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Archiv für den Monat November 2012

Wie soll ich mit meiner schweren Erkrankung umgehen? Für mich war sofort klar, dass ich nicht einfach weitermachen kann, als wäre nichts gewesen. Ich will die Krankheit nicht leugnen und nicht bagatellisieren, sondern so ernst nehmen, wie sie ist. Sie stellt einen massiven Einschnitt dar, auf den ich genauso deutlich antworten muss. Ich wollte also etwas spürbar ändern und mich auf die Wiederherstellung meiner Gesundheit konzentrieren. Als dann letzte Woche die Bewerbung für die Direktkandidatur in meinem Stimmkreis anstand, war für mich die Entscheidung klar: so lange ich nicht weiß, wie es um mich steht, kann ich da nicht antreten. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich „aus der Politik zurückziehe“, wie manche schreiben. Ich mache, wenn möglich, weiter meine Arbeit.

Auf offener Bühne

Eine für uns nicht immer erträgliche Eigenheit unseres Politikerberufs ist, dass alles, was wir so tun, mehr oder weniger vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet. Es bekommt dadurch nicht nur ein anderes Gewicht, sondern häufig auch eine völlig andere Bedeutung. So ist die Häufung von Intrigen, Machtkämpfen oder Quertreibereien in der Politik vermutlich kein bisschen größer als anderswo in Betrieben, Verbänden oder Vereinen. Aber hier bekommen alle mit, was in Partei oder Regierung läuft, und die Berichterstattung gibt einer internen oder zunächst harmlosen Äußerung einen ganz anderen Sinn. Das ist einer der Preise, die demokratische Politik zahlen muss.

Das Private ist privat

„Transparenz“ ist unverzichtbar, wenn es um politische Interessen, Prozesse und Vorgänge geht, aber bloß Privates ansonsten öffentlicher Personen geht niemanden etwas an. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, zu erfahren, wenn ich meine Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr uneingeschränkt machen kann. Aber niemand hat ein Recht darauf zu wissen, an was ich leide oder wie sehr ich leide. Es gibt keine Politiker-Pflicht, öffentlich zu leiden. Ich verstehe alle, die sich aus Mitgefühl sorgen, sich gerne beruhigen oder gar trösten lassen würden oder sich über die schlechte Nachricht einfach aussprechen wollen. Aber aus Mitgefühl sollten sie das am wenigsten mit mir tun.

Schäbiger Enthüllungsjournalismus

Mit Enthüllungen über Politskandale haben sich manche Zeitungen früher große Verdienste erworben. Aber das ist bei einigen schon eine Zeitlang her. Was ihnen aber geblieben ist, ist dieser Skandalisierungsgestus und das Aufdeckungspathos. Diese Soße gießen sie heute wahllos auf alle Themen, auch auf die Berichterstattung über meinen Gesundheitszustand. Aber was soll das Politische daran sein? Wo ist die Legitimation für die Missachtung meiner Privatsphäre? Wie will man journalistisch rechtfertigen, dass man private Äußerungen aus internen Sitzungen berichtet und öffentliche, auf nichts begründete Vermutungen über Krankheitsdiagnosen anstellt? Ich verlange ja nicht, dass alle Journalistinnen Mitgefühl zeigen oder wissen, was Anstand ist, aber ich verlange, dass sie die professionellen Regeln ihres Berufsstandes beachten.

Politik ist mein Beruf

Es wird offenbar nicht leicht, alle meine Ziele unter einen Hut zu bringen: also die Krankheit nicht zu ignorieren, kein öffentliches Schauspiel zu bieten und trotzdem noch als politische und damit öffentliche Person zu agieren. Das betrifft schon so banale Fragen wie: Was twitter ich über meine Krankheit oder meinen Aufenthalt im Krankenhaus? Inzwischen tendiere ich dazu, gar nichts mehr zu sagen. Denn ich will es mir und meinen Angehörigen ersparen, meine Leidensgeschichte in der Zeitung zu lesen und immer wieder von allzu vielen darauf angesprochen zu werden. Und ich bestehe weiter darauf, nicht als Kranker, sondern als Politiker in den Medien aufzutauchen.

