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Aus meinem Nähkästchen

Nach dem unsäglichen Sarrazin gibt es jetzt mal wieder ein Buch, das man nicht gelesen haben muss, um sich darüber aufzuregen: „Die Grünen“, von Manfred Güllner. Öffentliche Erregung ist die beste Werbung für solche nicht lesenswerte Bücher. Ich lese sie nicht. Ich lese nicht jeden Unsinn. Aber was mich beschäftigt, ist die öffentliche Diskussion darüber. In einem kurzen Spiegel-Interview – http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/forsa-chef-guellner-gruene-gefaehrden-die-demokratie-a-857375.html – hat Güllner vorab allerhand wirren, aber offenbar werbewirksamen Unsinn von sich gegeben. Man glaubt nicht, was in wenigen Sätzen alles für krudes Zeug Platz hat. Wer für mehr Demokratie eintritt, gefährdet die Demokratie. Wer gegen Neonazis ist, der ist selber einer. Aber wer wie Güllner Nazi-Jargon wie „Gutmensch“ verwendet, ist natürlich ein lupenreiner Demokrat. Ist doch klar, oder?

Missbrauch pseudowissenschaftlicher Autorität

Wie bei Sarrazin ist die verdrehte Logik so offensichtlich daneben, dass man sich wundert, wie das jemand außer dem Autor ernstnehmen kann. Für die „wissenschaftliche“ – „soziologische“ – Verwurzelung von Parteien in der alten Nazi-Bewegung gäbe es rein „pragmatisch“ viel naheliegendere Kandidatinnen, bei denen die Altnazis auch nach dem Krieg noch in führender Funktion aktiv waren, bis hinauf ins Kanzleramt. Aber wozu bei den Historikern nachfragen, wenn man sich selber Theorien schmieden kann? Von solchen „wissenschaftlichen“ Behauptungen, die einer aufstellt, der vom jeweiligen Fachgebiet ganz offensichtlich keine Ahnung hat, haben wir Grünen schon lange die Nase voll. Sie sind der Grund für die „antimoderne“ grüne Wissenschaftsskepsis. Die richtet sich eben nicht gegen Rationalität als solche, sondern nur gegen den Missbrauch „wissenschaftlicher Autorität“ durch Pseudowissenschaftler.

Wahlarithmetik leicht gemacht

Den von Güllner behaupteten „eindeutigen Zusammenhang: Je höher der Stimmenanteil der Grünen, umso niedriger die Wahlbeteiligung“, kennen wir Grünen natürlich auch. Aber wir haben bisher immer gedacht, es wäre umgekehrt – vorausgesetzt, wir bieten unseren eigenen potentiellen WählerInnen gute Gründe, zur Wahl zu gehen. Dass Kretschmann in Baden-Württemberg zusammen mit den Sozialdemokraten „nur“ ein Drittel der Wahlberechtigten für einen Regierungswechsel reichte, soll ein Problem sein. Dass Stoiber 2003 mit der etwa gleichen Zahl von Wahlberechtigten eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bayern erringen konnte, war scheinbar keins.

„Alternativlosigkeit“: Die Politik schafft sich ab

Güllner wirft, indem er auf die Grünen einhaut, vor allem den „Volksparteien“ Versagen vor. Sie seien „zu grün geworden“. Wenn es nur so wäre. Das einzige, was daran stimmt: Es ist die vermeintliche, die letzten zehn Jahre immer wieder behauptete „Alternativlosigkeit“, die zu Politikverdrossenheit führt. Wenn es keine Handlungsalternativen gibt, ist eh alles wurscht. Mit der Behauptung der „Alternativlosigkeit“, von Thatcher erfunden, von Schröder aufgewärmt und jetzt immer wieder von Merkel bemüht, wenn es „um Europa“ geht, schafft sich Politik selber ab. Wenn es keine Wahlmöglichkeiten gibt, warum dann wählen gehen? Dazu kommt die Erfahrung: „Die machen ja sowieso, was sie wollen.“ Wer sich einflusslos fühlt, resigniert.

