, oder sonst wie Abweichenden hat sich diese „Mia san mia“-Mehrheit, die frühere Mehrheit der CSU, gebildet. Und genau deshalb funktioniert Mehrheitsbildung durch Ausgrenzung nicht mehr: Weil die Minderheiten, die früher ausgegrenzt oder als Bürger zweiter Klasse behandelt werden konnten, sichtbar die Mehrheit der Bayern ausmachen. Das beste Beispiel dafür ist die Landratswahl in Regen. Warum konnte da ein sehr junger, schwuler, evangelischer Sozialdemokrat triumphieren? Weil Frauen, Eingewanderte, Menschen, deren Eltern eingewandert sind, die nicht heterosexuell verheiratet oder nicht in der CSU sind, heute die mehreren und die schwereren sind.“ Das mag manchem damals noch prophetisch – oder noch merkwürdiger – vorgekommen sein, heute nicht mehr.

Platz für mehr Demokratie

Was nun die scheinbar so konsensuale alte Demokratie angeht: Im Jexhof läuft derzeit eine Sonderausstellung „Zwischen Disco, Minirock und Revolte: die 70er“ https://www.jexhof.de/index.php?id=55. Da sind auch Fotos und „Archivalien“ (z.B. ein Millikübel) von mir ausgestellt. Und im Begleittext schildere ich mein damaliges Lebensgefühl: „Für mich wie viele andere waren die 70er Jahre eine Zeit des Ausbruchs aus der dörflichen Enge, des persönlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs, neuer Erfahrungen und Experimente. Die ersten Jahre wollte ich nur ‚furt‘: raus von zu Haus. … Täglich hör ich: ‚Geh zum Friseur!‘ Eigentlich wollten wir eher unkonventionell, also unpolitisch sein. Aber schon auf die kleinste Kritik kam: ‚Geh doch nach drüben!‘“ Deshalb war die alte „Demokratie“ für mich immer kritikwürdig: Kinder, Jugendliche, Frauen, Andersdenkende und Kleinhäusler hatten nichts zu sagen, nicht am Familientisch, nicht am Stammtisch, schon gar nicht öffentlich. Da ist es mir heute deutlich lieber, wenn jeder Ansprüche anmeldet – und seien sie den meinen auch noch so entgegengesetzt. Und wenn wir dann die Kompromisse nicht klammheimlich in „der politischen Mitte“ schließen, sondern öffentlich und transparent, kommen wir einer echten Demokratie schon deutlich näher.

Werbung

Erst Handeln, dann Denken, meint die FDP: „Digital first, Bedenken second“. Die Vorteile der Digitalisierung – für Wirtschaft wie Konsumentinnen und Konsumenten – sind so offensichtlich, dass viele die vermuteten oder längst wahrnehmbaren Nachteile hintanstellen: Verlust oder Beeinträchtigungen von Datenschutz und Medienfreiheit, Privatsphäre und demokratischer Öffentlichkeit, informationeller Selbstbestimmung oder Konzentrations- und Wahrnehmungsfähigkeiten. Die Digitalisierung verändere unsere Welt so grundlegend wie die industrielle Revolution vor 150 Jahren, heißt es. Aber die war, wir erinnern uns (z.B. eher kapitalfreundlich: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/oekonomie-seiten-die-die-welt-veraenderten-1.3664756), auch kein reines Zuckerschlecken. Deshalb müssen wir auf Folgen, Begleiterscheinungen und Rahmenbedingungen des digitalen Ausbaus mindestens so viel Wert legen wie auf dessen Geschwindigkeit. Dabei zeigt sich schnell, dass wir so manche Grundsatzfrage nicht geklärt und noch keine geeigneten Konzepte haben, um elementare Grundrechte und andere unerlässlichen Bestandteile einer funktionierenden Demokratie zu gewährleisten.

Freiheiten in Sicherheit genießen

Wir Grünen wollen ja, „dass Bayern das digitalste Bundesland wird, in dem Menschen die Chancen der Digitalisierung sicher nutzen können“ – https://katharina-schulze.de/digital-aber-richtig/. Davon sind wir in jeder Hinsicht weit entfernt, was Ausbau wie Sicherheit angeht. Unsere Reise nach Tallinn und Helsinki – http://www.sepp-duerr.de/3057 – hat uns nicht nur Chancen, sondern Grenzen und Gefahren des digitalen Versprechens gezeigt. So haben sich die estnischen Erwartungen auf mehr Partizipation und höhere Beteiligung dank Online-Wahlmöglichkeiten nicht erfüllt. Dagegen hat uns die weitgehende Sorglosigkeit in Hinblick auf Missbrauch der digitalen Möglichkeiten beunruhigt. Die immer schnellere Sammlung und Zentralisierung von Daten, etwa durch bargeldloses Zahlen, z.B. in Läden, Kneipen, Verkehrsmitteln und beim Parken, durch ID-Card und E-Government, führen zu großem Komfort, aber auch zu riesigen Risiken. Das hat sich eben noch mal bestätigt: http://www.sueddeutsche.de/politik/treffen-in-tallinn-leise-unsichtbar-und-massiv-1.3657046; https://www.heise.de/newsticker/meldung/Estland-Sicherheitsluecke-in-fast-750-000-ID-Cards-3822597.html. Das dort herrschende große Vertrauen in „unseren Staat“ und die Sicherheit des staatlich-privaten Systems teilen wir aus guten Gründen und u.a. unseligen Erfahrungen mit Überwachungsstaaten nicht.