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Seehofer hat jetzt die Landtagswahl zum wiederholten Male zur „Mutter aller Schlachten“ ausgerufen – http://sz.de/1.1517233  – . Er hat offenbar so viel Gefallen an dieser Redewendung, dass er sie immer wieder verwendet. U.a. berichtete die Frankfurter Rundschau am 18.10.12: „Die ‚Mutter aller Schlachten‘ hat Seehofer die Landtagswahl im September genannt. Denn erstmals erscheint es nicht mehr komplett undenkbar, dass die CSU auch einmal nicht mehr regiert in Bayern.“ Und der Kölner Stadt-Anzeiger am 23.10.12: „Die ‚Mutter aller Schlachten‘ stehe an, sagt CSU-Chef Horst Seehofer. Nein, Bayern zieht nicht in den Krieg. Es wird nur gewählt. Ganz offenbar hat die CSU Angst vor dem, was in Demokratien ab und zu passiert: einem Regierungswechsel.“ Angst treibt metaphorische Blüten. Da ist Seehofer nicht der erste.

Verlierer-Metaphorik: Großsprech untergehender Regime

Es klingt auf jeden Fall sehr martialisch, nach Kampf auf Leben und Tod, und wer diesen Kampf kämpft, hat große Vorbilder. Wikipedia – http://de.wikipedia.org/wiki/Mutter_aller_Schlachten – führt aus: „Als ‚Mutter aller Schlachten‘ bezeichnete 1990 Iraks Präsident Saddam Hussein den damals unmittelbar bevorstehenden Zweiten Golfkrieg. … In den USA und der mit ihnen verbündeten westlichen Welt glaubten viele daher, eine Entscheidungsschlacht gegen den Islam gewonnen zu haben. Die ‚Mutter aller Schlachten‘ wurde zum beliebten Ziel von Hohn, Spott und Parodie. Die siegreichen US-Streitkräfte veranstalten bei ihrer Rückkehr eine ‚Mutter aller Paraden‘, noch heute ist die Formulierung ‚Mutter aller…‘ in der Werbung populär.“ Auch der Diktator in Syrien kommt offenbar nicht ohne diese Verlierer-Metaphorik aus und rüstete im Juli für die „Mutter aller Schlachten“  http://www.n24.de/news/newsitem_8096968.html. Mit solchem Großsprech machen sich Führer untergehender Regime, scheint’s, gerne Mut.

Mutter aller Schlachten: Anfang allen Übels

Erinnert diese Interpretation an den in Deutschland immer noch notorischen „Endsieg“, gibt es Deutungen, dass es sich dabei eher um die Büchse der Pandora handeln könnte. Wer in eine solche „Schlacht“ zieht, müsste demnach damit rechnen, dass seine Macht von da an immer wieder  bedroht und angegriffen würde. Auch darauf verweist Wikipedia, „dass der Sinn der Worte Saddam Husseins verkannt worden sein könnte. Mit ‚Mutter aller Schlachten‘ war nicht der endgültige und entscheidende Sieg des Irak oder der USA, sondern stattdessen der Auftakt endloser weiterer Kriege gemeint … Die Anzahl weiterer niedergerungener Gegner sei lediglich ein Pyrrhussieg für die US-Politik, der Rückstoß-Effekt (Blowback) sei programmiert.“ So oder so steht also die Redewendung von der „Mutter aller Schlachten“ unter keinem guten Stern: entweder das Vorbild untergehender Diktatoren oder beständig die aktuelle Gefahr des Machtverlustes. Eine Landtagswahl unter solchen Vorzeichen verheißt für Seehofer und seine CSU in jedem Fall nichts Gutes.

Der Vater des Wunsches

Vielleicht will sich Seehofer ja auch in eine andere Tradition stellen. Der „Stern“ hat vor zwei Jahren – http://www.stern.de/kultur/tv/dsds/dsds-finale-die-mutter-aller-schlachten-1559425.html – das „DSDS-Finale: Die Mutter aller Schlachten“ genannt. Also nach dem Motto „Bayern sucht den Superstar“. Aber dazu hat Seehofers Vor-Vorgänger schon alles Einschlägige gesagt. Bei seiner Einvernahme im Landesbank-Untersuchungsausschuss zum Kauf der Kärntner Pleitebank HGAA und seiner eigenen Rolle hat Stoiber in seiner unnachahmlichen Art die Behauptung Haiders zurückgewiesen, er habe sich mit ihm getroffen. Er hat klargestellt: „Der Vater des Wunsches ist hier letzten Endes der Gedankengang“.