Die grüne Gefahr: zu viel Demokratie

Warum kommt das jetzt? Es liegt nicht nur daran, dass Güllner die Grünen nicht leiden kann. Schuld ist die Machtübernahme in Baden-Württemberg. Das sagt Güllner ja überdeutlich. Unser grüner „Einfluss ist unangemessen groß“. Nun ist Kretschmann nicht gerade als Revolutionär oder, wie Güllner behauptet, für den „radikalen Politikwechsel“ bekannt. Soweit man weiß, steht im Ländle noch alles. Aber er und die Seinen haben einen radikalen Stilwechsel eingeleitet. Weil Kretschmann mit seiner Politik des Gehörtwerdens die Fehler der Politik von oben gnadenlos bloß legt und neue demokratische Wege geht, sind die Grünen in Baden-Württemberg dort, und nur dort, tatsächlich auf dem Weg zur Volkspartei. Jetzt, auf unserer Herbstklausur, hatten wir die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zu Besuch. Sie sagte, sie seien „jeden Tag verblüfft, wie groß die Sehnsucht nach Wechsel und nach einem anderen Politikstil“ sei, und das „bei unseren Baden-Württembergern, die wir zu kennen glaubten und denen wir das nie zugetraut hätten“. Das muss für einige in Deutschland wirklich unerträglich sein: Wir Grünen reden nicht nur von mehr Demokratie, wir setzen sie auch um, sobald wir nur können. Und haben auch noch Erfolg damit! Das ist für jemand wie Güllner ja auch ein berufliches Problem: Weil dieser Abschied von der vor allem formalen Demokratie, wie wir sie kannten, auch die demoskopischen Vorhersagen immer unzuverlässiger werden lässt: Statt zu machen, was sie immer gemacht haben, fangen die Leute an, tatsächlich mitzubestimmen und sich neu zu entscheiden.

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Herbert Rosendorfer ist tot. Er schien in den letzten Jahren schon etwas aus der Zeit gefallen: einer der letzten bürgerlichen Schriftsteller. Ich weiß nicht, wie oft wir noch vom Ende des bürgerlichen Schriftstellers reden werden, aber seine Art, neben dem „Brotberuf“ zu schreiben, die Themen und die altväterliche Art zu erzählen, also stets mit Hang zum Auktorialen, zum Erzähler, der drübersteht, der ganze Stil des Schreibers und Schreibens war erkennbar nicht mehr von heute. Er hätte nie getwittert oder gebloggt – und facebook wäre ihm vermutlich ein Graus gewesen, hätte er es denn zur Kenntnis genommen. Aber er hat ein paar schöne Bücher geschrieben, vielleicht werden sogar ein, zwei davon bleiben. In „Das Messingherz oder Die kurzen Beine der Wahrheit “ verspottet er das Wirken deutscher Geheimdienste (hier: den BND). Rosendorfer hat 1979 schon alles zu dem Gemenge aus Pfusch, Inkompetenz, Präpotenz und Imponiergehabe gesagt, das jetzt bei Verfassungsschutz und MAD so fürchterliche Nicht-Konsequenzen hatte.

„Der Blechtrommler“

Die Süddeutsche Zeitung schreibt in ihrem heutigen Nachruf – http://www.sueddeutsche.de/bayern/efolgsautor-herbert-rosendorfer-gestorben-spaete-rueckkehr-in-die-heimat-1.1474012 –, er „verfasste Romane und Erzählungen – witzige, feine Stücke Literatur, deren Qualität von der Kritik häufig unterschätzt wurde“. Zu diesen Unterschätzern zählte immer mal wieder auch die SZ. 1999 ging der „Jean-Paul-Preis“, also der bayerische Literaturpreis, an Rosendorfer. Ich war damals neu im Landtag und im Amt als Kulturpolitiker und mit der Wahl sehr einverstanden. Umso mehr habe ich mich am nächsten Tag geärgert über die abfällige Besprechung in der SZ. Sogar der provinzielle Charakter der Verleihung wurde ihm persönlich zugerechnet. Auch mir war aufgefallen, dass die Agierenden nur Männer waren und die Frauen, „vier junge Damen mit bloßen Schultern“, nur Dekoration. Immerhin war damals noch Zehetmair Kulturminister und neben mir saß ein CSU-Abgeordneter, der die bloßen Schultern nicht ohne anzügliche Bemerkungen ansehen konnte. Aber von da auf das Format Rosendorfers schließen konnte man nur, wenn man ihn als Dilettanten („Dichten & Richten“ – „und was noch alles“) verächtlich machen wollte. Hätte man nicht eine Kritikerin schicken können, die wenigstens eine Zeile von ihm selbst gelesen und sich nicht ausschließlich darauf hätte beschränken müssen, die Reden des Abends zu verreißen? Nicht nur aus gerechter Empörung, sondern natürlich auch, um mich als Kulturpolitiker bemerkbar zu machen, habe ich prompt einen Leserbrief an die SZ geschickt. Verständlich und anregend zu schreiben, sei offenbar bei einem deutschen Schriftsteller immer noch eine intellektuelle Todsünde.

