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Archiv für den Monat Dezember 2019

Zum Jahresausklang bekommen wir regelmäßig und meist unverlangt eine gehörige Portion politischer Moralisiererei. In jüngster Zeit ist die vermeintliche ökologische Scheinheiligkeit der Menschen eines der Lieblingsthemen nicht nur der Predigten des Feuilletons, sondern auch in den Wirtschaftsseiten. „Trotz mieser Öko-Bilanz wurden 2019 so viele SUVs verkauft wie nie“, macht die SZ ihre Titelseite auf – https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zipse-bmw-suv-umwelt-klima-1.4737399 („Auf großer Fahrt“, 28.12.2019): „Das Jahr 2019 war geprägt vom Klimaschutz, vom Nachdenken über Ressourcen und der Debatte um nachhaltigeres Vorankommen per Bahn, Flugzeug und Auto. Im täglichen Handeln war davon aber nichts mehr zu spüren, wie sich nicht nur bei weitgehend gleichbleibenden Passagierzahlen im Flugverkehr zeigt: 1,08 Millionen SUVs und Geländewagen, so viele wie noch nie, wurden bis November hierzulande verkauft“. Die SZ beginnt dann gleich mit der Suche, warum diese beiden Entwicklungen, also mehr ökologisches Bewusstsein und zunehmende Klimazerstörung, sich zwar jeweils beschleunigen, aber so gar nicht zusammenpassen.

Fetisch „kognitive Dissonanz“

Schuld waren natürlich die Verbraucherinnen und Verbrauchern: „80 Prozent der Deutschen befürworten Klimaschutz und wollten weniger Ressourcen verbrauchen“. „Wieso aber liegt dann die durchschnittliche PS-Zahl bei 170?“, fragt der Soziologe Stephan Rammler, gibt aber keine Antwort. Dafür kommentiert er überlegen: „Das ist verlogen, eine kognitive Dissonanz.“ Immerhin hat er ein paar Hinweise, woher diese Dissonanz kommen könnte. Zum einen verweist er darauf, dass diese Fahrzeuge „funktional nicht mehr angemessen sind“, es muss also andere Gründe geben, warum sie „größer werden“. Zum anderen führe die wachsende Größe „nachweislich zu aggressiverem Fahren und dadurch bei den anderen zu mehr Unsicherheitsgefühl“ und zu einer „Spirale der Aufrüstung“ und einer zunehmenden Gefährdung der „ohnehin schwächsten Verkehrsteilnehmer“ wie Radfahrer*innen. Nun haben es Soziolog*innen nicht so gern, dass wir Sterblichen mit der Analyse allein nicht zufrieden sind, sondern handlungsorientiert Politik machen wollen und nach Vorschlägen fragen. Aber auf einen Missstand lediglich hinzuweisen und dann gar noch zu moralisieren, führt zu Zynismus und Stagnation, weil es den Weg zu Alternativen verschließt.

Moral ersetzt keine Analyse

Ein moralisches Urteil, das einer Entscheidung und damit denen, die entscheiden, lautere Grundlagen abspricht, öffnet die Kluft zwischen Kritik und Handeln weiter, statt diese verringernde Brücken zu bauen. Wenigstens verweist der Artikel selber direkt und indirekt auf nachvollziehbare Ursachen für den Boom der SUVs. Denn die Entwicklung ist „gut für die Autohersteller: Viele Kunden finden Größe attraktiv, das treibt die Preise nach oben“. „High-End-SUVs liefern wichtige Gewinne, die in einer Zeit der Transformation hin zur E-Mobilität dringend gebraucht werden“, sagt der „Autoforscher“ Ferdinand Dudenhöffer. Nun werden Gewinne im Kapitalismus ja immer „dringend gebraucht“, aber das Stichwort „Transformation“ hilft schon mal gegen das von Dudenhöffer ebenfalls benannte „Dilemma“: Denn „gleichzeitig baut sich ein soziales Akzeptanzproblem auf“. Selbst der Opel-Chef ist „kein Freund von ganz großen SUVs, sie kommen kaum in die Parkhäuser, das ist gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar“.  Und Dudenhöffer ergänzt: „Für das Platzproblem in den Großstädten fehlt die Lösung“. Aber SUVs sind ja gerade eine Lösung für das Problem, dass viele heute um den Platz, der ihnen ihrer Meinung nach zusteht, kämpfen müssen: Ein SUV verschafft sich und seinem Fahrer oder seiner Fahrerin ordentlich Platz.

