Öffentlich krank

Wie soll ich mit meiner schweren Erkrankung umgehen? Für mich war sofort klar, dass ich nicht einfach weitermachen kann, als wäre nichts gewesen. Ich will die Krankheit nicht leugnen und nicht bagatellisieren, sondern so ernst nehmen, wie sie ist. Sie stellt einen massiven Einschnitt dar, auf den ich genauso deutlich antworten muss. Ich wollte also etwas spürbar ändern und mich auf die Wiederherstellung meiner Gesundheit konzentrieren. Als dann letzte Woche die Bewerbung für die Direktkandidatur in meinem Stimmkreis anstand, war für mich die Entscheidung klar: so lange ich nicht weiß, wie es um mich steht, kann ich da nicht antreten. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich „aus der Politik zurückziehe“, wie manche schreiben. Ich mache, wenn möglich, weiter meine Arbeit.

Auf offener Bühne

Eine für uns nicht immer erträgliche Eigenheit unseres Politikerberufs ist, dass alles, was wir so tun, mehr oder weniger vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet. Es bekommt dadurch nicht nur ein anderes Gewicht, sondern häufig auch eine völlig andere Bedeutung. So ist die Häufung von Intrigen, Machtkämpfen oder Quertreibereien in der Politik vermutlich kein bisschen größer als anderswo in Betrieben, Verbänden oder Vereinen. Aber hier bekommen alle mit, was in Partei oder Regierung läuft, und die Berichterstattung gibt einer internen oder zunächst harmlosen Äußerung einen ganz anderen Sinn. Das ist einer der Preise, die demokratische Politik zahlen muss.

Das Private ist privat

„Transparenz“ ist unverzichtbar, wenn es um politische Interessen, Prozesse und Vorgänge geht, aber bloß Privates ansonsten öffentlicher Personen geht niemanden etwas an. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, zu erfahren, wenn ich meine Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr uneingeschränkt machen kann. Aber niemand hat ein Recht darauf zu wissen, an was ich leide oder wie sehr ich leide. Es gibt keine Politiker-Pflicht, öffentlich zu leiden. Ich verstehe alle, die sich aus Mitgefühl sorgen, sich gerne beruhigen oder gar trösten lassen würden oder sich über die schlechte Nachricht einfach aussprechen wollen. Aber aus Mitgefühl sollten sie das am wenigsten mit mir tun.

Schäbiger Enthüllungsjournalismus

Mit Enthüllungen über Politskandale haben sich manche Zeitungen früher große Verdienste erworben. Aber das ist bei einigen schon eine Zeitlang her. Was ihnen aber geblieben ist, ist dieser Skandalisierungsgestus und das Aufdeckungspathos. Diese Soße gießen sie heute wahllos auf alle Themen, auch auf die Berichterstattung über meinen Gesundheitszustand. Aber was soll das Politische daran sein? Wo ist die Legitimation für die Missachtung meiner Privatsphäre? Wie will man journalistisch rechtfertigen, dass man private Äußerungen aus internen Sitzungen berichtet und öffentliche, auf nichts begründete Vermutungen über Krankheitsdiagnosen anstellt? Ich verlange ja nicht, dass alle Journalistinnen Mitgefühl zeigen oder wissen, was Anstand ist, aber ich verlange, dass sie die professionellen Regeln ihres Berufsstandes beachten.

Politik ist mein Beruf

Es wird offenbar nicht leicht, alle meine Ziele unter einen Hut zu bringen: also die Krankheit nicht zu ignorieren, kein öffentliches Schauspiel zu bieten und trotzdem noch als politische und damit öffentliche Person zu agieren. Das betrifft schon so banale Fragen wie: Was twitter ich über meine Krankheit oder meinen Aufenthalt im Krankenhaus? Inzwischen tendiere ich dazu, gar nichts mehr zu sagen. Denn ich will es mir und meinen Angehörigen ersparen, meine Leidensgeschichte in der Zeitung zu lesen und immer wieder von allzu vielen darauf angesprochen zu werden. Und ich bestehe weiter darauf, nicht als Kranker, sondern als Politiker in den Medien aufzutauchen.

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2 Kommentare
  1. Susanne Günther sagte:

    Danke Sepp für diese Offenheit! Hut ab! Und von Herzen die allerbesten Wünsche zum Gesundwerden!
    Susanne Günther

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