Gruß aus dem Yrwental

So schnell hab ich selten eine Reaktion erfahren. Die SZ hat meinen Brief tatsächlich abgedruckt und sofort hat mich Herbert Rosendorfer über Satellit aus Südtirol angerufen. Durch den Satelliten gab es einen Halleffekt, das war damals noch was. Er wollte sich bei mir bedanken für meinen Leserbrief und dafür meine Adresse erfragen. Kurz darauf hat er mir sein Dankesschreiben geschickt, handgeschrieben, auf Briefpapier, wie sich das gehörte.

Wie leicht sind die Menschen zu kränken. Auch die scheinbar Starken. Und wie wohl tut Balsam auch auf die Wunden erfahrener Kämpen. Das hat mich schon erstaunt. Rosendorfer wusste nichts von meinen politischen Ambitionen, die haben ihn auch nicht interessiert. Aber dass irgendein Leser aus Germering ihm, dem bekannten Schriftsteller und Preisträger, beistand, das hat er offenbar gebraucht.

Politiker sind unsensibel – wenn sie überleben wollen

Politiker sind da abgebrühter. Oder sie werden es irgendwann. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig. Mich in eigener Sache über „ungerechte“ Beurteilung durch Journalistinnen und Journalisten zu beschweren, hab ich mir zum Glück nie angewöhnt. Allerdings ist mir auch noch nie jemand öffentlich beigesprungen, wie ich damals Rosendorfer. Auch wenn im Lauf der Jahre manches sogar verletzend oder buchstäblich ehrabschneidend war, das einfachste Rezept hieß: so schnell vergessen, wie es die Leserinnen und Leser tun. Wenn der Name in der Zeitung steht und das Bild im Fernsehen ist, hat man als Politiker schon die größte Hürde überwunden. Alles Weitere ist nebensächlich, weil die meisten sich ohnehin nicht daran erinnern können, was gesagt wurde oder man selber sagte. Aber dass ich im Fernsehen, Radio oder der Zeitung war, daran können sich wenigstens meine Bekannten erinnern. Und das braucht man als Politiker auch – allem Geschwätz über „Eitelkeiten“ zum Trotz. Nur wer sich unter all den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern einen Namen macht, wird wiedergewählt.

Rudi Anschober, der grüne Landesrat, also Minister, in Oberösterreich nimmt eine Auszeit – wegen Burnout – http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/3121761/landesrat-rudi-anschober-nimmt-auszeit-burnouts.story. Damit sei „eine grüne One-Man-Show ausgebrannt. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist er in der Politik. Seine Kollegen in der oberösterreichischen Fraktion haben es oft schwer, sich medial zu positionieren, weil der Chef sehr präsent ist. Der grüne Anchorman ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert in der Politik“. Die Zeitung spricht von „einer bis zu 100 Stunden umfassenden Arbeitswoche und beinahe täglichen Pressekonferenzen“. Jetzt muss er den Rest des Jahres pausieren, sein Erschöpfungszustand sei „so massiv, dass die einzig zielführende Therapie eine absolute Schonung nötig macht, …lässt Anschober aus dem Krankenstand, in dem er um Ruhe bittet, wissen“. Man darf ihm also alles Gute wünschen, aber mit den Wünschen selber verschonen.

Hier kocht der Chef

Wie kann es so weit kommen? Man muss in der Politik kein Minister sein, um nach und nach einfach auszubrennen. Es reicht schon, wenn man sich permanent einer kleineren Öffentlichkeit aus- und beständig unter Druck setzt. Am anfälligsten ist, wer meint, dass nichts ohne ihn geht. Dem Irrtum kann man, kaum ist man nur ein bisschen exponiert, leicht aufsitzen. Es ist ja auch schön, wichtig zu sein. Alle wollen den „Chef“ sehen, hören und fragen: die Medien, die Verbände, Vereine, die eigenen Leute. Absagen geht nur, wenn man schon einen anderen Termin hat.