Kinder in der digitalen Welt

Mindestens so fragwürdig sind die großen finanziellen Anstrengungen von Bundes- und bayerischer Regierung, Computer und Tablet im Unterricht durchzusetzen. Daher fordern manche eine Denkpause: „Es ist Zeit, dem reflexhaften Ruf nach der digitalen Schule eine pädagogische Reflexion entgegenzusetzen“ – http://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitales-geraeteturnen-1.3668070. Denn „die Schülertests Iglu und Timss belegen, dass Grundschüler, die mindestens einmal pro Woche Computer im Unterricht nutzen, in einigen Fächern niedrigere Kompetenzen zeigen als Grundschulkinder, die seltener vorm PC sitzen.“ Auch das „Bündnis für humane Bildung“ kritisiert den Milliarden-schweren „Digitalpakt#D“ der Bundesregierung als „Irrweg der Bildungspolitik“. Der Medientheoretiker Ralf Lankau beruft sich dabei auf Studien und OECD (Andreas Schleicher: „Wir müssen es als Realität betrachten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt“) und folgert: „Wer Bildungsprozesse ermöglichen will, verzichtet möglichst lange und vor allem in der Grundschule auf Bildschirmmedien“ https://www.heise.de/tp/features/Technologie-in-unseren-Schulen-schadet-mehr-als-sie-nuetzt-3766725.html. Aber die „digitalen Medien sind immer früher Teil der Lebensrealität unserer Kinder“. Deshalb müssen Bildungseinrichtungen trotzdem adäquat auf die Digitalisierung antworten können. Dafür brauchen sie vor allem Zeit und geschultes Personal.

Die virtuelle gehört zur wirklichen Welt

Regelmäßig online sind von „den 3-Jährigen fast jedes 10. Kind, bei den 6-Jährigen fast ein Drittel, bei den 8-Jährigen gut die Hälfte.“ Doch deshalb sind sie alles andere als „Experten“. Stefan Aufenanger hat auf der Jahrestagung 2014 der Deutschen Liga für das Kind (http://liga-kind.de/zeitschrift-fruehe-kindheit/) darauf hingewiesen, dass „genau die ‚digitale natives‘ eben nicht medienkompetent“ sind, sondern „eher unbedarft im Umgang mit Medien, sie klicken irgendwo drauf und es funktioniert etwas“. Und Maren Risch ergänzte, weil „Medien doch Bestandteil der kindlichen Lebenswelt“ seien, „benötigen Kinder Hilfestellungen und Interpretationshilfen von Erwachsenen“. Alleingelassen, meint auch die SZ – http://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitales-geraeteturnen-1.3668070 – seien sie damit überfordert „mündige Mediennutzer zu werden und die Chancen des Digitalen von seinen Gefahren unterscheiden zu können; auch vielen Erwachsenen täte Nachhilfe hier gut“. Denn „Kinder sollen weniger Zeit mit dem Smartphone verbringen, doch viele Eltern können sich selbst kaum davon lösen. Das schlechte Vorbild beeinträchtigt Familienleben und kindliche Entwicklung“ – http://www.sueddeutsche.de/wissen/erziehung-du-machst-es-doch-auch-mama-1.3201947?reduced=true. Wer ganz im Internet ist, kann draußen nicht voll da sein. Das hat Folgen (http://www.sueddeutsche.de/wissen/2.220/kognition-jetzt-pass-halt-auf-1.2971866): „Wenn Eltern mit dem Smartphone spielen, auf die Zeitung schielen oder sonst wie abgelenkt sind, dann leidet auch die Konzentration der Kleinen beim Spielen.“

Drinnen hui, draußen pfui

Die Frage ist, in wie weit nicht längst auch die Konzentrationsfähigkeit der Erwachsenen unterminiert ist – bzw. inwiefern wir der permanenten Anreizstruktur aus Klicks, Likes, Pushup-Meldungen und Benachrichtigungen über Email-, Post- und Posts-Eingänge widerstehen können. Denn die Anbieter setzen auf „so genanntes Nudging, also die fürsorgliche Bevormundung und Entmündigung durch unablässige Gängelung per App und Web“: „Wir haben ein körpereigenes Belohnungssystem, das bei positiven Erlebnissen körpereigene Hormone wie Dopamin ausschüttet. Lernprogramme und Computerspiele sind so programmiert, dass wir auf diese kurzfristige Belohnung hinarbeiten, kleine Rückmeldungen bekommen, Bestätigungen und Feedback. Das freut uns, das bekommen wir in kurzen Abständen. Ziel der Programme und Spiele ist es, uns möglichst lange am Bildschirm zu fesseln und dabei Benutzerdaten aufzuzeichnen“ https://www.heise.de/tp/features/Technologie-in-unseren-Schulen-schadet-mehr-als-sie-nuetzt-3766725.html?view=print. Wer je versucht hat, bei offenem Internetzugang z.B. an einem Text wie diesem zu arbeiten, weiß, wovon ich rede. Es war immer schon schwer, auf unverzügliche kleine Belohnungen (Spatz in der Hand) zu verzichten, nur um auf eine etwaige größere hinzuarbeiten. Da braucht es einige Übung und Einübung. Gerade auch in der Schule.

Aktiv und so selbstbestimmt wie möglich

Mindestens so wichtig aber sind externe Anreize, also positive Erfahrungen offline. Jedoch, auch darauf hat Stefan Aufenanger hingewiesen, „findet heutzutage meist eine Einengung der physischen Welt von Kindern statt“: durch „Helikopter-Eltern“, die jeden Schritt überwachen, „Schneepflugeltern, die alle Probleme vor ihren Kindern wegräumen, damit diese wirklich nichts erleben, also auch keine Grenzen selbst erfahren“ oder „selbständig etwas erleben können“. Deshalb warnt Aufenanger die Eltern, den Internetzugang und damit „den Kindern ein Stück Selbständigkeit nehmen. Sie sollten eher eine gewisse Neugierde ihrer Kinder für digitale Medien respektieren, zugleich aber auch ihre Dialogbereitschaft zeigen, bei Problemen immer für sie da zu sein.“ Und Maren Risch meinte zur „Medienbildung in der Kita“: „Der bewusste Einsatz von Tablets kann einen Gegenpol zu der möglicherweise bereits bestehenden Fehlentwicklung in der Mediennutzung darstellen … Während Eltern in der häuslichen Mediennutzung die vorhandenen mobilen Geräte beispielsweise zu Einschlafritualen nutzen oder Spiele-Apps zum Überwinden von Wartezeiten einsetzen, so können Fachkräfte hier mit Kindergartenkindern kollaborierend arbeiten, indem sie Tablets zum Fotografieren einsetzen oder ein eBook mit der App Book Creator gestalten.“ Selbstbestimmter, produktiver Umgang statt passivem Konsumieren: das wäre dann Handeln und Denken in einem. Könnte funktionieren.

