Leitkultur auf Bayerisch
Ein Parlamentarier, der im Parlament nicht reden will, ist sein Geld nicht wert. Das traf diese Woche praktisch auf fast die ganze CSU-Fraktion zu. Aber immerhin haben sie sich ihr Sitzungsgeld schwer ersessen müssen. Denn Fraktionsvorsitzender und Ministerpräsident hatten für die Plenarsitzung Anwesenheitspflicht ausgegeben. Da saßen die CSUler dann den größten Teil der Debatte über ihr schäbiges „Integrationsgesetz“ weitgehend stumm dabei, von gelegentlichen eruptiven Ausbrüchen abgesehen: http://www.sueddeutsche.de/bayern/integrationsgesetz-nach-stunden-debatte-landtag-verabschiedet-integrationsgesetz-1.3285664. „Die CSU hat die Marathondebatte provoziert“, kommentiert die SZ, denn sie „hat der Opposition vorgegaukelt, in der wichtigen Frage der Integration eine parteiübergreifende Lösung zu suchen“, aber das Gesetz dann knallhart durchgezogen: http://www.sueddeutsche.de/bayern/kommentar-die-csu-hat-die-marathondebatte-provoziert-1.3287385.
Bayerische Spezialitäten
Die CSU war in keiner Phase zu Kompromissen bereit, ja sie hat, anders als angekündigt, noch nicht mal darüber reden wollen. Genau deshalb war der lange Sitzungsmarathon richtig und wichtig, weil er auch offenlegte, wie die CSU in ihrer wiederbelebten Arroganz der Macht in Bayern Politik macht und wie schäbig das jetzt durchgedrückte Gesetz ist. Weder Sitzungsdauer noch Schäbigkeit sind was spezifisch Bayerisches. Aber die Art und Weise, wie und warum das so abgelaufen ist, hat schon was mit unseren besonderen Verhältnissen zu tun. Dass die CSU über bestimmte Themen noch nicht mal reden will, hat es früher schon gegeben. Als wir Grünen 2001 das bundesweit erste Integrationsgesetz vorlegten, haben CSU und leider auch die SPD schon in den Ausschüssen jede Auseinandersetzung darüber verweigert und jeden einzelnen Punkt kommentarlos abgelehnt. Typisch war auch, dass sie die Debatte dann aber außerhalb des Landtags heftig fortsetzten, in den Medien und an den Stammtischen, wenn wir nicht dabei waren und sie ungeniert über uns herziehen konnten.
Die Mehrheit reicht der CSU nicht mehr
Ein Parlamentarier, der beleidigt oder aus Mangel an Argumenten oder warum auch immer die Debatte verweigert, macht sich damit auch lächerlich. Das haben auch in den eigenen Reihen nicht alle verstanden. Die CSU-Hinterbänkler sowieso nicht: Sie haben in den ersten Stunden endlich auch mal reden dürfen und mussten jetzt auf einmal ihre Redebeiträge wegschmeißen, sie hatten sie ganz umsonst schreiben lassen. Aber genauso haben viele Ältere nur den Kopf geschüttelt. Man hätte, um die Redezeit nicht uferlos auszudehnen, zu jedem Punkt nur kurz was sagen und so an der Debatte teilnehmen können. Was er überhaupt nicht versteht, sagte mir ein erfahrener CSUler: „Wenn man die Mehrheit hat, warum muss man dann auch noch brüllen?“ Tja. Das liegt halt auch daran, dass diese Mehrheit wackelt und dass sie schon mal verloren war. Jetzt halten viele in der CSU nicht mal mehr Widerspruch aus, weil sie merken, dass sie die alten Mehrheiten nicht mehr einfach herbeizwingen können. Angst und Wut liegen da ganz eng beieinander.
Trockene Angelegenheit
Ich persönlich, und da hab ich vor meinem eigentlichen Redebeitrag – http://www.sepp-duerr.de/2874 – auch keinen Hehl daraus gemacht, fand es gar nicht so schlimm, dass die CSUler mal zuhören mussten, ohne widersprechen zu dürfen. Aber so ganz ohne Widerspruch, das hab ich ihnen auch gleich zu verstehen gegeben, würde es mir auf Dauer keinen Spaß machen. So wie es heißt: „Allein ist es auch im Himmel nicht schön“, kann ich für mich sagen: „Allein im Landtag zu streiten macht auch keinen Spaß.“ Danach, um ein Uhr in der Nacht, hatte ich sauber Durst und hab ein Weißbier aufmachen lassen. Das war gar nicht so einfach. Denn für die CSU herrschte nicht nur Anwesenheitspflicht und Rede-, sondern auch noch Alkoholverbot. Offiziell jedenfalls. Deshalb hat die Landtagspräsidentin auch den Ausschank auf der Plenarebene verbieten und die alkoholischen Getränke wieder in die Gaststätte zurückbringen lassen. Aber, sagte man mir, dort sei schon jemand, auch wenn es geschlossen aussehe, ich müsse nur reingehen.
Speakeasy oder Sog-gor-nix
Speakeasy, so hießen in der Zeit des landesweiten Alkoholverbotes in den USA die sogenannten „Flüsterkneipen“, in denen es unter der Hand und halboffiziell doch was zu Trinken gab: https://de.wikipedia.org/wiki/Speakeasy. Ob das bei den CSUlern funktioniert, dass sie nach dem Genuss von Alkohol leichter sprechen oder doch etwas schwerer, ließ sich ja in der Nacht von Donnerstag auf Freitag nicht mehr feststellen. Aber die „Heldin der Woche“ – http://www.sueddeutsche.de/bayern/integrationsgesetz-nach-stunden-debatte-landtag-verabschiedet-integrationsgesetz-1.3285664 – ließ nicht nur niemanden verhungern, sondern auch nicht auf dem Trockenen sitzen. Mit meinem Weißbierglas in der Hand habe ich dem Plenum gegenüber einen dezenten Hinweis gegeben. Da bin ich nicht lange allein geblieben. Allen habe ich gerne über die Quelle Auskunft gegeben – und in dem Falle haben sich viele CSUler bis hinauf zur Ministerin meinem Rat nicht verschlossen. Wenn es nur immer so einfach wäre im bayerischen Parlament, und die CSU öfter auf mich hören würde.
Jetzt sollte man nur noch erfahren, warum das Integrationsgesetz so furchtbar ist …
http://www.gruene-fraktion-bayern.de/themen/integration-und-migration/gemeinsam-gewinnen-wir-integration-als-Gemeinschaftsaufgabe