Im Hamsterrad

Politik ist nur allzu oft ein Hamsterrad. Nicht nur, weil man häufig auf der Stelle tritt, sondern weil man selber das Tempo bestimmen kann. Dieses Tempo hängt davon ab, wie sehr man sich von den Erwartungen einer diffusen Öffentlichkeit getrieben fühlt. Der rastlose Edmund Stoiber etwa proklamierte, dass Stillstand in der Politik Rückschritt bedeute. Er war der Spezialist dafür, mit Aktionismus, „Offensiven“ und „Initiativen“ über faktischen Stillstand und politische Unbeweglichkeit hinwegzutäuschen. Im Rad läuft man super, solange alles super läuft. Stoiber brauchte in seinen großen Zeiten angeblich nicht viel Schlaf. Adrenalin und andere körpereigene Drogen hielten ihm am Laufen. Aber sobald es größere Schwierigkeiten gab, verfiel er sichtlich. Bleich, gelähmt und schwer gealtert schien er in den ersten Wochen der BSE-Krise, wie später nur noch in seiner eigenen großen Krise, als er nicht nach Berlin gehen wollte, aber in Bayern auch nicht mehr gewollt war.

Warum nicht den Oskar machen?

Damals konnte ich es gut nachvollziehen, als Müntefering, Stoiber, Lafontaine, Gysi, Platzeck oder Beck die Brocken hinschmissen. „Warum tu ich mir das an?“ ist für jede noch so kleine Führungskraft eine der naheliegendsten Fragen, eine, die auch schon mal bei uns Fraktionsvorsitzende lautstark über den Gang gebrüllt haben. Die kleinkarierten Knüppel, die vielen überflüssigen Demütigungen, da muss einer noch gar nicht selbstherrlich sein, dass er da mal die Nase voll hat. Aber dann ist man halt auch weg vom Fenster, dann machen es andere – keine Rede davon, dass die dann schon sehen werden, wo sie bleiben. Deshalb geht es immer weiter. Denn leben muss man ja dann nicht damit, dass die andern über unserm Grab weinen, sondern dass man tot ist – politisch tot zumindest. Politiker leben davon, dass sie sich durchsetzen, dass sie durchhalten, dass sie sich nicht kleinkriegen lassen. Wer das nicht aushält, fällt einfach raus. Geschenkt bekommt man nichts und wer auf Verdienste verweisen muss, an Dankbarkeit appellieren, der ist schon tot. Den Lohn gibt’s sofort oder gar nicht.

Geht’s auch anders?

Joschka Fischer, der es ja wissen musste, hat mal gesagt, je höher man klettere, desto dünner werde die Luft, und diese Eiseskälte hielten die wenigsten aus. Nur wenige haben das Zeug, den Willen oder die Konstitution, so hoch zu klettern. Wem dieses Selbstquälen um des Höhengewinns wegen keine Freude macht, wer sich nicht an solchen Höhen berauschen kann, wird es nie so weit bringen. Aber auch auf geringeren Höhenlagen kann es einen ja schon erwischen. Der Bürgermeister einer Nachbargemeinde hat mir nach ein paar Amtszeiten mal gesagt: „Ich kann keine Leute mehr sehen.“ Er war dann so klug, nicht mehr anzutreten, obwohl er sicher wieder gewählt worden wäre. Muss es immer so weit kommen? Muss man sich von der Politik auffressen lassen? Bei einer Umfrage kam mal raus, die meisten beschäftigten sich im Schnitt fünf Minuten am Tag mit Politik. Bei uns Berufspolitikerinnen und -politikern ist es genau umgekehrt. Vor allem wenn man führt, muss man permanent präsent und aufmerksam sein. Da gibt es kaum eine Pause. Aber muss man wirklich ununterbrochen den öffentlichen Auftritt suchen?

Ein Lob der Doppelspitze

Frauen vor allem, und jetzt auch die ersten Männer, versuchen, nicht gerade politische Führung in Teilzeitmodellen, aber wenigstens durchzusetzen, dass sie ein paar freie Abende und Wochenenden haben. Ich war als Fraktionsvorsitzender immer dankbar dafür, dass wir in Bayern noch in Doppelspitze arbeiten: ein Korrektiv auf Augenhöhe, mit dem Vorteil, dass einem jemand gegebenenfalls widerspricht, der ebenfalls den Kopf hinhalten muss, oder die Meinung der Fraktion vertreten kann, wenn man sie selber nicht teilt; vor allem aber jemand, mit dem man sich bei öffentlichen Auftritten abwechseln kann. Nun stirbt sie aus, die gute alte Doppelspitze, weil sie angeblich nicht medienkompatibel ist. Aber mir hat sie in den acht Jahren Fraktionsvorsitz viel erspart. Vielleicht ist sie der Hauptgrund, dass ich immer noch Lust auf Politik habe.

