Bayern ohne CSU

Die CSU schwankt derzeit zwischen wieder entdeckter alter Arroganz und nie gespürten Angstanfällen. Das war am Plenartag letzte Woche geradezu körperlich zu fühlen. Niemand kann heute sagen, wie die Wahlen in einem Jahr ausgehen werden. Aber klar ist heute schon, dass es nicht viele Veränderungen im Verhalten der Wählerinnen und Wähler braucht, damit es zu erheblichen Auswirkungen kommt. Weil ihr die jüngsten Prognosen in Aussicht stellen, dass sie auch mit deutlich weniger als der Hälfte der abgegebenen Stimmen eine absolute Mehrheit erringen könnte, hat die CSU wieder Blut geleckt. Dazu reicht, dass die Piraten und die FDP den Einzug in den Landtag gerade so verpassen. Aber die alte 50+-Arroganz, die erstmals seit längerer Zeit wieder mit Händen zu greifen war, wird vor allem auch dadurch befeuert, dass das der GAU der CSU, der absolute worst case, diesmal nicht als völlig absurd von der Hand zu weisen ist: der Verlust der Regierungsbeteiligung. Horribile dictu: die Opposition droht.

Eine CSU ohne Regierungsbeteiligung ist eine tote CSU

Die CSU steht vor der Alternative: Alles oder nichts. Mag die Wahrscheinlichkeit des Nichts noch so klein sein, wären die Auswirkungen des GAU auch hier verheerend. Wenn die CSU etwas weiß, dann dass sie ihre ganze Existenzberechtigung und ihre Jahrzehnte währende Sonderrolle der immer währenden Regierungsführung in Bayern verdankt. Dass sie als „eigenständige“ Partei jede Landtagswahl, ob im Saarland oder in Mecklenburg-Vorpommern, kommentieren und in der „Elefantenrunde“ des öffentlichen Fernsehens auftreten darf, dass sie auf Bundesebene im Koalitionsausschuss vertreten ist, wenn die Union mitregiert, dass sie also extrem überproportional Einfluss hat, das alles ist ihrer Sonderrolle in Bayern geschuldet. Fällt die Regierungsführerschaft in Bayern, droht alles andere auch zu verfallen. Wenn sie der Union nicht mehr diesen Extraprofit beibringen kann, gibt es keinen Grund mehr für die CDU, zu dulden, dass ihr eine Regionalpartei permanent auf der Nase herumtanzt. Dann droht die Gefahr der Eingliederung, der bayerische CDU-Landesverband.

Machtpolitische Asymmetrie: Existenzangst gegen vage Hoffnungen

Das ist ein katastrophales Szenario für die CSU, deutlich schlimmer als die zu erwartenden erheblichen inneren Verwerfungen, die eine weitere Niederlage mit sich brächte. Schon die letzte von 2008 mit dem relativ kleinen Machtverlust hat ja ruckartig die alte Führungsspitze weggeweht und den gar nicht kandidierenden, parteiinternen Außenseiter Seehofer an die Macht gebracht. Die CSU wird also ganz anders kämpfen als alle anderen Parteien. Dafür wird sie alle Register ziehen und auch keine schmutzigen Tricks auslassen. Denn bei ihr allein geht es um die Existenz. Das ist der Grund, warum sie alle Kräfte auf den Kampf um Bayern konzentriert, wie mit dem Aufgebot von Aigner. Dafür gibt sie die Peripherie, nämlich die Bundesebene, ohne Zögern an machtpolitische und mediale Totalausfälle wie Ramsauer und Friedrich preis. Das ist der Hauptgrund, warum – trotz ihres großen strukturellen Vorsprungs – ihre Ängste größer sind als die Hoffnungen der Oppositionsparteien.

Unvorstellbar: Bayern ohne CSU?