Es gibt ja immer noch Leute, die zweifeln, dass Sport Kultur ist – so wie ich nicht auf Anhieb das Sportliche am „Motorsport“ erkennen kann. Aber es gibt wenige wiederkehrende Großereignisse, die so sehr unseren untergehenden Lifestyle symbolisieren und identitär bestätigen wie Olympia mit „Höher, schneller, weiter“ oder die Formel 1. Das immer schnellere Fahren im Kreis, mit immer mehr technischem Aufwand, das seinen Kitzel daraus bezieht, dass Menschen auf abenteuerliche Weise und vor aller Augen ihr Leben riskieren, ist offenbar deutlich attraktiver als das sonst so gern als Symbol unserer Zivilisation zitierte Hamsterrad. Kulturelle Ereignisse bzw. regelmäßige Rituale sagen uns, wer wir sind, was wir so tun und was nicht. Da haben wir an positiven kulturellen Gegenentwürfen bisher wenig zu bieten. Aber immerhin haben wir derzeit Gelegenheit, spezifisch Bayerisches zu beobachten.

Neues Bewusstsein bestehender Pflichten
Denn jetzt gibt es in München wieder einen der spektakulären Wirtschaftsprozesse, die in Bayern mittlerweile fast schon zur Regel werden. Bei uns mangelt es weder an Gelegenheiten noch an der Bereitschaft, alte Gepflogenheiten neu zu bewerten. Eine der wenigen positiven Auswirkungen der Finanzkrise ist ein gewandeltes öffentliches Bewusstsein darüber, was strafbar ist und was nicht, wenn es um Steuern, Bestechung oder Sorgfaltspflichten geht. Schon der zweite Landesbank-Untersuchungsausschuss und die zeitgleich stattfindenden Ermittlungen wegen des Kaufs der Kärntner HGAA haben da Wirkung gezeigt. Auch wenn sich die Staatsanwaltschaft derzeit vor Gericht selten dämlich anstellt, hat sie doch mitgeholfen, dass staatliche wie private Wirtschaftsakteure, Vorstände und Aufsichtsorgane, an ihre gesetzlichen Pflichten erinnert wurden. Deshalb findet bei uns eine intensivere zivil- und strafrechtliche Aufarbeitung von Wirtschaftskriminalität statt als anderswo. Langsam wird allen klar: Gesetze gelten. Auch in Bayern.

Prozess gegen Ecclestone
Angeklagt ist diesmal der Formel-1-Boss Bernie Ecclestone. Die Staatsanwaltschaft legt ihm zur Last, das ehemalige Vorstandsmitglied der BayernLB Gerhard Gribkowsky mit 44 Millionen Dollar bestochen zu haben. Gribkowsky selber sitzt deswegen ja bereits seit geraumer Zeit ein. Wie ist die Landesbank ausgerechnet zur Formel 1 gekommen? Wegen eines Kredits an den früheren „Medienmogul“ Kirch. Die Formel-1-Rechte hatte der als Sicherheit angeboten. Nach dessen Pleite wickelte Gribkowsky den Weiterverkauf ab. Allerdings hatte er sich dabei, wie er 2012 vor Gericht gestand, von Ecclestone schmieren lassen, und wurde prompt zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Konsequenterweise wird jetzt gegen Ecclestone verhandelt. Der eigentliche Hammer aber ist die spezifisch bayerische medienpolitische Vorgeschichte, die diese Konstellation erst ermöglicht hat.

Kurze Geschichte von Kirchs Privatsendern
Anfang der 80er Jahre hat die Regierung Kohl unter tatkräftiger Beteiligung von CSU-Politikern der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland den Weg gebahnt. Kohl und Kirch verband eine für beide lukrative Freundschaft: http://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Kirch. Aber auch andere, ihn „beratende“ Politiker hat Kirch dafür kräftig belohnt, darunter CSUler wie den früheren Postminister Bötsch oder den Politiker und Anwalt Gauweiler. Da ging es nicht nur um Geld, es ging auch um politischen Einfluss. „Unsere Politik … war immer darauf ausgerichtet, eine Anbindung von RTL an das konservative Lager zu sichern“, schrieb Stoiber an Strauß: http://de.wikipedia.org/wiki/Privatfernsehen. Nachdem er selber Ministerpräsident geworden war, ging es Stoiber auch um bayerische Standortpolitik. Im Zusammenspiel mit dem damaligen SPD-Ministerpräsidenten Clement hat er die Weichen dafür gestellt, dass Kirch und Bertelsmann den deutschen Privatfernsehmarkt unter sich aufteilen konnten.

Spätfolge Stoiberschen Größenwahns
Stoibers Ehrgeiz war immer schon zu groß für Bayern. Deshalb setzte er auf eine aufgeblähte Landesbank, als „global player“ und als wirtschaftspolitisches Machtinstrument. Und er setzte auf das Firmenimperium des genauso ehrgeizigen Leo Kirch, als medienpolitischem Machtinstrument. Bei den einschlägigen Stützungsaktionen für dessen Konzern hat er, wie bei der Geschäftspolitik der Landesbank, meist nur informell die Richtlinien vorgegeben. Aber er war sich auch nicht zu schade, 1999 persönlich beim Mediengiganten Murdoch für einen Einstieg bei Kirchs PayTV-Sender Premiere zu werben. Bereits 1997 half die Landesbank Kirch dabei, diesen Sender aufzubauen, mit einem Darlehen von einer halben Milliarde DM. Zwischen 1995 und 1998 ließen die bayerischen Finanzbehörden „auf höhere Weisung“ Kirch bei einem milliardenschweren Steuerbetrugsfall glimpflich und mit einem „Rabatt“ von mehreren Hundert Millionen DM davonkommen. 1999 wiederum gab die Landesbank Kirch eine Bürgschaft von eineinhalb Milliarden DM für Premiere.