„Bayerns Grüne wollen im Wahlkampf auf eigene Inhalte setzen“, schreibt heute die Nachrichtenagentur dapd. Sie berichtet von der Klausur unserer bayrischen SpitzenpolitikerInnen in Würzburg. Ein Vertreter des Meinungsforschungsinstitutes Infratest dimap habe dazu geraten. „Es sei eine Sache des Herangehens, ob man einen «Krawallwahlkampf» führe oder konstruktiv neue Ideen und Werte aufzeige, sagte der Grünen-Landeschef.“ Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube an die Umsetzbarkeit.

Das Problem mit den Mediengesetzen

Mit dem Verweis auf die Inhalte haben wir schon in den letzten Wahlkämpfen versucht, aus unseren grünen Nöten eine Tugend zu machen. Damit wollten wir den jeweiligen personellen und machtpolitischen Zuspitzungen etwas entgegensetzen bzw. auch leidigen Koalitionsfragen ausweichen, bei denen wir nur eine unglückliche oder gar keine Rolle spielten. Vor allem aber: Inhalte sind seit jeher sozusagen unser Kerngeschäft. Überzeugende, durchdachte Konzepte, neue Ideen und die Fähigkeit, neue Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen, das hat uns Grüne immer schon ausgezeichnet. Es ist auch mit Abstand der Hauptgrund, warum unsere Wählerinnen und Wähler sich für uns entscheiden. Aber schon damals war es schwierig, mit eigenen Inhalten durchzudringen. Das war es immer schon. Am katastrophalsten gescheitert sind wir damit auf Bundesebene, als wir bei der Wiedervereinigungswahl 1990 lieber vom Klima reden wollten. Denn so sehr unsere eigenen Leute sich für unsere Inhalte interessieren, in die Medien kommen wir damit meistens nicht. Die Medien berichten am liebsten über die Mehreren und die Schwereren, also beispielsweise jede noch so unverbindliche Ankündigung von Regierungen oder Personen, die etwas zu entscheiden haben, und zwar, als sei es schon Fakt. Bekannte Namen, Machtkonflikte, am liebsten interne, möglichst simple Streitszenarien und Ungewöhnliches, das ist der Stoff, der von Mediengesetzen präferiert wird. Der Neuigkeitswert, dass wir Grünen mal wieder eine gute Idee oder einen praktikablen Vorschlag haben, hält sich da in Grenzen.

Je mehr Kompetenz, desto weniger relevant

Bestes Beispiel sind leider meine Themenfelder: Kultur und Forschung. An sich sind das die Politikfelder, neben Bildung, bei denen die Landespolitik tatsächlich etwas zu entscheiden hat. Aber in die Medien komme ich nicht, wenn ich noch so durchdachte Vorschläge habe, wie die Kulturpolitik in Bayern neu zu organisieren oder die Forschungspolitik neu auszurichten wäre, sondern wenn es symbolischen Streit gibt, etwa um ein Dürer-Bild, oder machtpolitische Verteilungskämpfe, z.B. bei Seehofers neuem großartigen „Kulturkonzept“, also mit „Krawallthemen“.

Inhalte mit beschränkter Wirkung

Um nicht alles den Medien zuzuschieben: Auch selber handeln wir Grünen ja momentan nicht gerade stringent, wenn wir sagen, dass es auf die Inhalte ankommt – und dann führen wir monatelang auf Bundesebene Personaldiskussionen. Und dabei ist die Entscheidung über das Spitzenteam allenfalls mit Stilfragen, aber nicht mit inhaltlichem Richtungsstreit verbunden. Der größte Pferdefuß bei den Inhalten aber ist ein struktureller: Wenn es nicht gerade die Themen sind, die ohnehin auf der Tagesordnung stehen, wie etwa Europa und die Finanzierung der Finanzkrise, und die eher emotionelle als Fachdebatten auslösen, dann haben Inhalte auch den Nachteil, dass sie, wenn man sie tatsächlich sachgerecht angeht, nur sehr beschränkte Zielgruppen interessieren. Fachthemen für eine breite Öffentlichkeit aufzubereiten, das ist eine ganz besondere Herausforderung. Kurz: Wenn wir in den kommenden Wahlkämpfen wirklich mit Inhalten durchdringen wollen, werden wir uns sehr anstrengen müssen.