Diagnose Verbraucherdilemma verdeckt politisches Versagen

Tim Jackson hat sich in „Wohlstand ohne Wachstum“ mit Geltungskonsum auseinandergesetzt, also damit, wie sehr unsere Konsumbedürfnisse vor allem statusgetrieben sind: https://seppsblog.net/2014/02/11/zwischen-zwangen-und-zielen/. Dass diese Karren was hermachen und ordentlich was verbrauchen an Sprit und Platz, ist in der Konkurrenz um Anerkennung und öffentlichem Raum für diejenigen, die sich mit ihnen sehen lassen, ein Vorteil. Es ist ja nicht der einzige gesellschaftliche Konflikt, bei dem „kognitive Dissonanz“ entsteht, bei dem also das, was einzelne politisch für richtig finden, diametral von dem abweicht, was für sie persönlich Sinn macht. Beispielsweise ist ja schon seit vielen Jahrzehnten klar, dass in der Agrarpolitik das Prinzip „Wachsen oder Weichen“ zwar dem einzelnen Bauern hilft, vorübergehend in der Konkurrenz zu bestehen, aber mittelfristig dazu führt, die Konkurrenz weiter zu verschärfen. Deshalb fordert die staatliche einzelbetriebliche Förderung noch immer Wachstum, obwohl Staat und EU schon längst nicht mehr mit den Überschüssen zurechtkommen. Die vermeintliche „kognitive Dissonanz“ ist lediglich eine Reproduktion einer politischen Schizophrenie. Frei nach Rosa von Praunheim ist nicht die Verbraucher*in pervers, sondern die Gesellschaft, in der sie lebt. Solange es also für die einzelnen rational ist, das gesellschaftlich Falsche zu tun, werden moralische Appelle gar nix bewirken.

Immunisieren statt Diskutieren

Nach der Devise „Wenn schon verbohrt, dann richtig“ haben sich offenbar die Autoideologen die Immunisierung gegen jede Kritik („Das wird man ja noch sagen dürfen“, „Meinungsdiktatur“) von AfD und anderen Rechtspopulisten abgeschaut. Die „Premiumhersteller“, schreibt die SZ (mit Kotau vor dem Geltungskonsum), „gehen in die Vorwärtsverteidigung. ‚Die hämische SUV-Debatte ist Panikmache, die nichts mit der Realität zu tun hat“, sagt der BMW-Chef: „In solchen Wagen säßen ‚ganz normale Leute‘ die damit zum Beispiel ihre Kinder sicher zum Sport bringen wollten. Und die wolle er auch nicht umerziehen: ‚Wahlfreiheit ist das Grundprinzip einer Marktwirtschaft‘.“ Kritik am klimaschädlichen Verkaufsprinzip wäre demnach also per se ideologisch und ein Angriff gegen die „Wahlfreiheit“. An solchen Beispielen sieht man, dass der Kampf gegen den Klima- und für einen Kulturwandel erst begonnen hat, aber bereits mit härtesten Bandagen geführt wird. Eine der üblen Maschen, mit denen eine offene, eine politische Debatte verhindert werden soll, ist die Entpolitisierung: Individualisieren von gesellschaftlichen Konflikten, Moralisieren und Immunisieren.

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Söder hat seine Lektion gelernt. „Es ist eine Kampfansage der neuen Art: Nachdem die CSU die Grünen lange Zeit bekämpft hat, indem sie ihre Ideen für unrealistisch erklärte, setzt Parteichef Markus Söder nun eher darauf, diese Ideen zu übernehmen“, schrieb die taz im Juli – https://taz.de/Klimaschutz-bei-der-CSU/!5609851/. Und der österreichische Standard notierte wenig später: „Bei der CSU ist jetzt das grüne Mäntelchen en vogue. Bayerns Ministerpräsident Söder hat den Klimaschutz entdeckt – Innenminister Seehofer irritiert mit Milde in der Asylpolitik“ – https://www.derstandard.de/story/2000109604815/bei-der-csu-ist-jetzt-das-gruene-maentelchen-en-vogue. Selbst unsere alten Losungen wie die von „Ökonomie und Ökologie“, die „man zusammendenken“ müsse, kann „die grün angepinselte CSU“ jetzt brauchen – https://www.sueddeutsche.de/bayern/csu-klima-soeder-konzept-beschlossen-1.4590179. Denn „Grün kommt gut an beim Wähler“: https://www.deutschlandfunk.de/sinneswandel-der-csu-gruen-kommt-gut.