Unser schönes Land ohne sie, für die CSU ist das logischerweise tatsächlich nicht vorstellbar. In der Bevölkerung allerdings gibt es da offenbar schon mehr Phantasie. Immerhin will sich eine deutliche Mehrheit schon nicht mehr vorstellen, dass die CSU allein regieren könnte. Und 15 von 16 Bundesländern kommen locker ohne eine derartige Provinz- und Regionalpartei aus. Ich hab nur so ein dumpfes Gefühl, dass sich auch die Oppositionspolitikerinnen und -politiker das nicht wirklich vorstellen können: dass es ganz gut auch ohne CSU geht. Vor allem aber: dass der Tag schneller kommen kann, als man glaubt – etwa so schnell und überraschend wie der Fall der Mauer. Wie viel Phantasie braucht man denn, um sich das vorzustellen?

Bayern braucht keine Provinzpartei

Nur wer die CSU als immer während gegeben ansieht und als übermächtig, kann sich heute schon in mögliche Koalitionsspekulationen verstricken. Viele, die der CSU tatsächlich ein bisschen ihrer Macht streitig machen wollen, können sich noch gut vorstellen, dass die auch diesmal wieder nicht die alleinige Mehrheit erreicht, also auf einen Koalitionspartner angewiesen sein wird. Umgekehrt ist es nicht leicht, sich vorzustellen, wie aus diesen so unterschiedlichen Fraktionen, die heute in der Opposition und morgen möglicherweise in der Mehrheit sind, eine handlungsfähige Regierung entstehen soll. Es ist also verständlich, dass jede einzelne sich ein Hintertürchen offenhält und damit liebäugelt, eventuell von der CSU als Partnerin auserkoren zu werden. Das geschieht aber nur, weil sie die CSU für gott- oder sonst-wie-gegeben halten. Dabei müsste die Aussicht, die der große Schrecken für die CSU ist, sie gleichermaßen beflügeln und alle Kleinlichkeiten beiseiteschieben lassen: die große Chance, Bayern parteipolitisch endlich zu normalisieren.

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7 Kommentare
  1. Lieber Sepp,

    ich stimme deinem Aufruf voll und ganz zu, sich nicht in Koalitionsspekulationen zu verstricken. Das gleiche gilt meiner Meinung aber auch für Nichtkoalitionsspekulationen. Denken wir einmal ziemlich genau ein Jahr voraus. Folgendes Szenario dürfte nicht ganz unwahrscheinlich sein:
    Die CSU wird wahrscheinlich im direkten Vergleich wieder die meisten Stimmen erhalten, ähnlich wie CDU in Baden-Würtemberg im Jahr 2011. Somit wird die CSU die Koalitionsgespräche beginnen. Ob der bisherige Partner FDP dann noch als Gesprächspartner zur Verfügung steht, wird sich zeigen.
    Die Freien Wähler werden bei den ersten Gesprächen gegenüber der CSU so uneinlösbar hohe Forderungen hinsichtlich Posten und Inhalten (Welche Inhalte haben die FW überhaupt?) stellen, dass eine Koalition CSU/FW erst einmal nicht zustande kommt.
    Ähnlich wird Aiwanger mit seinem Verein agieren, wenn die Grünen und SPD die Gespräche mit den Freien Wählern aufnehmen. Sicher gibt es jetzt schon eine Arbeitsgruppe bei den FW, die sich Vorschläge ausdenkt, auf die gerade wir Grünen nie und nimmer eingehen können.
    Wenn nun auch diese Gespräche scheitern und die CSU uns auf Grund einer vorherigen Festlegung nicht als Partner zur Verfügung steht, dann wird gerade wegen der von dir beschriebenen Existenzangst eine Koalition CSU/FW; schließlich kann können dann die FW höher pokern.
    Unter diesem Eindruck habe ich auch einen Teil meiner Bewerbung für unsere Aufstellungsversammlung in Ingolstadt zum Land- und Bezirkstag verfasst:

