Besenstiel und Demokratie

Früher haben wir uns, um nach verlorenen Wahlen wenigstens als moralischer Sieger dazustehen, gerne in den hilflosen Spott geflüchtet, die CSU könne einen Besenstiel aufstellen und der werde auch gewählt. Nun ist auch diese Gewissheit in Frage gestellt. Natürlich ist jemand wie der ehemalige Kultusminister genauso wie seine innerparteiliche Feindin in München mit Recht aus dem Landtag geflogen. Aber nicht nur bei der CSU hat der jeweilige Wahlerfolg nicht immer etwas mit der besonderen Qualifikation oder Disqualifikation der jeweiligen Kandidatinnen und Kandidaten zu tun. Insofern konnten wir diesmal eine Menge über die Repräsentativität unserer Demokratie lernen, ihre Besonderheiten und Beschränktheiten. Gerade die Beschränktheiten zeigen sich dann halt auch mal bei Kandidatinnen und Kandidaten und schließlich bei manchen Gewählten. Man muss das ja nicht so kritisch sehen wie Alexis de Tocqueville in seinen Beobachtungen „Über die Demokratie in Amerika“.

Keine zwangsläufige Auswahl der Besten

Dem französischen Aristokraten missfiel schon in der ersten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts, „dass die bedeutendsten Männer selten zu öffentlichen Ämtern berufen werden“. Er bemerkte dabei eine gewisse Wechselseitigkeit: „Drängen die natürlichen Instinkte in der Demokratie das Volk dazu, bedeutende Männer von der Macht fernzuhalten, so treibt ein nicht weniger starker Instinkt diese zur Abkehr von der politischen Laufbahn, wo es ihnen schwer gemacht wird, völlig sie selbst zu bleiben und vorwärtszukommen, ohne sich herabzuwürdigen.“ Aufgrund dieser Eindrücke folgert der kritische Beobachter aus Europa, „dass diejenigen, die im allgemeinen Wahlrecht eine Gewähr für gute Auslese erblicken, sich einer völligen Täuschung hingeben. Das allgemeine Wahlrecht hat andere Vorzüge, aber diesen nicht.“ Wer sich anschaut, wer als Ergebnis etwa unserer Bayern-Wahl das Land regiert, wird ihm nur rechtgeben können. Tocqueville stellt damals noch eine weitere Eigenheit des demokratischen Ausleseprozesses fest.

Die Macht gehe vom Volke aus

So bemerkt er, dass es beim Volk Vorbehalte gibt gegen Seiteneinsteiger und generell gegen alle, die ihren Erfolg nicht ausschließlich der Auswahl durch das Volk verdanken: „Man bemerkt, dass im allgemeinen alles, was ohne sein Zutun aufsteigt, nur schwer seine Gunst erlangt.“ Diese Vorbehalte sind offenbar umso stärker, je größer das eigene politische Engagement. Denn es lohnt sich dann, wenn das eigene Votum auch bei Auswahlprozessen eine Rolle spielt. In den „Schriften zur Politischen Ökonomie“ hat Pierre Bourdieu dieses Phänomen noch ausgeprägter in bürokratischen Parteiapparaten gefunden. Diese würden vorzugsweise die sprichwörtlichen Apparatschiks delegieren: „Tatsächlich reüssieren sie nicht, weil sie die Gewöhnlichsten sind, sondern weil sie nichts außerhalb des Apparats besitzen, nichts, das ihnen erlauben würde, sich ihm gegenüber Freiheiten herauszunehmen“. Und Bourdieu folgert: „Das fundamentale Gesetz bürokratischer Apparate lautet, dass der Apparat all denen alles (nicht zuletzt die Macht über den Apparat) gibt, die ihm alles geben und alles von ihm erwarten, weil sie außer ihm nichts haben und nichts sind.“ Besonderheit und Autonomie stören da nur.

Gleich und gleich

Das ist nicht automatisch ein Grund für Empörung, schon gar nicht für moralische Überhebungen. Denn die politische Auswahl ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Gleich und gleich gesellt sich gern: Nicht nur in deutschen Führungsgremien und vermeintlichen oder wirklichen Eliten will man „unter uns“ bleiben. Auch wer heutzutage wählt, will meist sich selber repräsentiert sehen, und zwar -– mehr als seine Interessen – seine kulturelle Identität, sein Selbstbild. Trump lässt grüßen. FW-Chef Aiwanger weiß also genau, was er tut, wenn er über die angestrebte Koalition mit der CSU sagt: „Wenn man mit jemand ins Bett geht, der viermal so schwer ist, muss man gut aufpassen, dass man nicht erdrückt wird“ und dann noch anfügt: „Wir sind dann aber die Schlankeren, die schneller aus dem Bett springen, wenn es zusammenbricht“ – https://twitter.com/hansoberberger/status/1056136614278258688. Damit will er „dem Volk“ nach dem Maul reden, und bei einem Großteil seiner Wählerschaft schafft er es so ja auch, sich als Identifikationsfigur und Stellvertreter anzudienen.

Breite Repräsentativität

Im Hinblick auf, wie es im Profifußball heißt, „die Breite unseres Kaders“ resümiert unser jüngster grüner Landtagsabgeordneter Florian Siekmann mit Recht stolz – https://www.instagram.com/p/BpMxJ1-HB7h/?taken-by=fsiekmann: „Unsere Fraktion bildet wie keine andere die Gesellschaft ab: von jung bis alt, von Student über Pfleger bis Biobauer, mit Migrationshintergrund und ohne.“ Denn Repräsentativität ist, in all ihrer Beschränktheit, dann kein Problem, wenn sie wirklich durchgehend funktioniert: Wenn also möglichst alle Gruppen bei der Auswahl beteiligt werden und sich darin wiederfinden können. Und wenn, sofern der Hunger nach Repräsentativität gestillt ist, dann noch Raum bliebe für besondere Menschen, die eben keine wirkmächtige Gruppe hinter sich wissen können. Darin wäre dann Repräsentativität auf der Höhe unserer Zeit: Denn die Aufgaben, vor denen wir in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stehen, können wir nicht mehr allein bewältigen. Selbstbestimmung schafft man nicht mehr allein, sondern nur in Zusammenarbeit mit anderen. Schon weil unser eigener Standpunkt beschränkt, unsere Perspektiven beengt und unsere Wahrnehmungen begrenzt sind, brauchen wir das Mitwirken der vielen anderen.

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