Privatfernsehen in öffentlichem Auftrag?
Premiere kam damals auf keinen grünen Zweig, denn alles, was für Fernseh-Zuschauer in Deutschland attraktiv und nicht verboten war, gab es in öffentlich-rechtlichen oder in werbefinanzierten Sendern umsonst zu sehen. 2001 hatte Kirch die Chance, wenigstens den direkten und exklusiven Zugriff auf die Formel 1 und ihre Übertragungsrechte bekommen. Stoibers Rechte Hand, der damalige Medienminister Erwin und Landesbank-Verwaltungsrat Huber, setzte sich zunächst persönlich für ein Engagement der HypoVereinsbank ein. Aber der war die Lage bei Kirch bereits zu riskant. Deshalb musste die BayernLB helfen, mit einem Kredit über eine weitere Milliarde Euro. Huber sprach von einem „Big Point der Medienpolitik“, der damalige Finanzminister Faltlhauser von einem „öffentlichen Auftrag“. Ein Jahr später war Kirch dann tatsächlich pleite und die BayernLB saß auf den Rechten für die Formel 1.

Wer Fernsehgrößen im richtigen Leben trifft, wundert sich häufig, wie klein sie wirken, wenn sie einem leibhaftig gegenüberstehen (Ich erinnere nur an mein Erlebnis auf dem Freisinger Wochenmarkt: „Sepp Dürr – der Kleine da?“). Das ist das Schöne an Bildern: die rein körperliche Größe ist ihnen egal, daher hätte auch ich eine Chance gehabt, groß rauszukommen. Prinzipiell jedenfalls. Und mehr kann man in unserer gegenwärtigen Demokratie auch nicht erwarten: jede/r hat zumindest theoretisch eine Chance. Praktisch sieht das dann ganz anders aus.

Schneebergers Glanz
Aber ich wollte ja nicht von mir erzählen, sondern von Gisela Schneeberger. Denn Hermann Unterstöger hat in der „SZ am Wochenende“ in seiner Rubrik „Modernes Leben“ an zweierlei erinnert: An die wahre, von ihm selber verschuldete Geschichte „Wie wir die Gisela lange für die Gisela hielten“ und daran, dass Frau Schneeberger 65 geworden ist. Da kann ich doch dann auch mein glorreiches, von mir unvergessenes Schneeberger-Erlebnis berichten (und mich wie Unterstöger kurz im Glanze ihres Namens sonnen).

Well weiß was
Schon vor Jahren, als ich Fraktionsvorsitzender wurde, habe ich Hans Well kennengelernt, von der weiland Biermösl Blosn. Eigentlich kannte ich ihn schon aus dem Fernsehen und von der Schule unserer Kinder. Denn er wohnt bei uns draußen auf dem Lande. Aber dann als Fraktionsvorsitzender kannte ich ihn natürlich noch viel mehr. Allerdings kannte er auch den damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und der kannte ihn natürlich noch viel mehrer. Jedenfalls kennt Hans Well auch die Film- und Fernsehschauspielerin Gisela Schneeberger, und beide machten zusammen mit betroffenen Bauern in Zeiten der BSE-Krise eine Pressekonferenz, in Sachen Sorgen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Da bin ich hin, um zu hören, was sie sagen.

Fernsehstars unter sich
In der Wirtschaft am Platz vor der Oper sollte die Pressekonferenz stattfinden, im ersten Stock. Da ging doch glatt Gisela Schneeberger vor mir die Treppe hoch. „Grüß Gott“, sage ich. „Wir kennen uns“, sagt sie. „Glaub ich nicht“, sag ich und stelle mich vor: „Sepp Dürr, Grüne Landtagsfraktion“. Da sagt sie: „Dann kenn ich Sie aus dem Fernsehen.“ Da muss ich wirklich lachen: „Das hätte ich von Ihnen nie gesagt.“ Ausgerechnet ein Fernsehstar sagt den Spruch „Ich kenn Sie aus dem Fernsehen“, den sie vermutlich nicht mehr hören kann, ausgerechnet zu mir. Das war aber dann schon der Höhepunkt meiner medialen Berühmtheit. Die Karriere Gisela Schneebergers ging zum Glück weiter.

Werde ich dünnheutiger, je länger der Wahlkampf dauert oder je näher der Wahltag rückt? Jedenfalls kann ich mich immer wieder und offenbar immer leichter fürchterlich aufregen. Und erst hab ich schon gedacht, jetzt ist es so weit, akrat vor dem Wahltag: Ich muss Medien und Wähler beschimpfen. Weil sie über belanglose Stilfragen und Bagatellen diskutieren, statt die großen Themen ins Visier zu nehmen. Weil sie sich in Aufgeregtheiten über den Stinkefinger Steinbrücks und über offensichtlichen Quatsch wie die PKW-Maut ergehen. Dann hab ich diese Diskussionen ernst genommen.

Sensibelchen in eigener Sache
Dass sich die Medien über Steinbrück echauffieren ist verständlich, schließlich hat er allen, die ihn in den Zeitungen und Fernsehsendern mit Spottnamen bedacht haben, gesagt, was er von ihnen hält: nichts. Er hat kräftig zurückgekeilt. Das darf er doch nicht! Das ist doch gegen alle journalistischen Regeln: Medien dürfen ihn neckisch beschimpfen als „Problem-Peer“ oder „Peerlusconi“, da soll er sich mal nicht so haben. Aber wenn es um sie selber geht, sind Journalistinnen und Journalisten bekanntlich empfindlich. Da kenne ich auch ein paar. Die Wählerinnen und Wähler allerdings, das deuten heutige Befragungen schon an, fühlen sich in ihrer Entscheidung für oder gegen Steinbrück durch den Anblick seines Mittelfingers nur bestätigt.

Gerechtigkeit á la Dick und Doof
In Sachen PKW-Maut lohnt es sich ebenfalls, genauer hinzuschauen. Da geht es um des Deutschen Heiligstes, die „freie Fahrt für freie Bürger“. Die aufzugeben sind viele bereit, wenn‘s nur auch die Ausländer richtig erwischt. Das ist wie bei Dick und Doof: Die halten auch gern die eigene Wange hin, wenn sie nur dem andern vorher ordentlich in die Fresse hauen durften. Das geht doch nicht, dass die auf unsere Kosten umsonst durch Deutschland fahren und wir müssen im Ausland zahlen. Dafür nehmen Ausländerfeinde locker Nachteile in Kauf. Abgesehen von der Diskussion, ob eine „Maut für Ausländer“ EU-verträglich ist oder durch Tricksereien möglich würde, geht es nur um fünf Prozent des Verkehrsaufkommens. Geld einbringen wird uns das sicher nicht, angesichts des enormen bürokratischen Aufwands. Freiheit kosten wird es auch. Aber das gesunde Volksempfinden kommt zu seinem Recht.