    „Trotz aller Wechselstimmung finde ich es allerdings richtig, dass seit der letzten Klausur die Bayerischen Grünen von der alleinigen Fixierung auf einen Koalitionspartner Abstand genommen haben. „Schluss mit der Ausschließeritis“ hieß es in einem Beitrag. Damit wird den Freien Wählern eine Möglichkeit genommen, nach der Landtagswahl mit den potentiellen Koalitionspartnern Katz und Maus zu spielen, was letztendlich eine Koalition zwischen Freien Wähler und CSU nur wahrscheinlicher gemacht hätte.
    Ich unterstütze die Grüne Position, eine Regierung anzustreben und mitzugestalten, gleich welcher Partner sich uns hier anbietet. Wir Grüne sind selbstbewusst genug um nicht darauf angewiesen zu seine, unser Gestaltungspotential mit nur einer bestimmten Koalition unter Beweis zu stellen.“

    Obwohl man die politischen Gegner im Blick haben muss, sollten wir uns unter diesem Gesichtspunkt weniger um die anderen kümmern, sondern mehr erklären, warum wir die richtige Alternative sind.

    Mit besten Grüßen
    Joachim Siebler

  2. Wieviel % sind das den rein rechnerisch um im Bund keine Rolle mehr zu spielen?

  3. Wolfgang sagte:

    Es ist wirklich ein interessanter Vorgang: rot-grün in Bayern ist soweit weg von jeder Regierungsbeteiligung in diesem Land wie Christian Ude dem wohlverdienten Mykonnos-Ruhestand nah ist. Wenn Ude am 2. Mai 2014 aus dem Rathaus am Münchner Marienplatz auszieht und die Stadtregierung an Seppi Schmidt übergeben hat, wird er nicht in der Staatskanzlei einen Kilometer weiter residieren und die Grünen sind weiterhin einer regierungsamtlichen Sekretärin und dem fetten Dienst-BMW weit entfernt. Dies ist an allen Umfragen (siehe http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/bayern.htm) absehbar, nur ein Sepp Dürr will sich die Realität schön reden.

    Nur: Mit Autosuggestion ist man noch nie in eine Regierung eingezogen. In NRW und BaWü sehen die Menschen gerade, was eine rot-grüne Regierung bedeutet: trotz hoher Steuereinnahmen weitere Schuldenaufnahmen, Einschränkungen der persönlichen Freiheit und viele andere Kampfinstrumente des Sozialismus.
    Die Menschen in Bayern werden diesem Warnbeispiel klug entgegen treten und die die CSU wieder unter Führung von Horst Seehofer in die Regierung wählen. Die Grünen bleiben also auf den harten Bänken der Opposition, von denen sie frei nach Müntefering zwischenzeitlich zwar betonen „Opposition ist Mist“, aber nicht von ihnen runter kommen.

    Gott vergelts!

    • Hallo Wolfgang,
      du verweist auf die Liste mit den Umfragen. Interessant zu sehen, dass überwiegend dann die höchsten Werte für die CSU rauskommen, wenn diese auch die Umfrage in Auftrag gegeben hat. Möglicherweise dient das auch der Beruhigung.
      Du verweist weiterhin auf das Beispiel Baden-Würtemberg. Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, dass eine ewige Herrschaft nicht gottgegeben ist und vor allem ein Wechsel der Regierung kein Unglück für ein Bundesland ist. Im Gegenteil: Was zum Beispiel in BW in Sachen Bürgerbeteiligung vorangeht, kann für Bayern nur als Vorbild dienen.
      Auch wenn es vielleicht dein Wunsch sein mag. Es ist keinesfalls ausgemacht, dass in Bayern (politisch) alles so bleibt wie es ist.
      Gruß
      Joachim

  4. Ich hätte dann doch gerne ein paar Zahlen – wie groß muß der Anteil der CSU sein um in Berlin mitzureden?

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