Alle paar Jahre wieder: Die CSU ergrünt

Die Strategie, mit der die CSU uns Grünen das Wasser abgraben und in ihre Kanäle leiten will, ist ja nichts Neues. „Die CSU soll grüner werden“ – https://www.sueddeutsche.de/bayern/soeder-csu-kurskorrektur-1.4334725: Solche Schlagzeilen gab es schon unter Stoiber. Söder selber sagte 2004 dem Magazin Focus, mit Blick auf jüngste Wahlerfolge der Grünen, falls die Union Umweltpolitik, Klima- und Artenschutz den Grünen überlasse, sehe er die Gefahr, dass die Öko-Partei auch „von wertkonservativen Menschen gewählt“ werde https://www.focus.de/politik/deutschland/deutschland-da-sind-wir-schlecht-aufgestellt_aid_200328.html. Passiert ist danach nix. Eher das Gegenteil. Deshalb sah sich die CSU 2007 wieder gezwungen, unsere grünen Ideen und Begriffe aufzugreifen. Sie genierte sich kein bisschen und nannte beispielsweise eine „Aktuelle Stunde“ im Landtag „Global denken, lokal handeln“ und kopierte sogar die Farben unserer Plakate. Aber all das hat wenig geholfen. Denn bisher stand hinter der neuen Verpackung nie eine neue, eine grüne Politik.

Söders neue „Achtsamkeit“

Jetzt hat auch Söder grüne Kreide gefressen und geriert sich als überparteilicher Staatsmann. Weil er spürt, woher der Wind weht, übernimmt auch er einmal mehr den grünen Duktus bis in die Wortwahl und ruft „zu mehr Mut und Optimismus“ auf sowie „zu einem gemeinsamen Kampf für die Werte der Demokratie“. Der „frühere Politrambo Markus Söder“, hat die SZ jüngst notiert – https://www.sueddeutsche.de/leben/trauma-verdraengung-psychologie-1.4720283?reduced=true –, „wirkt immer häufiger so, als habe er ein Achtsamkeitsseminar mit dem Dalai Lama besucht. Aber was ist schlimm daran, sich neu zu erfinden?“ Es bringt halt oft gar nix. Bei Achtsamkeitsmeditation gebe „es keine Belege für eine toleranzförderliche Wirkung“, schreibt dieselbe SZ ein paar Tage später – https://www.sueddeutsche.de/politik/psychologie-einatmen-ausatmen-abstimmen-1.4727146. Aber, das ist beruhigend, sie „schadet auch nicht“.

Grün: Gegner und Blaupause

Wenn es um uns Grüne geht, hat Söders Großmut ohnehin Grenzen. Denn da geht‘s ums Eingemachte, um die Macht in Bayern: „Der Hauptkonkurrent um Platz eins sind die Grünen“: https://www.tagesschau.de/inland/soeder-gruene-101.html. Und da sind dann alle Mittel recht. Schon den Bundestags- und Landtags-Wahlkampf 2013 hat die CSU gezielt und skrupellos gegen uns Grüne ausgerichtet: https://seppsblog.net/2016/11/27/systematisch-und-skrupellos-csu-wahlkampf-gegen-uns-gruene/. Auch jetzt versucht die CSU wieder, uns Grüne auszugrenzen und in die ideologische Ecke zu stellen. Aber darauf werden nur noch wenige reinfallen. Nicht zuletzt aber kann sich der Versuch der Polarisierung auch als kontraproduktiv erweisen und gegen den Urheber richten. Vor allem weil grün zu scheinen, ohne es zu sein, auch so schon nicht ganz einfach ist. Mimikry, also zu tun als ob, ist ja kein neues Phänomen. Schwebfliegen beispielsweise geben sich, um nicht gefressen zu werden, als Wespen oder Bienen aus, können aber weder stechen noch Honig produzieren. Und es gibt immer Vögel, die genauer hinschauen. „Die Wahrheit einer Absicht ist die Tat“, heißt es bei Hegel.

Je mehr ergrünen, desto besser

Am Ende ist es ist völlig egal, ob Söder es diesmal ernst meint oder nur den nächsten Wahlerfolg im Blick hat. Zum einen ist es ja ein Zeichen unserer Stärke und unser Erfolg, wenn sich die CSU gezwungen sieht, unsere grünen Ideen und Begriffe aufzugreifen. Und das honorieren die Menschen. Zum anderen ist es viel besser für Bayern, wenn die CSU grüne Politik macht oder wenigstens so tut, statt weiter zu hetzten, zu spalten und alle ökologischen Ideen schlecht zu machen. So entsteht ein Klima, in dem Parteien, die bei den bayerischen Wählerinnen und Wählern Erfolg haben wollen, um die besten grünen Ideen wetteifern müssen, und in dem Regierungen an ihren grünen Taten gemessen werden. Noch wichtiger ist: Eine Partei allein wird die überfällige, von der CSU so lange verzögerte Modernisierung Bayerns eh nicht schaffen. Da sind selbst wir Grünen auf Unterstützung angewiesen und darauf, dass möglichst viele daran arbeiten, unser Land demokratischer, ökologischer und vor allem klimafreundlicher zu machen. Wir Grünen sind um jeden froh, der mit uns in diese Richtung geht, auch über eine neu ergrünende CSU.