Bayern ist reif. Ich auch
Da zählen Sachargumente nicht, denn um die geht es nicht. Höchste Zeit deshalb, dass dieser Wahlkampf zu Ende geht. Ich kann auch nur ein gewisses Maß geduldig einstecken und ertragen. Und schon bei Schiller heißt es: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Und der Frömmste bin ich, zugegeben, schon lange nicht mehr.

Es ist ein merkwürdiger Wahlkampf: Über alles Mögliche wird gesprochen, ob der Kandidat zur Partei passt, ob es noch eine Partei hinter der Kandidatin gibt, wer mit wem warum nicht kann oder wer welchen Fehler gemacht hat. Aber das Wichtigste wird nicht diskutiert: Wie wollen wir in Zukunft leben? Dabei wissen alle, dass unsere Art zu wirtschaften, konsumieren, zusammenzuleben in schweren Krisen steckt: in Finanz-, Klima- und Gerechtigkeitskrisen. Wie wollen wir unseren Wohlstand sichern, ohne auf Kosten von anderen zu leben? Was heißt Wohlstand? Was „gutes Leben“?

Eine Ahnung ist da
Bezeichnenderweise stellt heute auch die Süddeutsche Zeitung ihre Präsentation der Wirtschaftsprogramme der Parteien für die Landtagswahl unter den Titel: „Das System gerät aus den Fugen. Die Skepsis am Wachstum als Wohlstandsfaktor nimmt zu. Die politischen Parteien haben Mühe, damit umzugehen“. Wie die Enquete-Kommission des Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, die die SZ dafür kritisiert, kommen die Programme „nur wenig über Allgemeinplätze und den erklärten Willen hinaus, ressourcenschonender zu wirtschaften“. Selbst die CSU labert schon von „qualifiziertem Wachstum“ und erklärt, sie wolle „wirtschaftliches ‚Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln‘ und ‚nachhaltiges Wirtschaften‘ belohnen“.

Es fehlt die Traute
Ob es so was wie „grünes Wachstum“ überhaupt gibt und was das bedeuten würde, will aber lieber niemand so genau wissen. Andererseits ist auch völlig unklar, ob es so was geben kann wie eine „Postwachstumsökonomie“ oder „Wohlstand ohne Wachstum“, was uns beispielsweise Tim Jackson vorschlägt. Obwohl also die Krisen nicht mehr geleugnet werden können und dem Umstand irgendwie Referenz erwiesen wird, heißt die generelle Devise weiter: Augen zu und durch – aus Angst vor den schrecklichen Wahrheiten, die zum Vorschein kommen könnten. Umso wichtiger wären intensive Diskussionen und vor allem auch: ausprobieren. Weil wir so wenig wissen, müssen wir vermutlich einfach ein bisschen experimentieren und reflektieren.

Radikal muss nicht schrecklich sein
Es ziemlich wahrscheinlich, dass wir manches in unserer Art zu wirtschaften oder zu konsumieren radikal ändern müssen. Aber diese Radikalität könnte zum einen lediglich darin bestehen, von einigen schon begangene Wege zu gehen, und zum anderen positive Folgen nach sich ziehen. Ein Beispiel könnte die Agrarwende von der industriellen Massenproduktion zum Ökoanbau sein. Wenn wir in unserem Land einen Kulturwandel schaffen wollen, weg vom bisherigen Wirtschaften und Leben auf Pump hin zu einem klimaverträglichen, gerechten Lebensstil, dann fällt dem Ökoanbau eine Leitbildfunktion zu: http://www.sepp-duerr.de/front_content.php?client=1&lang=1&idcat=32&idart=1617&m=&s=. Sich besser zu ernähren, ohne Tiere zu quälen, das Trinkwasser zu gefährden, die Klimakatastrophe zu befördern oder die Artenvielfalt zu reduzieren – das muss ja nichts Schreckliches sein.

Vorbild attraktive Lebensstile
Nur wenn es uns gelingt, neue attraktive Wohlstandsmodelle wenigstens teilweise zu leben und damit den notwendigen Wohlstandswandel schon im heutigen Wirtschaftssystem vorwegzunehmen, werden wir auch die erforderlichen politischen Mehrheiten gewinnen können. Sie stellen ein Experimentierfeld dar und sie verändern gleichzeitig die politische Wirklichkeit. http://www.sepp-duerr.de/front_content.php?client=1&lang=1&idcat=69&idart=1387&m=&s=. Die symbolische Wirkung neuer Wohlstandsmodelle ist dabei erheblich größer als ihre reale. Denn natürlich ist es so, dass selbst wenn ganz Deutschland oder gar Europa ohne CO²-Emissionen wirtschaften würde, der Klimawandel nicht zu stoppen wäre. Das gelingt nur, wenn der heute global so attraktive Way of Life durch andere, mindestens so anziehende Lebensformen abgelöst wird.

Ohne Politik kein Wandel
Voraussetzung ist, dass viele Lust auf Veränderung haben und das mindestens so spannend finden, wie sich etwas Neues zu kaufen. Das müssen am Anfang keine großen Schritte sein.
Kleine Erfolge sind Ermutigung, Ertüchtigung und Ansporn für größere Vorhaben. Diese Lust auf Veränderung wird bestärkt durch die Erfahrung, dass man tatsächlich etwas verändern kann, nicht nur das eigene Leben, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld wie das politische Klima. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die vielen Einzelnen, die sich als Pioniere und Agenten des Wandels auf den Weg machen, als Teil einer Bewegung erfahren.
Für eine noch größere Durchschlagskraft aber brauchen sie politische Unterstützung: keine moralischen Appelle, sondern Ermutigung und Zuspruch, vor allem aber entsprechende politischen Weichenstellungen.