Es gibt einiges, worüber ich mich regelmäßig aufregen kann, aber wenig ärgert mich so oft wie der Vorwurf „die Politiker“. In so gut wie in jeder öffentlichen Diskussion, in Protestbriefen, Emails oder Tweets: immer soll es die ganze „politische Klasse“ sein, die zur Räson gebracht werden muss. Wenn die pauschale Kritik von „Politikverdrossenen“ kommt, kann ich das noch halbwegs verstehen. Die gehen meist deshalb nicht mehr zur Wahl, weil sie ihre Interessen im Parteienspektrum nicht wiederfinden können. Oder sie halten Politik für eine inhaltsleere Showveranstaltung, entweder weil „die sowieso machen, was sie wollen“, oder weil längst andere, also „die“ Wirtschaft, „die“ Konzerne, „das Kapital“, die politischen Entscheidungen treffen. Wenn jemand soweit resigniert und sich mit der eigenen Ohnmacht abgefunden hat, ist es sehr schwer, ihn noch davon zu überzeugen, dass es Handlungs- und Einflussmöglichkeiten gibt, noch dazu wenn sie sich als mühsam und langwierig erweisen.

Selbstentmachtung ist keine Lösung

Politik ist die einzige Chance, die wir haben, um die Spielregeln zu verändern. Diese Chance ist in der Praxis nicht für alle gleich groß, und wer nur wenig Gelegenheit hatte, Wirkung zu erzielen, unterschätzt leicht seine eigenen Möglichkeiten. Dazu kommt, dass viele politischen Kräfte und insbesondere Regierungen wie die jetzigen in Berlin und in Bayern ihre Potentiale nicht nutzen: Aus politischen Gründen verzichten sie etwa darauf, ökonomische oder soziale Standards einzufordern. Das schwächt das Zutrauen in die Möglichkeiten von Politik genauso wie das Gerede von der angeblichen „Alternativlosigkeit“ von Entscheidungen. Deshalb ist es, wie gesagt, verständlich, auch wenn es eine Fehleinschätzung ist, dass viele die Hoffnung aufgeben, politisch etwas bewirken zu können.

Alternativen benennen

Aber was ich ganz und gar nicht verstehe: Wenn Interessensgruppen, die sich gezielt für politische Veränderungen einsetzen, also beispielsweise Studierende, die gegen Studiengebühren kämpfen, pauschal „die Politiker“ attackieren. Als gäbe es nicht in solchen Fragen unterschiedliche politische Positionen bzw. Mehr- und Minderheiten. Und als wäre es nicht klar, dass, wenn man politisch nur dann etwas erreichen kann, wenn es gelingt, Bündnispartner zu finden und Mehrheiten zu organisieren. Politik besteht darin, Alternativen zu finden, abzuwägen und zur Entscheidung zu stellen. Deshalb verwahre ich mich nicht nur gegen die Behauptungen von „Alternativlosigkeit“, sondern fordere auch, Personen und Parteien präzise zu benennen, die für die eine oder die andere Alternative eintreten. Nur dann ist eine politische Entscheidung und eine Wahl möglich.

Kritik konkret üben

Ich weiß nicht, warum es so schwer ist, die jeweils Verantwortlichen mit Namen zu nennen und ihnen die Verantwortung für bestimmte Entscheidungen und ihre Folgen auch zuzuordnen. Mir ist das im letzten Wahlkampf schon aufgefallen, wie schwer es insbesondere enttäuschten CSU-WählerInnen fällt, an der Partei, die sie bisher bevorzugt haben, Kritik zu üben. Weil sie von der CSU enttäuscht sind, sind sie von „der“ Politik enttäuscht. Als gäbe es keine Alternativen. Aber ich bin nicht bereit hinzunehmen, dass jetzt auch noch andere auf „die Politiker“ schimpfen. Das ist billiger Populismus, der zur Entpolitisierung beiträgt. Denn nur wenn konkrete Entscheidungen von präzise benannten politischen Kräften kritisiert und Vorschläge anderer Gruppen oder Parteien dagegengestellt werden, ist Veränderung möglich. Ich bin gerne bereit, auf Kritik an meiner eigenen Politik oder der meiner Partei zu antworten. Aber ich hab die Nase voll davon, unter „die Politiker“ subsumiert zu werden. Wer von uns als „den Politikern“ spricht, obwohl wir in Sachfragen ganz unterschiedliche Positionen haben, stabilisiert genau die Zustände, die er ändern will.