Vermutlich bin ich sozusagen betriebsblind, weil es meinem Naturell und meinem Hauptantrieb, Politik zu machen entspringt, aber ohne ein bisschen „Krawall“, also emotional aufgeladenem Richtungsstreit, schaut es eher mau aus. Und: wo bleibt dann der Spaß?

Heute häufen sich, zumindest gefühlt, die Nichtereignisse, also Ereignisse, die nicht passieren oder bei denen ich nicht dabei bin.

Fliegerhorst Fürstenfeldbruck

Ein ehemaliger Olympia-Teilnehmer, der bei uns im Landkreis wohnt, darf nun doch an der Gedenkfeier für die Opfer des Olympia-Attentats teilnehmen. Erst hieß es aus dem Landratsamt, alle 600 Plätze seien bereits an geladene Gäste vergeben. An mir kann’s nicht liegen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, brav und still auf meinem Stühlchen zu sitzen, und hab deshalb die Einladung ausgeschlagen. Das Bayerische Fernsehen überträgt ab 15.30 Uhr live aus Fürstenfeldbruck.

Keine Erinnerung an Neonazis

Obwohl auch heute wieder die Zeitungen voll sind mit Rückblicken auf das, was vor 40 Jahren passiert ist, hat keine meine Pressemitteilung aufgegriffen zu den deutschen Neonazis, die vor und nach dem Attentat den palästinensischen Terroristen zur Hand gingen. Auch die Spiegel-Kritik kommt nicht mehr vor. Die Neonazis haben es nicht geschafft, das Gesamtbild in irgendeiner Weise zu trüben. Aber das hatten wir ja schon.

Schon früher nicht dabei

Schon bei Olympia 1972, einem der prägendsten Ereignisse in München und seinem Umland, war ich nicht dabei. Dabei sein war für unsere Generation eben nicht alles. Im Gegenteil, das war die Zeit, in der man dahin wollte, wo gerade nicht alle waren. Wenigstens wollte man sich so fühlen. In unserem jugendlichen Leichtsinn sind wir dann zu viert im VW-Bus über den berüchtigten Autoput durch noch nicht Ex-Jugoslawien nach Griechenland. Trotz Diktatur, dank humanistischer Bildung. Auf der Rückreise durch den damals noch nicht berühmten Kosovo, an der albanischen Grenze entlang. Hier war der Bildungsrückgriff nicht ganz so ambitioniert: Karl May, „Das Land der Skipetaren“. Kann sein, dass ich es noch irgendwo im Regal stehen hab. Aber ich werde es nicht überprüfen.

BR-BürgerForum live

20.15 Uhr, Stadthalle Germering „Wenn Bello zur Bestie wird: Müssen Hunde an die Leine?“ Ist die bayerische Kampfhundeverordnung streng genug? Wie stark müssen die Hundebesitzer in die Pflicht genommen werden? Ist eine Leinenpflicht für größere Hunde mit artgerechter Tierhaltung zu vereinbaren? Und: Gibt es überhaupt zu viele Hunde in den Städten und Gemeinden? Wann kommt der Hundeführerschein? Das sind alles Fragen, die ich heute hätte beantworten können. Die Redaktion hat extra nochmals angerufen. Aber ich hab mir schon ganz am Anfang meiner Berufspolitikerkarriere vorgenommen, öffentlich nicht zu allem zu reden. Jetzt kommt das Fernsehen schon mal zu mir nach Germering – und ich geh nicht hin.

Noch nichtigere Nichtereignisse

Dann sind da noch Frauenquote, die die EU einführen wollte, die nicht kommt; der Berliner Flughafen, der heuer nicht mehr eröffnet wird; die Piratenpartei, die schon wieder auf dem Abstieg sein soll, bevor sie am Gipfel angelangt ist; die Sonne, die sich hier im Westen immer noch nicht zeigen will, obwohl es angeblich schon bald wieder regnen wird; meine MitarbeiterInnen, die nicht da sind, weil sie schnell noch ein oder zwei Wochen Urlaub genommen haben …

Nächste Woche ist die sitzungsfreie Zeit des Landtags vorbei.