Es ist schon aufschlussreich, wie unterschiedlich Umfrageergebnisse interpretiert werden können. „Drei Monate vor der Landtagswahl kann #Seehofer auf eine Alleinregierung hoffen. Das zeigt eine SZ-Umfrage. http://sz.de/1.1696403 “, twitterte die Süddeutsche Zeitung. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn umgekehrt lässt sich konstatieren: Drei Monate vor Landtagswahl kann die Opposition auf die Regierungsübernahme hoffen, trotz fehlender Einigkeit und Klarheit. Niemand weiß, was die „Dreier-Koalition“ will – und ob sie es überhaupt geben wird. Trotzdem wird sie der CSU extrem gefährlich. Denn erstmals steht ihre Sonderexistenz auf dem Spiel.

CSU: Ein Monopol bedingt das andere
Natürlich sind 46 Prozent für die CSU im innerdeutschen Vergleich auf den ersten Blick ein Ausnahmetatbestand. Aber es gibt in Deutschland keine andere territoriale Provinzpartei, die trotzdem den Anspruch bundespolitischer Eigenständigkeit erhebt und – wie eine europäische separatistische Splitterpartei – den, gegen und in Brüssel für ein quasi eigenstaatliches Gebilde zu sprechen. Trotz dieser scheinbar komfortablen Situation sind deshalb Unsicherheit und Angst der CSU groß, mit dem Verlust der Regierungsbeteiligung auch diesen Anspruch auf Eigenständigkeit zu verlieren. Das wäre der Super-Gau der CSU: https://seppsblog.net/2013/01/09/alles-ist-möglich/.

Stillstand auf Messers Schneide
Es gibt derzeit kein Kopf-Kopf-Rennen, dafür sind die Alternativen, die zur Wahl stehen, auf Seiten der Opposition nicht konturiert genug – und es fehlt momentan auch jede vordergründige Dynamik. Aber rein rechnerische 46:43-Prozent: das kann statistisch auch ein Patt sein, denn 3 Prozent Ungenauigkeit sind rein methodisch immer drin. Ganz abgesehen vom Unterschied zwischen Umfragen und tatsächlichem Wahlverhalten. Immerhin schiebt die SZ deshalb eine Analyse von Sebastian Gierke (@Se_gier) – http://www.sueddeutsche.de/bayern/csu-in-sz-umfrage-vorn-wo-fuer-seehofer-die-gefahr-lauert-1.1697332 – nach: „Dazu genügt ein Blick auf die letzte Umfrage vor der Wahl 2008. Damals wurden der CSU 49 Prozent vorhergesagt. Geht es nur danach, war die Ausgangslage also sogar besser, als sie es heute ist. Der Absturz war umso brutaler.“ Es war, was leicht vergessen wird, ein Absturz von der Zwei-Drittel-Mehrheit 2003.

Schwäche der Opposition verliert sich nach dem Wahltag
Gierke benennt auch den Hauptgrund für die fehlende Dynamik: „Die Wechselbereitschaft, die noch vor einem Jahr zu spüren war, als sich die Christsozialen tatsächlich mit der Möglichkeit konfrontiert sahen, nach der Wahl in der Opposition zu landen, die ist zwar nicht mehr so deutlich wahrzunehmen. Einfach verschwunden ist sie aber nicht. Ihr fehlt nur die Möglichkeit, wirklich zu werden. … Es ist die Schwäche der Opposition, von der die CSU profitiert.“ Aber bekanntlich schaffen veränderte Fakten eine neue Dynamik. Am schönsten hat sich das in Baden-Württemberg entfaltet, wo die Regierung Kretschmann beweist, dass sie kein „Betriebsunfall“ war, sondern sich die politische Landschaft längst massiv geändert hat. Einen deutlich kleineren, aber ähnlichen Effekt haben 2008 die Kommunalwahlen in Bayern ausgelöst: sie bewiesen eine politische Klimaveränderung in den Kommunen und haben sie weiter verstärkt. Dieser Effekt wird die Opposition nach der Landtagswahl massiv stärken und einen. Dann werden auch die Freien Wähler nicht das Überleben der CSU sichern wollen.

Erosion der Macht
Wie tief die Erosion, von der auch Gierke spricht, schon geht, zeigt ein Vergleich mit den Umfragewerten vor fünf Jahren. Vor der Kommunalwahl, im Januar 2008, gaben der BR-Umfrage gegenüber noch 52 % an, die CSU wählen zu wollen. Damals musste die CSU trotz der noch hohen Zustimmung bereits erhebliche Kompetenzverluste in allen wichtigen Fragen hinnehmen. Aber im Vergleich zu den Kompetenzzuschreibungen im Januar 2009 (Wirtschaft 70 %, Arbeitsplätze 52 %, Bildung 41 %) und September 2008 (kaum weniger) hat sie heute weiter massiv an Ansehen verloren. D.h. unter der Oberfläche ist die Erosion deutlich stärker fortgeschritten als in der Sonntagsfrage sichtbar.

Nur wer zur Wahl geht, kann sie entscheiden
Bei dieser engen Ausgangslage wird nur gewinnen, wer die eigene Wählerschaft zum Wahlgang motivieren und mobilisieren kann. Da tut sich da die CSU schwer. Denn es gibt selbst in ihrer eigenen Wählerschaft, das zeigt die SZ-Umfrage wie andere Umfragen vorher, erhebliche Vorbehalte: Gegen eine CSU-Alleinherrschaft votieren 61 Prozent der Befragten und „48 % der CSU-Wähler denken beim Thema Skandale, Affären und Filz als erstes an die eigene Partei“. Da könnte es sich negativ auswirken, dass Seehofer auf „die von der Kanzlerin perfektionierte Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ setzt, also kontroverse Themen so gut es geht vermeidet“ (Gierke). Umgekehrt wird die Opposition aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Umfragewerte in Wahlergebnisse ummünzen können: die SPD, weil ihr nur noch die Treuesten geblieben sind, die Freien Wähler, weil sie für große Teile ihrer Wählerschaft ihre Funktion, die CSU ein bisschen zu schwächen, erfüllt hat, und wir Grünen, weil unsere Wählerschaft und unsere Mitglieder bereits jetzt hoch motiviert sind. Denn wir Grünen wissen, wozu wir regieren wollen.

