Wir, die heutigen Großeltern, haben unsere Kinder als besondere und selbständige Menschen erzogen. Den Anspruch auf Besonderheit und Selbständigkeit, den wir für sie erhoben und sie von uns gerne übernommen haben, zeigten auch wir schon in der Namensgebung. Denn bereits wir haben uns angestrengt, ihnen nicht allzu gewöhnliche, langweilige Namen auszusuchen – und sind manchmal mitten in einem neuen Mode-Hype gelandet. Eine Generation später haben sich diese Trends erheblich verstärkt. Dazu kommt die veränderte Zusammensetzung unserer Bevölkerung. Vielfalt und Anspruch auf Individualität äußern sich nicht zuletzt in den Namen, die unsere Kinder für unsere Enkel auswählen. Und obwohl wir selber damit angefangen haben, wundern wir uns manchmal, wie konsequent die neue Erwachsenengeneration ihre Namenspolitik nun durchzieht.
Aufwändige Namengebung
„Name ist Schall und Rauch“, sagt Faust bei Goethe. Aber das glaubt heute keiner mehr. Die einen begnügen sich mit Kleinigkeiten und geben ihren Kindern, also unseren Enkeln, zwar einen ortsüblichen „deutschen“ Namen, versehen ihn aber mit einer winzigen Änderung der Schreibweise, etwa einem geänderten Buchstaben, der ihn aus dem heimischen in einen internationalen Kontext versetzt. Die andern suchen nach Raritäten in der Bibel oder in allerlei Mythologien. Und schließlich kommt es inzwischen ja auch vor, dass einige unserer Kinder Partner haben, deren Familien- und Vornamen für unsere alten Ohren auf Anhieb noch nicht ganz so vertraut klingen. Kinder aus diesen Partnerschaften bekommen dann gerne mal Vornamen, die so ganz anders klingen als das, was auf den Listen mit den beliebtesten Namen steht, aber mit den Familiennamen der Partner*innen ganz harmonisch korrespondieren.
Kampfnamen
Namen machen Leute, Namen machen Politik. Wer wüsste das besser als ich, der ich mal damit hausieren gegangen bin, dass „Sepp mein Kampfname“ sei – https://www.spiegel.de/panorama/kampfname-sepp-a-db53038d-0002-0001-0000-000031478262. Ich hab meinen traditionellen Vornamen damals im Kampf um bayerisches Territorium, Identität und politische Geländegewinne in Stellung gebracht. In ähnlich konsequenter Namenspolitik hat eine Tochter aus unserem Freundeskreis bei ihrer Hochzeit den treudeutschen Nachnamen abgelegt und den türkischen ihres Mannes angenommen und auch die Kindervornamen passend dazu ausgesucht. Bei allem Einverständnis mit den ehrenwerten Motiven dachte unsereins natürlich sofort mit Schrecken an die Vielzahl deutscher Institutionen, bei denen diese Kinder später vorsprechen, die vielen Formulare, die sie ausfüllen, und die zahlreichen Gelegenheiten, bei denen sie ihre Namen jeweils umständlich buchstabieren müssen.
Keine Allerweltsnamen
Was wir nicht bedacht haben: auch das Personal vieler unserer Institutionen hat sich längst internationalisiert, am meisten natürlich in der Pflege und im Gesundheitswesen. Heutzutage wird auch ein vermeintlich alltäglicher Name wie der meine zu einem sprachlichen Problem. „Herr Durr!“ oder „Herr Dr. Durr!“ sind Varianten, mit denen ich gut leben und auf die ich, nach kurzer Irritation, auch höre. Wirklich überrascht allerdings hat mich neulich eine junge Frau, die offenbar erst in jüngerer Zeit aus Syrien gekommen ist, die mich als „Dr. Josef“ („Josef“ wie im Französischen ausgesprochen) aufgerufen hat. Sie war recht angetan und hat mir erklärt, dass das ein arabischer Name sei. Da musste ich dann doch ergänzen, dass der Name aus dem Jüdischen in die katholische Tradition übernommen wurde. Immerhin habe ich nicht widersprochen, als sie am Ende sagte, „Schoseff“ sei „ein schöner Name“. Da musste ich dann prompt – mit tiefsitzendem, kindlichen Stolz – angeben, dass „Josephi“ in meiner Kindheit und Jugend ein gesetzlicher Feiertag war.
19. März, Josephi!
Das war zu der Zeit, als der Spruch noch üblich war: „Hans und Sepp heißt jeder Depp, nur Bäda heißt nicht a jeda.“ Dabei stimmte das in meiner Generation längst nicht mehr. Da hieß jeder Depp bereits Peter, und praktisch keiner mehr, außer mir, Hans oder Sepp. 1969 wurde der bayerische Feiertag am 19. März schließlich abgeschafft. Aber obwohl „im Märzen der Bauer“ den Bulldog einspannt und um Josephi rum oft der Frühling einsetzt, gingen weiterhin viele Bauern traditionell statt aufs Feld lieber auf Josephi-Feiern und Viehmärkte. Für die Generation meines Vaters war Josephi der Tag gemeinschaftlicher Bauernausflüge. Ein letzter Reflex fand sich bis vor kurzem noch im Starkbieranstich, etwa am Nockherberg, der früher pünktlich zu Josephi erfolgte. Doch in unseren Corona-, Kriegs- und Fernsehzeiten ist auch darauf kein Verlass mehr. Auch egal, denn Starkbier wird ohnehin schon seit einer Woche ausgeschenkt. Auch ganz ohne Feier. Na dann Prost, ihr Seppen!