Wer kein bayerischer Jurist ist, kann über die vielen Pannen im Vorfeld des Prozesses nur den Kopf schütteln. Schlimmer als jede Panne aber ist wieder mal die Rechthaberei hinterher. So sagte Bayerns oberster Richter: Kritiker, die ohne profundes Wissen das Gericht tadelten, hätten die Aufgabe des Gerichts „nicht verstanden“. Ein anderer Richter wird, hinter vorgehaltener Hand, noch deutlicher: „Jeder Hanswurst darf sich ohne jede Sachkenntnis zu dem Fall äußern“. Sie wollen damit sagen: Wir Deppen sollen den Mund halten.

Demokratie ist keine Expertokratie
Aber, liebe Richter, das Spannende an der Demokratie ist, dass jeder mitreden darf – und weil niemand unfehlbar ist, jeder kritisiert werden kann. Auch eine zu Recht unabhängige Justiz darf sich nicht selbst genug sein, sondern sie muss auch Laien gegenüber Rechenschaft ablegen. Es geht nicht nur darum, dass über Taten und Täter geurteilt wird, sondern die Öffentlichkeit muss das auch nachvollziehen können. Wegen der kleinkarierten Rechthaberei der Richter kann man leicht übersehen, wie wichtig der Prozess deshalb ist.

Endlosgeschichte des rechten Terrors
Die fünf unentdeckten Morde des „NSU“ in Nürnberg und München sind das größte Debakel der Inneren Sicherheit in Bayern. Aber es sind leider keine Einzelfälle. Es gibt eine lange, unrühmliche Geschichte des rechten Terrors in Bayern und eine ebenso unrühmliche Serie von Pfusch und Pannen bei der staatlichen Bekämpfung. Zu oft werden rechtsextreme Täter nicht ermittelt und bestraft. Die bayerische Justizministerin hat einräumen müssen, dass bei der Hälfte der Taten das Verfahren „mangels hinreichenden Tatverdachts“ eingestellt wird. Das wirkt auf die unbestraften Täter wie ein Ansporn – auf die Opfer bedrohlich.

NSU-Morde: ein bayerisches Problem
Jetzt werden zum ersten Mal rechtsterroristische Taten in diesem Ausmaß Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sein. Nach diesem Prozess wird es nicht mehr möglich sein, Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus in Bayern und in Deutschland zu verharmlosen. Deshalb ist es auch richtig, dass der Prozess in Bayern stattfindet. Der Versuch des bayerischen Innenministers, die Verantwortung für das staatliche Versagen ausschließlich in andere Länder zu verweisen, ist damit erledigt.

Der Staat korrigiert sich
Es ist beschämend, dass der Staat – und allen voran das bayerische Innenministerium – damals mit aller Akribie als Motiv nicht Ausländerhass, sondern Ausländerkriminalität nachweisen wollte. Man hat die Opfer zudem verächtlich gemacht mit Begriffen wie „Döner-Morde“ oder „Soko Bosporus“. Insofern ist die Anklage auch ein Fehlereingeständnis: Der Staat, Staatsanwaltschaft und Polizei geben zu Protokoll, wen sie für die Täter halten und wen für die Opfer. Wenigstens diese Genugtuung durften die Angehörigen der Ermordeten erwarten.

Der Prozess allein wird’s nicht richten
Der Prozess ist nur ein Baustein, staatliches Versagen aufzuklären und verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Daneben versuchen ja die Untersuchungsausschüsse der Länder und des Bundes, Licht ins Dunkel zu bringen – nicht immer mit ausreichender Unterstützung der Behörden. Die Münchner Richter, davon bin ich überzeugt, werden ihre eigentliche Arbeit, Recht zu sprechen, ordentlich tun. Aber für eine umfassende Aufklärung müssen alle ordentlich arbeiten, auch die Parlamente, die Sicherheitsbehörden, die Presse – und schließlich die Historiker.

Etwas verschiebt sich gerade in der Wahrnehmung und Definition des öffentlichen Diskurses. Er soll nicht mehr stattfinden. Mit dieser Forderung melden sich immer mehr Empörte, wenn ihre oder die von ihnen bevorzugte Meinung in argumentative Bedrängnis kommt oder nicht mehr allein den öffentlichen Raum besetzen darf. Bis vor kurzem kannte man das vor allem von Rechtspopulisten wie Haider oder Sarrazin („Das wird man doch noch sagen dürfen“), die sich beide gerne als „Zensur“-Opfer darstellten, obwohl sie sich auf allen Kanälen ausbreiten konnten. Wer öffentlich etwas sagt, muss mit Kritik und Konsequenzen rechnen, selbst wenn er keinen rechtspopulistischen Unsinn von sich gibt. Wenn es daran öffentliche Kritik gibt, darf sich niemand wegen Majestätsbeleidigung persönlich angegriffen fühlen.

Kritik als „Intoleranz“ wegwischen
Jemand wie ich, der mit seiner Meinung zu Äußerungen und zum Handeln anderer nicht hinter dem Berg hält, provoziert fast täglich Mails oder Posts auf Facebook, die ihn der „Intoleranz“ beschuldigen und persönliche Motive hinter Sachargumenten vermuten. Wer anderen widerspricht oder kritisiert, was sie tun, kann, so die Vermutung vieler, das offenbar nur böswillig und unter Verletzung von Bürgerrechten tun. Aber Widerspruch zu üben und den Kampf um die öffentliche Meinung und den öffentlichen Raum aufzunehmen, das ist nicht „intolerant“, keine „Zensur“ oder „Tugendfuror“. Das ist ein für eine Demokratie ganz normaler und sogar notwendiger Vorgang, dass Meinungen nicht unwidersprochen bleiben. Demokratie sei, lautet eine Definition, „Regieren durch Diskussion“. Aber das geht nicht, wenn alle sich einer Meinung anschließen.

Kritik als persönlichen Angriff mit persönlichem Angriff abwehren
Dieses Klima, sachliche Kritik persönlich zu nehmen, damit zu diffamieren und zu versuchen, sie so mundtot zu machen, breitet sich besonders in der schwülen Atmosphäre der Social Media aus. Über deren Geeignet- und Geneigtheit zu Aufgeregtheiten, Kampagnen, „Storms“ und sozialen Grenzüberschreitungen ist in letzter Zeit viel diskutiert worden. Aufgeregtheiten fallen wieder zusammen, aber was offenbar bleibt und sich scheinbar zunehmend ausbreitet, ist die Deutung von inhaltlicher als unzulässiger persönlicher Kritik, weshalb „im Vorgriff“ gleich mal mit persönlichen Angriffen „zurückgeschlagen“ wird. Kretschmann hat eben in einem Interview mit der taz – http://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/die-menschen-wollen-heilige/ – unter Berufung auf Hannah Arendt gewarnt, und er hat sich explizit auf dieses politische Klima bezogen: „Argumente ad hominem zerstören jede politische Debatte.“

Kritik als Gesinnungsterror diffamieren
Diese Verweigerung der politischen Debatte steckt auch hinter dem in jüngster Zeit mehrfach erhobenen Vorwurf an uns Grüne, wir seien auf eine „Ökodiktatur“ aus. Auch hier besteht der Kern darin, dass wir Kritik üben: an bisher dominanten Konsummustern und Produktionsverfahren. Verbale Kritik wird als massiver „Freiheitseingriff“ empfunden oder zumindest behauptet, etwa in der „Welt“ – http://www.welt.de/debatte/kommentare/article114830965/Die-Gruenen-werden-zur-buergerlichen-Linkspartei.html: „Aus der sittlichen Hybris leitet sich eine autoritäre Programmatik ab, in der es von Eingriffen in die bürgerlichen Freiheiten nur so wimmelt.“ Ähnlich der „Cicero“ – http://www.cicero.de/berliner-republik/warum-ich-die-gr%C3%BCnen-nicht-w%C3%A4hle-kommt-nicht-die-tuete/53992: „Politik, das ist für die Grünen vor allem ein groß angelegtes Umerziehungsprogramm“. Allein der Versuch, nachgewiesen nicht nachhaltige Gewohn- und Gepflogenheiten zur Diskussion zu stellen, ist offenbar strafbar.

Politik ist die Suche nach Alternativen
Mit dieser Verweigerung der öffentlichen Debatte wird die Möglichkeit von Politik insgesamt untergraben. „Ziel des politischen Handelns ist es, Repräsentationen der sozialen Welt (mental, verbal, graphisch, dramatisch) zu schaffen und durchzusetzen, mit denen die Vorstellungen der sozialen Akteure und damit die soziale Welt selbst beeinflusst werden können“, sagt Bourdieu. Es gehe um die „Möglichkeit, die soziale Welt zu verändern, indem ein Teil ihrer Realität, nämlich die Vorstellungen von dieser Welt, verändert werden oder, genauer gesagt, indem der üblichen Vorstellung, bei der die soziale Welt als eine natürliche Welt verstanden wird, … eine Utopie, ein Plan, ein Programm entgegengehalten wird“. Politik besteht heute in einem Gegenprogramm zu den dominierenden klimaschädlichen, konsum- und statusorientierten kulturellen Muster. Diese sind weder „natürwüchsig“ noch unantastbar. Wem unsere grüne Kritik zuwiderläuft, der soll in die Diskussion mit uns einsteigen, statt zu versuchen, jede Debatte zu erschweren. Das kann uns allen nur nützen.

Wenn man schon länger in der Landespolitik aktiv ist und sein Gedächtnis nicht verloren hat, sieht man manches vielleicht gelassener. Jedenfalls hat mich die aktuelle Umfrage des BR – http://bit.ly/ZG2R2E – nur darauf aufmerksam gemacht, dass wir, also wir Grünen und die Opposition insgesamt, noch einiges tun und auch ändern müssen, wenn wir tatsächlich im Herbst regieren wollen. Denn, so viel ist klar, wir haben es nicht geschafft, eine positive Dynamik zu entwickeln oder gar so was wie Wechselstimmung sichtbar werden zu lassen. Aber das hab ich, so wie die künftige „Dreier-Koalition“ im letzten Jahr agierte, auch gar nicht erhofft. Jetzt jedoch erwarte ich, dass alle drei nüchtern auf die Lage reagieren: Was müssen wir jeweils (und gemeinsam) ändern, damit wir unsere Chance nutzen?

Wir haben eine große Chance, nutzen wir sie

Das Sensationelle auch dieser Umfrage kann man vermutlich nur nachempfinden, wenn man, wie gesagt, ein paar Jahre zurückdenken kann: Wir haben eine große Chance! Das gab es jahrzehntelang nicht, so oft wir uns das auch vor den Wahlen jeweils eingeredet haben. Aber jetzt ist es mit Händen zu greifen und auch statistisch belegt. Und diese neue Lage hat sich verfestigt. Trotz aller Unkenrufe und CSU-Hoffnungen auf absolute Mehrheiten hat bisher niemand die alten schrecklichen Zeiten herbeireden können. Es gibt zwar keine Trendwende zugunsten neuer Mehrheiten, aber es gibt vor allem keinen Roll back. Es geht um wenige Prozentpunkte: Vergleichsweise wenig Wählerinnen und Wähler werden im Herbst entscheiden, wo’s hingeht.

Es geht ums Ganze!

Deshalb ist auch die SZ-Schlagzeile „CSU wieder auf dem Weg zur absoluten Mehrheit“ – http://sz.de/1.1568527 – blanker Unsinn. Trotz statistischer Zugewinne der CSU im Vergleich zum letzten Jahr hat sich nicht wirklich was geändert. Schon gar nicht, wenn man die 3 Prozentpunkte berücksichtigt, die nach statistischer Kunst zu- oder abgerechnet werden müssen. Die Landespolitik stagniert immer noch auf der Kippe, eine Entscheidung ist nicht gefallen, d.h. nichts anderes als dass wir endlich auch so planen und handeln müssen: Es geht ums Ganze! Das heißt für mich aber auch, dass SPD, Freie Wähler und wir Grüne nicht einfach so weiter machen dürfen. Jetzt ist mehr gefragt als business as usual. Eine solche strategische Lage gab es in Bayern noch nie. Deshalb sind auch neue Maßnahmen nötig.